BGH-Urteil zu Influencern „Wir finden das ehrlich gesagt nervig“

Die Influencerin Cathy Hummels brachte unter anderem ein blauer Plüschelefant in den Gerichtssaal. Der Vorwurf: Schleichwerbung. Quelle: dpa

Der Bundesgerichtshof entscheidet darüber, wann Influencer ihre Beiträge als Anzeige kennzeichnen müssen. Es geht um Cathy Hummels, einen blauen Plüschelefanten – und das Selbstverständnis einer noch jungen Branche.

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Man sieht viel Flauschiges auf dem Bild, an dessen Beispiel der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag die Zukunft der gesamten Influencer-Welt verhandelt. Da sitzt die Influencerin Cathy Hummels auf einem weißen Flokati-Teppich, hinter ihr eine Couch, darauf drapiert Kissen und eine weiche Decke. Und auf ihrem Schoß der Stein des Anstoßes: Ein blauer Plüschelefant. Er hat einen Knopf im Ohr, das Markenzeichen der Firma Steiff, die seit Jahrzehnten teure Kuscheltiere herstellt. 

Das Problem ist hier nicht, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht auf diesem Beitrag, den Cathy Hummels auf Instagram veröffentlicht hatte. Hummels hat Steiff mit einem sogenannten „Tap Tag“ auf dem Foto markiert. Per Klick darauf gelangt man zum Profil des Unternehmens. Allerdings fehlt in der Bildunterschrift die Kennzeichnung, dass dies eine Werbung sei. Ob das so rechtens war, entscheidet jetzt der BGH. Das Urteil wird am 9. September verkündet.

„Enorme Tragweite“

In Karlsruhe werden derzeit gleich drei ähnlich gelagerte Fälle behandelt, die von vorangehenden Instanzen teils unterschiedlich bewertet wurden. Neben dem Fall Hummels stehen auch Klagen gegen die Influencerinnen Leonie Hanne und Luisa Huss wegen Schleichwerbung zur Debatte. Gegenpartei ist jeweils der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW), eine Interessenvertretung, die zuletzt verstärkt Influencer ins Visier genommen hat.

Michael Terhaag hat die öffentliche Verhandlung der Richter zusammen mit seinem Kollegen Christian Schwarz vor Ort beobachtet. „Die Tragweite ist enorm“, sagt der Anwalt für Medienrecht, der sowohl Influencer vertritt, als auch Firmen, die sie zu Werbezwecken engagieren. In der aktuellen Verhandlung vertritt er keine der Parteien. Das Kernproblem aller Fälle ist die Kennzeichnungspflicht. Printmedien und die Webseiten von Magazinen sind dazu verpflichtet, über werblichen Botschaften das Wort „Anzeige“ zu stellen. In den sozialen Medien gibt es die Vorgabe ebenfalls: „Wenn ich Geld oder Sachleistungen für einen Beitrag bekomme, muss ich Werbung dazu schreiben“, sagt Terhaag, „Mache ich das nicht, ist das Schleichwerbung.“

Elefant unter Verdacht

Im Fall des blauen Plüschelefanten von Cathy Hummels könnte man daher argumentieren, der Fall sei schnell geklärt: Sie bekam kein Geld vom Hersteller. Also ist es keine Werbung. Doch die Kläger sehen das anders. Das Kuscheltier mit Knopf im Ohr, prominent in der Bildmitte platziert, könnte ein „Buhlen um neue Aufträge“ sein, analysiert Michael Terhaag. Hummels würde den Beitrag also nur so gestalten, um den Hersteller auf sich aufmerksam zu machen – in der Hoffnung, dass bezahlte Werbeaufträge folgen. Entscheidend sei dabei, dass überhaupt der Hersteller im Bild markiert würde. Das könnte einen Großteil der Influencer-Posts unter den Schleichwerbeverdacht stellen.

