Uhren Mechanik für die Massen

Sternglas Automatik Quelle: PR

Feine Uhrmacherkunst, komplexe Kaliber, herausragendes Design gibt es nur beim Juwelier? Zahlreiche Modelle aus Crowdfunding-Projekten rütteln an Grundfesten der Luxus-Uhrenbranche, die sich nun zur Baselworld trifft.

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Zahllose Uhrenliebhaber pilgern von Donnerstag an nach Basel, um sich die Neuheiten der Hersteller von Omega über Rolex bis zu Patek Philippe anzuschauen. Die Anbieter kleiner Marken von Sinn Spezialuhren über Chronoswiss bis Nomos Glashütte werden ihre Modelle in die Vitrinen stellen und auf Bestellungen der Juweliere aus aller Welt hoffen. Die gesamte Branche wird sich selber loben – für ihre Novitäten, die gelungenen Komplikationen, die geschmackvollen Designs von Zeigern und Zifferblättern.
Doch während sie durch die Gänge schieben, wird vielen Händlern, Herstellern und Uhrenjournalisten dank Targetings Werbung in Facebook-Timelines eingespielt für Konkurrenzprodukte, die nicht aus einem der zahlreichen Luxuskonzerne stammen. Für Uhren, die nicht einmal den klassischen Weg über den Handel zum Kunden nehmen wollen. Sie stammen aus erfolgreichen Kampagnen auf Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo.
Erfolg, danach sehnen sich auch wieder die Schweizer Hersteller von Alpina bis Zenith oder die deutschen Marken in den Händen Schweizer Konzerne von A. Lange & Söhne (Richemont) bis Glashütte Original (Swatchgroup). Sie haben nach zahlreichen Jahren des Erfolgs eine Durststrecke hinter sich, die mit dem Markt und den Antikorruptionsgesetzen in China zusammenhängt. Sichtbares Zeichen des nicht länger strahlenden Geschäfts ist unter anderem die verkürzte Dauer der Baselworld. Dazu kommen die Angriffe von Seiteneinsteigern wie Apple über Samsung bis Garmin als neue Wettbewerber - Smartwatches, sind allen Beteuerungen der Luxusuhrenhersteller ein erfolgreiches Segment, das auch ein junges Publikum anspricht. Und dort, wo die Kunden von morgen gewonnen werden müssten – im niedrigen Preissegment – sind die Angebote der arrivierten Hersteller rar. Das bietet Raum für Anbieter wie Sternglas.

Die Neuheiten auf der Baselworld
Rolex: GMT-MasterAls Modell "126710 BLRO" stellt Rolex ein Modell vor, dass dank seines Farbverlaufs auf der Lünette auch den Zusatz "Pepsi" liebevoll von den Fans der Marke angehängt bekommen hat. Einst als Weißgoldversion kommt sie nun in Stahl auf den Markt. Quelle: PR
Hublot Big Bang Unico Red Magic Quelle: PR
Patek Philippe: Reference 5531RHinter dem prosaischen Kürzel verbirgt sich eine Uhr, die dem Weltreisenden die Zeitzonen anzeigt. Und wenn er möchte, schiebt er den Hebel links am Gehäuse und es ertönen per Klangfedern die Stunden und Minuten - der sogenannten Minutenrepetition.
Nomos Glashütte „Autobahn“ Quelle: PR
Schwarz Etienne Roswell 08 Quelle: PR
Chopard Happy Sport Quelle: PR
Ferdinand Berthoud Chronomètr FB-1R.6-1 Quelle: PR

Das Unternehmen in Hamburg hat 2016 von 118 Unterstützern zusammen 16.591 Euro bei Kickstarter eingesammelt. Als "Mission" warb die Marke von Gründer Dustin Fontaine mit dem Appell, dass gutes Design erschwinglich sein muss. Damit fußt er auf der Lehre des Bauhaus, das durch serielle Fertigung gute Gestaltung für einen großen Nutzerkreis verfügbar machen sollte. Und als Bauhaus-Klassiker vermarktet Fontaine heute seine Modelle zwischen 189 und 309 Euro.
Auf die reduzierte Formensprache des 1919 von Walter Gropius in Dessau gegründete Kunstschule berufen sich dabei auch bekannte Marken wie Junghans mit seinen Modellen Max Bill und vor allem Nomos Glashüttes Klassiker "Tangente" – nur zu deutlich höheren Preisen als die Modelle von Sternglas. Selbst Laien erkennen, dass die deutlich preiswerteren Sternglas-Modelle ihre Verwandtschaft nicht nur nicht verleugnen, sondern gar suchen.
Die großen Marken können dagegen wenig tun. Ihnen bleibt nur, stets Innovationen zu liefern, um sich von den Epigonen abzusetzen. Den Erfolg der Marke Ice Watch aus Shenzen mit ihren Kunststoffuhren musste Rolex akzeptieren, auch wenn die Modelle recht offensichtlich sich in knalligen Farben an Erfolgsmodellen wie der Submariner der Schweizer Manufaktur orientierten.

