Gesundheitssystem Krankenversicherte an der Schmerzgrenze

Privat- wie Kassenpatienten kämpfen mit steigenden Beiträgen, geringeren Leistungen und dem alltäglichen Wahnsinn des Gesundheitssystems. Was Versicherte für einen fairen und bezahlbaren Krankheitsschutz tun können.

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Wann Klagen gegen Lebensversicherer lohnen Quelle: dpa, Fotolia (Montage)

Die Privatpatienten bringen Geld – und deshalb bietet ihnen die Privatklinik im Besitz des Main-Taunus-Kreises in Bad Soden viel. Das Haus ist mehr Sterne-Hotel als Klinik. Die Klientel erwartet eine „stilvolle Lounge im Eingangsbereich“; mehrsprachige „Mitarbeiter des Patientenmanagements“ lassen das Gepäck in eine „Suite mit Wohnbereich“ bringen.

Schwerreiche Araber schätzen das Angebot, wohl mit Rücksicht auf diese Patienten wurden alle Kruzifixe im Haus abgehängt. Kosmetikstudio, Friseursalon, Wellnessangebote, an alles ist gedacht. Die Logik dahinter: Mit den Einnahmen der Privatklinik sollen die anderen Kliniken des Landkreises bei Frankfurt subventioniert werden.

Private heben die Tarife an

Doch Luxus kostet. Die hohen Rechnungen treiben die Prämien der Versicherer nach oben. Albert Kapune etwa bekommt das schmerzhaft zu spüren. Dem 63-jähirgen Landesbediensteten aus dem westfälischen Soest schickte die Gothaer eine saftige Prämienerhöhung von 22,6 Prozent für 2012.

Statt 660 Euro monatlich soll er nun 809 Euro zahlen. „Als Rentner könnte ich mir das nicht mehr leisten“, sagt Kapune.

Dem 51-jährigen Fondsmanager Peter Conzatti hat die Central Krankenversicherung binnen zehn Jahren den Beitrag verdoppelt. „Außerdem hat sie meine Selbstbeteiligung ohne Anfrage und ohne meine Einwilligung erhöht. Anträge auf Erstattung wurden mehrfach abgelehnt, auch in ausdrücklich als erstattungsfähig beworbenen Indikationen.“

Tarife um bis zu 33 Prozent angehoben

Central und Gothaer sind keine Ausnahmen. Auf breiter Front erhöhten die Anbieter der privaten Krankenversicherung (PKV) ihre Tarife. Selbst bei den begehrten Neukunden zwischen 20 und 50 Jahren sattelten die Versicherer zu Jahresbeginn im Schnitt 4,4 Prozent drauf. Wer schon jahrelang in der PKV ist, zahlt nicht selten zweistellig mehr. So schraubte die Arag Krankenversicherung Prämien für einzelne Tarife um bis zu 40 Prozent nach oben, Marktführerin DKV hob Tarife um bis zu 33 Prozent an.

Zwar steigen die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht so schnell, dafür baut sie Leistungen ab. Kassenmitglieder zahlen also mehr für weniger. Zudem hebt der Gesetzgeber regelmäßig die Beitragsbemessungsgrenze an, das maximale Bruttoeinkommen, auf das Krankenkassenbeiträge gezahlt werden müssen. In diesem Jahr stieg sie von 44.550 Euro auf 45.900 pro Jahr. Auch wenn der Kassenbeitrag nicht steigt, zahlen Mitglieder also mehr ein.

Keiner will die Verantwortung für steigende Kosten übernehmen

Keiner will die Verantwortung für die steigenden Kosten übernehmen. Die Kassen bestreiten, dass sie zu hohe Verwaltungskosten haben, die Privaten wollen nichts davon wissen, dass sie zu wenig Reserven für Ältere angelegt haben. Stattdessen verweisen sie auf den medizinischen Fortschritt, Arzthonorare und die Pharmaindustrie.

So klagt Allianz-Chef Michael Diekmann: „Wir erleben eine Inflation der Krankheitskosten.“ Beliebtes Feindbild sind Ärzte, die zuletzt für höhere Honorare streikten. Bei Klinikärzten rechnen die kommunalen Arbeitgeber jetzt mit 125 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr. Weil Zahnärzte seit 1. Januar mehr bekommen, soll Zahnbehandlung bis zu 20 Prozent teurer werden, schätzt der PKV-Verband.

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