Fragt man Kevin Tewe, was er von diesem Vorwurf hält, ist die Antwort klar: „Wir finden das ehrlich gesagt nervig“, sagt der Gründer der Agentur Allin, die Influencer vertritt wie den Youtuber Rezo oder Diana zur Löwen, die bei Instagram über eine Million Abonnenten hat. Nur etwa zehn bis 30 Prozent der Beiträge seiner Klientinnen und Klienten enthielten Werbung, so Tewe. Es sei dabei immer gekennzeichnet, wenn Geld oder andere Gegenleistungen vereinbart seien.

Dass ein Influencer ohne explizite Kooperation mit einer Marke deren Produkte markiere, geschehe durchaus. Das sei dann aber vor allem eine Art Dienstleistung für die Nutzer: „Die Follower fragen in den Kommentaren sonst sowieso, welche Produkte auf dem Bild zu sehen sind“, sagt Tewe. Bekämen die Kläger vor dem BGH recht, könnte die Konsequenz sein, dass selbst solche Fotos, hinter denen keine Werbepartnerschaft steckt, als Werbung markiert werden müssten. „Dann ist alles Werbung und gleichzeitig auch keine Werbung“, sagt Tewe. 

Das Individuum wird zum Medium

Er hätte auch damit kein großes Problem, wenn er nicht das Gefühl hätte, dass hier mit zweierlei Maß gemessen würde. Er vergleicht die Arbeit seiner Klienten mit der von Medien, die Werbung für eine ähnliche Zielgruppe präsentieren. Mode- oder Jugendzeitschriften zum Beispiel. Schlage man die aktuelle Bravo auf, seien dort Bilder von Influencerinnen zu sehen, daneben stehe, welche Klamotten sie trügen und was diese kosteten. Eine Art „Tap Tag“ im analogen Magazin. Das Wort „Anzeige“ sei dabei weit und breit nicht zu sehen.

Dass die Influencer also für etwas abgemahnt werden, was im Modejournalismus üblich ist, ist auch ein Zeichen für den Kampf der neuen gegen die alte Medienwelt. Während die Anzeigenerlöse in den Magazinen schwächeln, sehen Unternehmen in den Social-Media-Ikonen ein zukunftsträchtigeres Modell. „Durch Social Media, geht das Werbebudget nun oft an einzelne Personen, da sie selbst ein Medium mit Reichweite sind“, sagt Kevin Tewe, „und das ist für viele noch gewöhnungsbedürftig." Das Individuum wird zum Medium. Und wie eine Modezeitschrift besteht es für Tewe aus redaktionellen und werblichen Inhalten.

Illusion der Nahbarkeit

Am Ende werden also fast philosophische Fragen in Karlsruhe verhandelt. Sind die Influencer nur noch Werbefläche? Oder immer noch Privatperson? Ist alles, was sie in den sozialen Medien tun eine Art von Geschäftsanbahnung? Oder teilen sie auch ihre authentische Persönlichkeit und hilfreiche Inhalte? Und vor allem: Hilft eine Flut an Werbehinweisen den Nutzern wirklich dabei, Anzeige von unbezahltem Inhalt zu unterscheiden? 

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Medienanwalt Terhaag erhofft sich von dem Urteil vor allem eines: Rechtssicherheit. Um diese zu garantieren, könnte er sich sogar die Aufspaltung der Netzpersönlichkeiten vorstellen: Cathy Hummels hätte dann einen rein privaten Account, auf dem sie Bilder von sich, ihrem Sohn oder ihren Urlauben teilen könnte. Und einen werblichen, auf dem ihre Kooperationspartner eine Bühne bekämen. Ob das praktikabel ist, bezweifeln Brancheninsider. Die Authentizität, mit der die Influencer ihr Publikum binden, wäre dahin, die Illusion der Nahbarkeit zu Ende.

Mehr zum Thema: Wie man Influencer wird, welche Fähigkeiten dazu nötig sind und wie hart die Arbeit in den sozialen Medien sein kann, erklärt Kevin Tewe in der aktuellen Folge unseres Money Mates Podcast.

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