Verkehrte Finanz(Welt)
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Führt hohes BIP-Wachstum zu höheren Aktienrenditen?

Jens Kummer, CFA, ist Senior-Portfoliomanager bei der StarCapital AG und Mitglied der CFA Society Germany.
Jens Kummer Portfoliomanager

Wenn hohes Wirtschaftswachstum als alleiniges Argument für eine Aktieninvestition angeführt wird, sollten Anleger skeptisch sein.

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Es vergeht kein Tag, an dem in den Medien nicht über steigendes oder fallendes Wirtschaftswachstum berichtet wird. Intuitiv wird davon ausgegangen, dass ein hohes Wirtschaftswachstum zu hohen Aktienrenditen führt. Sehr gerne wird dazu das Bild herangezogen, dass die Finanzmärkte wie ein Hund seinem behäbigen Herrn, der Realwirtschaft, auf einem gemeinsamen Spazierweg folgen – auch wenn er einmal vorausläuft und dann wieder etwas zurückbleibt.

Doch hängen Aktienmärkte und Realwirtschaft wirklich zusammen? Oder stehen hinter ihrer Entwicklung jeweils unterschiedliche Faktoren?

Um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen, haben wir die jährliche Aktienperformance mit dem jeweiligen Wirtschaftswachstum in den zurückliegenden 30 Jahren verglichen. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht dieses Verhältnis in wesentlichen internationalen Ländern beziehungsweise Märkten.

Es fällt auf, dass der langfristige Vergleich gegen die Hypothese eines Zusammenhangs von Aktienmarkt und Wirtschaftsdynamik spricht. Länder wie China hatten zwar ein hohes Wirtschaftswachstum – eine bessere Aktienmarktentwicklung als in anderen Ländern bedeutete diese für das Reich der Mitte jedoch nicht. Märkte wie Dänemark oder die Schweiz wuchsen dagegen im BIP kaum, erzielten jedoch eine sehr attraktive Wertentwicklung an den Börsen.



Überraschend: In den letzten knapp 30 Jahren ist der statistische Zusammenhang zwischen BIP-Wachstum und Aktienrendite sogar negativ, das heißt höheres Wirtschaftswachstum führte eher zu niedrigeren Aktienerträgen. Selbst wenn man Abwandlungen oder Modifikationen dieser Korrelationsanalyse bemüht (zum Beispiel nominales vs. reales BIP, historisches BIP vs. BIP-Prognosen, Aktienrendite in USD vs. Lokalwährung, oder ähnliches), führt dies nicht zu systematisch anderen Ergebnissen.

Wirtschaftswachstum ist kein Argument für ein Investment

Warum ist der statistische Zusammenhang zwischen BIP-Wachstum und Aktienrenditen so schwach? Erstens umfasst das BIP viele Komponenten und ist grundsätzlich träge. Anders, als die anderen Bestandteile des BIP (etwa Löhne oder Gehälter) reagieren die Unternehmensgewinne (die auch wesentlicher Treibstoff der Aktienkurse sind) deutlich schneller auf die Konjunktur. In Krisen können die Unternehmensgewinne auch negativ sein. Für dieses höhere Risiko erwarten die Anleger eine Kompensation.



Das zweite Argument zur Erklärung der fehlenden Korrelation zwischen BIP-Wachstum und Aktienrenditen ist die Veränderung der Bewertungen (KGV). Diese spielen beim BIP-Wachstum keine Rolle – für Aktientitel sind sie jedoch zentral. In den letzten zehn Jahren hat sich das Bewertungsverhältnis in den meisten Ländern ausgeweitet. Einige befinden sich derzeit sogar auf einen Allzeithoch, so wie in Japan Ende der Achtzigerjahre. Japanische Aktien stiegen damals schneller als das BIP und die Unternehmensgewinne. Dies führte zu einer Ausweitung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (das KGV des Nikkei 225 lag bei fast 70). Seit den Neunzigerjahren gingen die Bewertungen (KGV) jedoch deutlich zurück. Deshalb war die Aktienperformance geringer als das Wachstum des BIP und weniger dynamisch als die Unternehmensgewinne.

In der nachfolgenden Abbildung sind die Entwicklung des globalen BIP, der Unternehmensgewinne und des Aktienmarktes (MSCI World) seit 1995 aufgeführt.

Während das BIP gleichmäßig stieg, schwanken die Unternehmensgewinne und der Aktienmarkt stärker. Dieses höhere Risiko wurde mit einer höheren Aktienrendite kompensiert und vor allem in den letzten rund zehn Jahren von einer Ausweitung der Bewertungen (KGV) begleitet.

Fazit und Ausblick: Die von Schumpeter geprägte Metapher des Hundes und des Herren ist zwar auf den ersten Blick intuitiv, hält jedoch bei näherer Überprüfung den Fakten nicht stand. Seien Sie deshalb kritisch, wenn ein hohes Wirtschaftswachstum – etwa wie in den Schwellenländern – als alleiniges Argument für eine Aktieninvestition angeführt wird. Die zurückliegenden 30 Jahre zeigen, dass die Aktienmärkte kaum vom Wirtschaftswachstum beeinflusst werden und höheres Wirtschaftswachstum nicht zu höheren Aktienrenditen führt.

Lesen Sie auch den WiWo-Konjunkturradar: Warum sich der Aufschwung weiter verschiebt.

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