Zahnpolicen Die Fallen der privaten Zahnversicherung

Quelle: imago images

Versicherer bringen Patienten bei privaten Zahnpolicen oft um eine angemessene medizinische Versorgung. Wie Versicherte sich wehren können.

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Schon seit mehreren Wochen registriert Michael Müller, dass seine oberen rechten Backenzähne sehr empfindlich sind. Dann kommt der Schmerz, der allmählich auf alle Backenzähne ausstrahlt. Ein paar Tage später sitzt Müller, der seinen richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, bei Oliver Zittlau auf dem Behandlungsstuhl: Notfallbehandlung. Müller kennt den Kölner Arzt seit der Studienzeit, er vertraut ihm.

Diesmal steht ein großer Eingriff an: Weil sich das Zahnfleisch stark entzündet und der Knochen bereits zurückgezogen hat, sollen sechs Backenzähne raus. Anstelle der Backenzähne sollen Implantate eingesetzt werden. Auch jeweils für den siebten Zahn, den vorletzten äußeren Backenzahn. Implantate sind wesentlich teurer als einfache Prothesen, für den Patienten aber sicherer und komfortabler. 

Bei seinem Patienten Müller stellt der Kölner Zahnarzt Zittlau einen Kostenplan für sechs Implantate auf, inklusive Knochenaufbau und Kronen. Knapp 16.000 Euro kosten die Implantate, inklusive aller weiteren Kosten. Viel Geld für Müller. Und die gesetzliche Krankenkasse (GKV) zahlt nicht mal zehn Prozent.

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Doch Müller hat für solche Fälle eine private Zusatzversicherung eines renommierten Anbieters, in die er seit beinahe 20 Jahren monatlich brav seine Versicherungsbeträge einzahlt, ohne bisher der Versicherung hohe Kosten verursacht zu haben. Meist nur die halbjährigen Zahnreinigungen. Laut Vertrag muss Müllers Zusatzversicherung 80 Prozent der Kosten tragen. Eine große Erleichterung.

Doch es kommt anders, als Müller denkt. Die Versicherung stellt sich quer, ein Ärgernis, das Müller mit Hunderten anderen Patienten teilt, wenn nicht mit Tausenden – eine Statistik dazu gibt es nicht. Versicherer, die medizinisch eigentlich sinnvolle Behandlungen verweigern, wollen Kosten vermeiden. Doch wie laufen solche Verfahren ab? Und wie können sich Patienten wehren?

Die Kasse gibt die Richtung vor

Zahlen muss die Zusatzversicherung, wenn die gesetzliche Krankenkasse (GKV) dem Kostenplan grundsätzlich zustimmt und den gesetzlich vorgesehenen Zuschuss übernimmt. Beurteilt die Kasse eine Therapie als nicht sinnvoll, ist auch die private Zusatzversicherung außen vor. Wer prüft nun die Therapieplanungen und Kostenpläne der Zahnärzte oder Kieferchirurgen, die ja ein finanzielles Eigeninteresse an der Behandlung haben?

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Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen übernimmt dies in aller Regel ein Mitarbeiter der Krankenkasse. Gibt es Unstimmigkeiten, zieht die GKV unabhängige Gutachter hinzu. Diese Gutachter sind speziell ausgebildete Zahnärzte oder Kieferchirurgen, die von den Kassen für ihre Gutachten bezahlt werden. Der Gutachter prüft, ob die geplante Versorgung im Rahmen der Richtlinien und des Versorgungskatalogs der GKV medizinisch notwendig, wirtschaftlich, sinnvoll und ausreichend ist. Hat der Gutachter noch Fragen, ruft er den behandelnden Zahnarzt nicht selten selbst an. Völlig transparent werden dem Patienten und dem Behandler zusammen mit dem Ergebnis des Gutachtens auch Name und Kontaktdaten des Gutachters mitgeteilt.

Meist geht es schneller: Schon die elektronischen Programme der Zahnärzte zur Erstellung der Kostenpläne verfügen über ein Prüfungsmodul, das automatisch checkt, ob der Plan plausibel ist und den Richtlinien entspricht.  Die privaten Krankenversicherungen und Zusatzversicherungen nutzen diesen Check der medizinischen Notwendigkeit gerne mit, kostenlos. 

Die private Versicherung mauert

Bei Müller hat die GKV wegen des eindeutigen Krankheitsbilds keinen Gutachter hinzugezogen, sondern die Behandlung gleich genehmigt.  Die private Zusatzversicherung aber lehnt die Übernahme der Implantate für die siebten Zähne ab. Über die Hälfte der Gesamtkosten der Behandlung soll Müller selbst tragen.

