
Eigentlich ist es ein Geheimnis, doch ab und zu kommen die schrägen Tricks ans Licht, mit denen die feine Gesellschaft mitunter ihr Geld vermehrt. Ein Beispiel dafür sind die unter dem Schlagwort Dividendenstripping oder Cum-Ex-Geschäfte bekannt gewordenen Aktiendeals zu Lasten der deutschen Staatskasse. Schwerreiche Anleger haben jahrelang mit Hilfe großer Banken versucht, ihre Taschen mit Erstattungen für die Kapitalertragsteuer auf Dividenden voll zu machen, ohne die Steuerschuld abzuführen.
In einem dieser Fälle startet heute die Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof in München. Von dem Urteil erwarten sich Finanzämter, Banken und Steuerpflichtige Antworten für viele andere Streitfälle zum Thema Dividendenstripping. Heute geht es um den Streit einer Hamburger Investmentfirma mit dem Fiskus. Das Finanzgericht der Hansestadt hatte in der Vorinstanz schon zu Gunsten des Investors entschieden. „Es sieht nicht so gut aus für die Steuerbehörden“, sagt ein Verfahrensbeteiligter.
Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte
Bei den auch „Dividendenstripping“ genannten Geschäften geht es um den raschen Kauf und Verkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag, um Kapitalertragssteuern mehrfach vom Fiskus erstattet zu bekommen. Am Tag vor der Dividendenzahlung ist diese im Aktienkurs mit eingepreist. An der Börse spricht man von einem Kurs „cum Dividende“.
Am Tag nach der Ausschüttung, in der Regel einen Tag nach Hauptversammlung, die die Dividendenzahlung beschließt, ziehen die Börsenbetreiber die Dividende vom Kurs ab, das heißt die Aktie wird „ex Dividende“ gehandelt. Von Banken bekamen die Aktienkäufer und -verkäufer eine Bestätigung, die Kapitalertragsteuer abgeführt zu haben, was sie beim Fiskus mehrfach steuerlich geltend machten - obwohl sie so nicht gezahlt hatten.
Ein Beispiel: Die Banken verkaufen die Aktien leer an einem „cum“-Tag, müssen sie aber wegen der Börsenregelungen erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Sie beschaffen sich die Papiere also nach dem Dividendenstichtag zum „ex“-Preis – also ohne Dividende – von einem Dritten und liefern diese Aktien an den Käufer. Dabei parallel abgeschlossene Kurssicherungsgeschäfte, die Risiken ausschließen, sichern den Gewinn aus der Transaktion.
Papiere werden rund um den Dividendenstichtag – meist der Tag der Hauptversammlung – schnell hintereinander ge- und wieder verkauft. Leerverkäufer verdienen, wenn der Aktienkurs bis zum Liefertermin gefallen ist und sie so die Aktien billiger kaufen können, als sie sie verkauft haben.
Generell wird auf die gezahlte Dividende Kapitalertragssteuer fällig. Im geschilderten Konstrukt ließen sich sowohl der Käufer als auch der jeweilige Dritte, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten, die Kapitalertragsteuer vom Finanzamt erstatten. Die Finanzämter zahlten so mehr Steuern zurück, als sie zuvor eingenommen hatten.
Im Wesentlichen nutzten Banken und Profianleger wie Fonds oder Börsenhändler den Steuertrick mittels Dividendenstripping.
Für Privatanleger sind Cum-ex-Geschäfte zu aufwendig, zumal es sich bei kleinen Anlagesummen kaum rechnet. Sie hätten nur geringe bis keine Chancen gehabt, an solchen Deals zu verdienen.
Banken und Investoren nutzten bestimmte Eigenheiten der Abwicklungssysteme an den Börsen, aber auch steuerrechtliche Besonderheiten – und das offensichtlich über Jahre hinweg und mit Wissen von Bund, Ländern und Finanzbehörden. So erklärte der Bundesfinanzhof das Dividendenstripping bereits in einem Urteil aus dem Jahr 1999 für grundsätzlich rechtens. Geschlossen wurde das Schlupfloch aber erst 2012 durch eine Neuregelung der Nachweispflichten.
Darüber kann der juristische Laie nur ungläubig den Kopf schütteln. Denn auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Die Deals gehören verboten, seine Initiatoren und Nutznießer bestraft. Doch so einfach ist es im Rechtsstaat nicht. Wenn der Gesetzgeber Lücken lässt, etwa im Steuerrecht, nutzten findige Bürger diese früher oder später aus. Das ist unsittlich und schadet der Gesellschaft, aber illegal ist es nicht. So sieht es auch bei den Tricksereien mit der Kapitalertragsteuer aus. Das komplexe deutsche Steuerrecht hat der für den Fiskus teuren Praxis jahrelang nicht eindeutig genug den Riegel vorgeschoben. Und so floss – oft über große Banken – viel Kapital in Aktientransaktionen, deren einziger Zweck darin bestand, die Gesetzeslücke zu Geld zu machen.
Für den normalen wohlhabenden Bankkunden waren die Geschäfte nichts, es brauchte schon schwerreiche Investoren, um ein Rad zu drehen, das groß genug war, damit sich der Aufwand lohnte. Das funktionierte grob vereinfacht dargestellt wie folgt: Banken und Broker handelten vor und nach dem Ausschüttungstermin von Dividenden deutsche Aktien hin und her. Ihr Ziel war, sich Kapitalertragsteuer auf die Dividende vom Finanzamt erstatten zu lassen, ohne diese zuvor abgeführt zu haben. Mit geschickt getimten Handelsaktivitäten sorgten die Banken dafür, dass die Finanzämter den Überblick verloren und mehr Steuern erstatteten als sie eingenommen hatten. Dabei wurde teils auch mit Leerverkäufen gearbeitet, bei denen die Aktien für die Deals nur geliehen waren. Das macht die Angelegenheit noch schwerer durchschaubar, weil unklar ist, wem die Papiere gehören. Der Schaden könnte insgesamt in die Milliarden gehen. Erst Anfang 2012 hat der Gesetzgeber diese rund zehn Jahre lang klaffende Gesetzeslücke geschlossen.
Mit von der Partie waren etwa Carsten Maschmeyer, der prominente Gründer des Finanzvermittlers AWD, seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Veronica Ferres, und Maschmeyers Kumpel, der HSV-Trainer Mirko Slomka. Der Fleischfabrikant und Fußball-Funktionär Clemens Tönnies soll sich ebenfalls an den Zockereien versucht haben. Aufsehen erregte auch der Fall des mittlerweile verstorbenen hessischen Großinvestors Rafael Roth, dem das Finanzamt Wiesbaden 2011 die Anrechnung von Kapitalertragsteuer in Millionenhöhe versagte. Die Behörde warf Roth und seiner Firma Rajon planmäßigen Missbrauch vor.