Erfolg in zwei Stunden

Auf den Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo finden sich zahllose erfolgreiche Projekte "100% funded in 2 hours", die sechsstellige Beträge erzielen, um eine weitere skandinavisch-bauhausige Dreizeiger-Uhr am Markt zu platzieren. Für die dünnste Jeans-Uhr reichten 6092 Euro, für eine trapezförmige Uhr mit terrassiertem Gehäuse und dem wilden Namen "The Crash of '29" im Art-Deco-Stil reichten 17 Unterstützer, die in 30 Tagen 41.695 US-Dollar brachten, um eine Auflage von lediglich 49 Stück auf die Beine zu stellen.

Wer lediglich 50 Dollar investieren wollte, bekam immerhin ein Foto von dem Modell. Crowdfunding für Uhren funktioniert etwas anders als bei typischen Technik-Projekten, wie Schallplattenspielern mit schwebenden Plattentellern, die erst durch das Geld der Klein-Investoren zum Leben erweckt werden. Bei Uhren wie der Clairette-Watch kann der Bieter davon ausgehen, dass das Projekt die Anbieter vor keine großen Herausforderungen stellen wird. Sie bedienen sich am Zulieferermarkt wie jede konventionelle Uhrenfirma, die keine eigene Montage hat und lassen in Lohnfertigung die Uhren günstig zusammenbauen - ohne die Kosten für Vertrieb und Marketing aber mit Vorkasse.
Die Anbieter spielen gekonnt mit den Stereotypen der Luxusuhrenbranche, in der Limitierungen und Betonung des Handwerks zum Marketing gehören wie Zahnräder und Federn zum Uhrwerk. In den Inszenierungen halten mit Stoffhandschuhen bezogene Hände glänzende Stahlgehäuse, die Uhren werden mit Papieren und wertig wirkenden Boxen geliefert – für Preise unter 300 Euro. Und nicht selten verbergen sich in den Crowdfunding-Uhren selbst bei niedrigen Preisen mechanische Uhrwerke in den Gehäusen.

Das Herzstück der Luxusuhrenindustrie kann zwar von in vielen Jahren ausgebildeten und talentierten Uhrmachern in – je nach Grad der Komplexität – in hunderten von Stunden montiert, aber auch von Bestückungsautomaten in Minuten zusammengesetzt werden. Ausgerechnet die Swatchgroup, zu der Marken wie Breguet, Blancpain oder Omega gehören, hat mit der Swatch Sistem 51 bewiesen, dass 51 Teile maschinell zusammengesetzt reichen, um eine mechanische Uhr herzustellen.

Mit den Standardwerken der Zulieferer versorgen sich Crowdfundprojekte ebenso wie normale Uhrenmarken. Hergestellt werden sie von dem zur Swatchgroup gehörenden Hersteller ETA. Auch Sellita und der zu Citizen gehörende Werke-Hersteller Miyota produzieren günstige Uhrwerke. Und auch in China gibt es Unternehmen, die mechanische Uhrwerke produzieren können - und sei es für die zahllosen Raubkopien, deren Existenz die Luxusuhrenhersteller gerne unterbinden würde.
So verwundert es auch nicht, dass einige der Crowdfunding-Uhren ihren Ursprung in Hongkong oder China haben. Dustin Fontaines Sternglas rühmt sich, aus Hamburg zu sein. Die Automatik-Uhr mit Miyota-Uhrwerk aus Japan, das auf der Rückseite durch den Glasboden zu sehen ist, erfüllt viele der Anforderungen der Branche, die trotz 24 Stunden arbeitenden CNC-Fräsen in den Werkstätten vor allem das Image der Handarbeit pflegt - und sich bezahlen lässt. Und der wenig daran liegen kann, dass offensichtlich wird, dass durch alternative Finanzierungsmodelle die modernen Kunden anzieht, die vielleicht vor vielen Jahren für eine schöne Uhr noch zum örtlichen Juwelier und einmal im Jahr nach Basel gefahren wären.

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