Sicher, eigentlich ist die Digitalisierung inzwischen ein Kernthema der Bankenindustrie. Trotzdem wird sie von Vermögensverwaltern noch sehr unterschiedlich interpretiert. Das äußert sich schon darin, dass es ein breites Spektrum an Maßnahmen in die Umsetzung schafft. Dennoch hat die Branche inzwischen verstanden, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf das heutige Geschäftsmodell dramatisch sein werden.
Entsprechend finden sich zahlreiche Projekte für schlankere und automatisierte Prozesse, Robo-Advisory oder auch Kooperationen mit Fintechs auf der Liste verfolgter Initiativen. Was vielen Ansätzen jedoch noch fehlt, ist zum einen die ganzheitliche Betrachtungsweise von Digitalisierung als integraler Bestandteil der kompletten Unternehmensstrategie; und zum anderen das konsequente Einbinden des Kunden und seiner Bedürfnisse.
Sogenanntes „Human Centered Product Design“, also ein bedürfnisbasiertes Design, ist in der Finanzwelt noch sehr unterentwickelt. Die Anzahl der Finanzprodukte, die keinen wirklichen Bedarf beim Kunden bedienen, ist nach wie vor hoch. Zugleich wird die Welt der Finanzlösungen von den Verbrauchern häufig als undurchsichtig und intransparent wahrgenommen. Neben den Krisen der jüngeren Vergangenheit trägt auch diese Tatsache zum schlechten Image der Branche bei.
Vermögensverwalter, die den Kunden in den Fokus rücken, haben aber die Chance, in Zeiten der Digitalisierung ein enormes Potenzial zu erschließen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Anders formuliert: Wer den Kunden und seine Bedürfnisse nicht versteht und entsprechend agiert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit mittelfristig vom Markt verschwinden.
Zum Autor
Dominik Moulliet, CFA, ist Mitglied der CFA Society Germany und Senior Manager bei Deloitte Consulting. Dort verantwortet er den Bereich Wealth Management in Deutschland. Seine langjährige Erfahrung bei Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, sowie bei namhaften Unternehmensberatungen mit Fokus auf Wealth, Asset & Investment Management sowie Kapitalmärkte, erlauben ihm dedizierte Einblicke in die Herausforderungen und Möglichkeiten des Wealth Managements der Zukunft. Herr Moulliet besitzt einen MBA von der Suffolk University in Boston (USA) sowie einen Abschluss zum Diplom-Betriebswirt von der Fachhochschule Augsburg.
Das Hausbank-Modell ist passé
Hinzu kommen der beträchtliche Wettbewerbsdruck unter den etablierten Marktteilnehmern und der Eintritt von Fintechs. Kunden sind aus ihrem täglichen Leben bereits mit digitalen Kanälen vertraut, sind online, mobil und in sozialen Netzwerken aktiv, möchten selbstbestimmt und transparent agieren und die Kontrolle über getätigte Anlagen übernehmen können. Verbraucher wünschen sich Klarheit bei Gebühren- und Preisstrukturen, sehen bei einer Beratung oder einem Investment den wahrgenommenen Nutzen im Verhältnis zu entstandenen Kosten und emanzipieren sich zunehmend vom Gedanken einer „Hausbank“.

Da Vermögensverwalter historisch nicht aus dieser Kunden-, sondern meist aus einer Produktsicht den Markt bearbeiten, müssen sie die Kundenbedürfnisse genau ergründen und individuell in den Beratungsprozess integrieren. Digitale Kanäle versprechen eine enorme Steigerung des Kundennutzens durch die gezielte Ansprache dieser Bedürfnisse bspw. durch einen einfachen Zugang, effiziente Prozesse und personalisierte Produkte. Diese Maßnahmen schaffen Vertrauen gegenüber dem Finanzinstitut. Der Fokus auf einen kundenzentrischen Ansatz muss wesentlicher Bestandteil in der konkreten Ausgestaltung von Digitalisierungsmaßnahmen sein (siehe Grafik oben).
Ein weiterer wichtiger Treiber für die wachsende Bedeutung digitalisierter Prozesse wird die Erbengeneration sein. Vermögen in Höhe von geschätzt drei Billionen Euro wird allein in Deutschland innerhalb der nächsten Dekade auf Kinder, Enkel und Neffen übertragen. Dieses vererbte Vermögen trifft auf eine deutlich technik-affinere Generation, welche ihre Finanzgeschäfte zu jeder Zeit und von jedem Ort aus tätigen möchte. Auch ihr Vertrauen in komplexe technische Vorgänge, wie eine algorithmenbasierte Vermögensanlage, ist weit stärker ausgeprägt als in der Vorgängergeneration. Vermögensverwalter werden daher nicht nur einfache operative Tätigkeiten wie zum Beispiel solche im Back-Office digitalisieren müssen, sondern auch strategische Beratungselemente.