Geldpolitik Bericht: EZB könnte schon im Juli ein neues Inflationsziel festlegen

Die EZB geht ihre strategische Überprüfung laut Insider-Informationen zügig an. Die gesamte Überprüfung soll demnach bis Dezember abgeschlossen sein.

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Seit 2003 hat es in der EZB keine strategische Überprüfung mehr gegeben. Quelle: Sepp Spiegl

Laut Vertretern des Euroraumes hat die Europäische Zentralbank einen ehrgeizigen Zeitplan für die strategische Überprüfung festgelegt. Eine Entscheidung über eine mögliche Änderung des Inflationsziels könnte demnach bereits im Sommer fallen.

Die Vertreter, die angesichts der Vertraulichkeit des Vorgangs um Anonymität baten, sprachen von einer hastigen Agenda unter Präsidentin Christine Lagarde, die am Wochenende den 100. Tag im Amt war. Mitarbeiter hätten mit der Arbeit bereits begonnen, obwohl einige Arbeitsgruppen noch keine offizielle Genehmigung durch den EZB-Rat erhalten haben. Ein EZB-Sprecher lehnte eine Stellungnahme dazu ab.

Der aggressive Start der ersten strategischen Überprüfung durch die EZB seit 2003 steht in Zusammenhang mit der wachsenden Besorgnis einiger geldpolitischer Entscheidungsträger bezüglich der Glaubwürdigkeit der Institution. Obwohl jahrelang umstrittene Maßnahmen wie Negativzinsen und Anleihekäufen durchgeführt wurden, ist es bisher nicht gelungen, die Preissteigerungsrate wieder auf das Ziel von knapp zwei Prozent zurückzuführen.

Mit der Neubeurteilung sind acht Studiengruppen beschäftigt und decken Themen ab, die vom Kernthema Inflation bis zu modernen Herausforderungen wie Klimawandel und Handel reichen, berichteten die informierten Personen. Die EZB-Ratsmitglieder werden unmittelbar vor ihren nächsten beiden geldpolitischen Sitzungen im März und April an Seminaren zu bestimmten Themen teilnehmen, sagte eine der Personen.

Vorschläge, ob das aktuelle Inflationsziel geändert werden solle, könnten dann auf der folgenden Sitzung im Juni unterbreitet und eine Entscheidung im Juli getroffen werden, sagte die Person.

Zwar sei nichts sicher, aber viele geldpolitische Entscheidungsträger wollen eine Entscheidung über das Inflationsziel bis zum Sommer, sagten die Euroraum-Vertreter. Der slowakische Notenbankchef Peter Kazimir sagte vergangenen Monat, dass es “große Ambitionen” gebe, bis Ende Juni eine Einigung über das Inflationsziel zu erreichen. Bezüglich der gesamten Überprüfung hat Lagarde signalisiert, dass die Ergebnisse um den Dezember herum bekannt gegeben werden könnten.

Die von ihr versprochenen externen Veranstaltungen, um der Öffentlichkeit Gehör zu schenken und sie mit einzubinden, könnten auf einige Monate beschränkt werden. Sie könnten von März, wenn die erste derartige Veranstaltung in Brüssel stattfindet, bis Mai gehen.

Neuer Führungsstil

Der enge Zeitplan erinnert an Lagardes Führungsstil in ihrer vorherigen Tätigkeit als Chefin des Internationalen Währungsfonds. Sie beginnt Sitzungen einige Stunden früher als ihr Vorgänger Mario Draghi, hält Präsentationen kurz und lehnt die Verwendung von Telefonen in Sitzungen ab.

Die strategische Überprüfung ist auch eine Gelegenheit, die Spaltungen unter den geldpolitischen Entscheidungsträgern, die sich unter Draghi gebildet haben, zu überwinden. Die Präsidentin versucht, ihre Kollegen auf ein gemeinsames Anliegen zusammenzuschweißen, nämlich sicherzustellen, dass die EZB ihr oberstes Mandat der Preisstabilität erfüllt.

Inflationsmessung soll sich nicht ändern

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters wird die Überprüfung nicht zu einer neuen Inflationsmessung führen. Stattdessen werde die EZB den Druck auf die europäische Statistikbehörde Eurostat erhöhen, die Probleme bei der Erfassung der Kosten für das Wohnen längerfristig zu beheben, sagten vier mit den Überlegungen vertraute Personen der Nachrichtenagentur.

Derzeit werden bei der Ermittlung der monatlichen Inflationsrate im Euro-Raum von Eurostat die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum nicht erfasst. Mehrere Euro-Wächter, darunter EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatten argumentiert, dass die ausgewiesene Teuerung womöglich nicht angemessen die Preisentwicklung widerspiegele.

Hintergrund der Diskussion über die Inflationsberechnung ist der Immobilienboom in vielen Euro-Ländern. Dadurch sind die Kosten für das Wohnen stark in den Fokus gerückt, da sie bei Haushalten häufig mehr als ein Drittel des verfügbaren Monatseinkommens ausmachen.

Dennoch blieb die gemessene Teuerung im Euro-Raum zuletzt eher schwach. Im Warenkorb von Eurostat - auf diesem basiert die Messung - werden lediglich Mieten mit einem Gewicht von 6,5 Prozent berücksichtigt. In den USA haben die Kosten für das Wohnen dagegen bei der Berechnung der Inflation ein Gewicht von deutlich mehr als 20 Prozent.

Problem der Datenqualität

Den Insidern zufolge ist eine schnelle Lösung angesichts kniffliger technischer Fragen nicht zu erwarten. Zudem sei ein solcher Schritt womöglich in einer späten Phase des Konjunkturaufschwungs nicht sehr sinnvoll, wenn eher erwartet wird, dass der Immobilienpreisanstieg tendenziell nachlässt.

In Zeiten des Immobilienbooms könne die gemessene Inflationsrate um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte höher ausfallen. Es gebe aber wenig Hinweise darauf, dass langfristig die Rate dann deutlich anders ausfallen würde. Hinzu komme, dass die Notenbank das Problem nicht allein lösen könne, da auch andere europäische Institutionen ein Mitspracherecht hätten. Die EZB lehnte eine Stellungnahme zu diesen Informationen ab.

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