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Sein Verdacht: Die PKV will auf seine Kosten sparen. Erleichtert wird ihr dies durch die Tatsache, dass die privaten Krankenversicherungen in Deutschland auch in Zweifelsfällen keine unabhängigen Gutachter einsetzen müssen. In der Praxis beauftragen sie Zahnärzte, häufig Pensionäre, die für ein paar hundert Euro Honorar entscheiden. Diese sind nicht unabhängig, sondern wollen naturgemäß weitere Aufträge vom Versicherer erhalten. Der PKV-Verband, die Lobby der privaten Krankenkassen, sagt dazu: „Die Frage, ob und welche Gutachter PKV-Unternehmen beauftragen, obliegt den jeweiligen Mitgliedsunternehmen.“ Auf Verlangen des Versicherungsnehmers müsse der Versicherer aber Einsicht gewähren in Gutachten oder Stellungnahmen zur Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung. Wenn es allerdings keine Gutachten gibt, kann man auch keine Einsicht verlangen.

„Versicherungsnahe Zahnärzte begutachten“

In ihrem Bescheid zählt Müllers private Zusatzversicherung ihm nur auf, welche Kosten voraussichtlich übernommen werden. Dass sie für die vier Implantate, Kronen und den Knochenaufbau der siebten Zähne nicht zahlt, wird nicht explizit erwähnt. Insgesamt spart dies der Versicherung gut 9000 Euro. 

Dass Versicherer Kosten vermeiden wollen, ist einerseits auch im Interesse der Versicherten. Denn ihre Beiträge steigen immer weiter, wenn die Ausgaben der Versicherer für Leistungen stetig zulegen. Andererseits wollen die Versicherten individuell aber natürlich, dass ihnen im Fall der Fälle geholfen und gezahlt wird. Umso wichtiger ist es, dass Versicherer auf Basis der Versicherungsbedingungen fair und transparent entscheiden.

Im konkreten Fall von Herrn Müller ergeht zu der Entscheidungsfindung wenig Erhellendes. Es heißt lapidar: „Um eine möglichst gerechte Beurteilung zu erhalten, übersenden wir die uns eingereichten Unterlagen der Zahnärzte grundsätzlich einem Fachzahnarzt.“ In Übereinstimmung mit ihm sehe die Versicherung keine medizinische Notwendigkeit „für die vorgesehene Ausdehnung der Zahnersatzversorgung“ auf die siebten Zähne. 

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Sein Zahnarzt Oliver Zittlau rät Müller, bei der Versicherung trotzdem das Geld einzufordern. „Die Begründung zur medizinischen Notwendigkeit der geplanten Implantation entspricht der Konsensus-Konferenz von 2014“, betont der Zahnarzt. Die Konferenz legt Behandlungsrichtlinien nach jeweils aktuellem wissenschaftlichem Stand fest. Zu ihren Mitgliedern zählen renommierte Wissenschaftler und Fachgesellschaften, auch Universitäten sind vertreten. „Die Behandlungsrichtlinien der Konsensus-Konferenz sind der Goldstandard,“ sagt Zittlau, „auch die Gerichte halten sich bei Streitigkeiten daran.“

Laut Christian Berger, Präsident des Bundesverbands der implantologisch tätigen Zahnärzte in Europa (BDIZEDI), entspricht das Vorgehen im Fall Müller einem klaren Muster. „Für private Krankenversicherungen und Zusatzversicherungen sind Behandlungsfälle so wie Schadensfälle für die Kfz-Versicherung – die damit verbundenen Kosten möchte die Versicherung geringhalten.“ Entsprechend würden „versicherungsnahe“ Zahnärzte befragt nach Alternativbehandlungen, die deutlich kostengünstiger wären. „Weder untersucht der Versicherungs-Zahnarzt den Patienten, noch erfährt der Patient den Namen dieses Zahnarztes. So wird das Verfahren intransparent.“ 



Ziel der Versicherer sei es, „die Patienten dazu anzuhalten, die aus medizinischer Sicht vorteilhafteren, aber teureren Behandlungen wie Implantate zu unterlassen, und stattdessen deutlich günstigere Behandlungen wie herausnehmbaren Zahnersatz zu akzeptieren“, so Berger. „Dabei gibt es eine höchstrichterliche Entscheidung aus dem Jahr 2003, wonach der Versicherer schon dann erstatten und zahlen muss, wenn die Behandlung medizinisch vertretbar war und damit notwendig ist“, so der Chef des Implantologen-Verbands. Der PKV-Verband verweist darauf, die Entscheidung sei „den Mitgliedsunternehmen bekannt und wird bei der Leistungsprüfung berücksichtigt.“ Überprüfen lässt sich das kaum. 

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