Atomabkommen Iran fordert Entgegenkommen der EU – und droht sonst mit Urananreicherung

Die EU will den Iran überzeugen, das Atomabkommen weiter umzusetzen. Doch in der iranischen Führung wachsen Zweifel. Die Bevölkerung spürt die Folgen.

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Der Chef von Irans Atomprogramm droht damit, wieder Uran anzureichern. Quelle: Reuters

Teheran Als erster ranghoher westlicher Politiker ist EU-Energiekommissar Miguel Arias Canete nach Teheran geeilt, um Irans Führung im Streit um den von Donald Trump gecancelte Atomdeal am Leben zu halten. „Wir haben die klare Nachricht an unsere iranischen Freunde gesandt, dass wenn sie am Atomabkommen festhalten, Europa dies auch tun wird“, sagte der spanische EU-Kommissar nach Treffen mit ranghohen Ministern in der iranischen Hauptstadt.

Den von US-Präsident Donald Trump einseitig aufgekündigte Nuklearvertrag der fünf UN-Vetomächte sowie Deutschlands ausgehandelte Vertrag zu erhalten, sei „fundamental für den Frieden in der Region“. Doch schon nach dem ersten Treffen mit dem Chef von Irans Atomprogramm-Chef, Ali Akbar Salehi, wurde klar, dass in Teheran die Skeptiker die Oberhand gewinnen: Salehi drohte im Beisein Canetes mit der Wiederaufnahme der durch den Atomdeal weitgehend verbotenen Unrananreicherung, sollte die EU nicht wirtschaftliche Vorteile aus dem Abkommen für sein Land sicherstellen können, sagte Salehi.

Das Spaltmaterial werden dann nicht mehr wie bisher in geringen Mengen und auf 3,67 Prozent angereichert, sondern möglicherweise auf 20 Prozent – womit der Iran dann wieder näher an eine Atombombe käme. „Der Ball ist in ihrem Feld“, sagte Salehi an die Europäer gerichtet, um dann hinzuzufügen: „Ich hoffe, ihre Bemühungen werden Erfolg haben.“ Schließlich wolle er den Tag gar nicht erleben, an dem Iran wieder auf Atomkurs gehe.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Das sehen indes immer weniger Iraner so. „Wir werden um die Früchte aus dem Atomdeal betrogen“, schimpfe ein Teppichhändler auf Teherans großem Basar – dort wo die Macht der Basaris so groß ist, dass die Händler zusammen mit Revolutionsführer Chomenei 1979 den Schah von Persien stürzten. „Sehen sie“, sagte der Mann mit grauem Bart und müden Augen, „kein Mensch kauft. Alle haben Angst was nun wird.“

Anders bei den Gold- und Schmuckhändlern auf dem Basar: Hier drücken sich Frauen die Nasen an den Schaufenstern platt, kommen mit ihren Männern zum Einkaufen. „Wegen dem Ramadan ist natürlich weniger los“, berichtet ein Schmuckverkäufer. „Doch in den Wochen zuvor wurde uns die Bude eingerannt.“ Denn die Landeswährung Rial stürzte ab, die Nachfrage nach Gold und Devisen boomte.

Während Canete und Salehi sprachen, setzte der Sprecher von Irans Atombehörde den Europäern eine Frist bis zum 8. August: Bis dahin solle es „Garantien“ geben, dass die EU sich den von den USA verhängten neuen Sanktionen nicht beuge. Es gebe „eindeutige Schwierigkeiten mit den Sanktionen“, musste Canete allerdings einräumen.

Denn kurz vor der Reise des EU-Energiekommissars nach Teheran hatte der französische Ölkonzern Total mitgeteilt, aus dem fünf Milliarden Dollar umfassenden Investment in das Gasfeld South Pars 11 auszusteigen, sollten die USA keine Ausnahmegenehmigung für das Projekt erteilen.

Zuletzt hatte auch die deutsche DZ-Bank angekündigt, kein Irangeschäft mehr machen zu wollen. Die DZ Bank war neben einigen Sparkassen und der in Hamburg ansässigen Europäisch-iranischen Handelsbank eines der wenigen Institute, dass den Handel mit Persien noch finanziert hatte.

Sollte Total aussteigen, werde der bisherige kleine Anteilseigner an dem Gasfeld – Chinas Staatsölkonzern CNPC – den Anteil der Franzosen übernehmen, sagte Ölminister Bijan Zanganeh nach seinem Treffen mit Canete. Chinesische und russische Konzerne seien weiter sehr interessiert.

„Und es ist jetzt eine riesige Chance für kleine und mittelgroße Unternehmen, bei uns einzusteigen“, meinte der mächtige Ölminister. Dies gelte aber nur für Firmen ohne großes US-Geschäft. Ob die BASF-Tochter Wintershall nun noch weiter versuche, an einem Ölfeld im Westen Irans beteiligt zu werden, „weiß ich momentan noch nicht“, sagte Zanganeh auf eine Frage des Handelsblatts.

Atomprogramm-Chef Salehi sieht, „dass unser Volk die Früchte des Abkommens nicht ernten“ könne und die „Zustimmung in der Bevölkerung zu dem Abkommen abnimmt“. Er sagte aber zu: „Wenn die andere Seite“ – also die EU, China und Russland – nun voll für wirtschaftliche Vorteile aus dem Atomdeal sorge, „bleiben wir dem Abkommen treu“. Wenn nicht, müsse das schlechteste Szenario angewandt werden – und das sehe eine Urananreicherung von 20 Prozent vor. Während in Atommeilern mit etwa fünf Prozent angereichertes Uran gebraucht wird und für eine Nuklearwaffe Uran mit 80 bis 90 Prozent Reinheitsgrad.

Dass die EU-Versuche funktionieren, glaubt Mohammad Ghaderi, Chefredakteur der „Tehran Times“ nicht: Die EU sei nicht wirklich unabhängig von den USA, sät er Zweifel an Europas politischer Eigenständigkeit. Und die Investitionen würden von privaten Firmen getroffen, „die die EU nicht zu Geschäften zwingen kann“. Europa „hat seinen ersten Test zum Erhalt des Atomabkommens nicht bestanden“, bilanziert Ghaderi. Immerhin will Brüssel aber, dass europäische Länder, die iranisches Öl kaufen, Euros an Irans Zentralbank überweisen, damit Geld in Teheran ankommt. Die EIB, Europas Entwicklungsbank, solle verstärkt Iran-Geschäft absichern, versprach Canete.

Mit der Wiedereinführung des sogenannten Blockadestatuts, dass 1996 zum Schutz europäischer Unternehmen vor US-Sanktionen gegen Kuba erlassen worden war, soll europäischen Firmen verboten werden, sich an die neuen Iran-Sanktionen der USA zu halten. Und soll sie vor einem Vorgehen der US-Behörden schützen. Bei Verlusten können sie Schadenersatz beantragen.

Rückschlag am Sonntag

Doch so recht fehlt den Iranern inzwischen der Glaube: Bereits am Sonntag konnte Canete mit Irans Umweltminister eine angekündigte Absichtserklärung für ein Klimaschutz-Abkommen nicht unterzeichnen. Irans Regierung ist zwar dafür, sich weiter am Pariser Abkommen zu beteiligen. Doch der mächtige Wächterrat schießt quer: Die nötigen Maßnahmen seien extrem teuer und die nötigen Umweltschutzmechanismen technisch schwer zu realisieren.

Eine Haltung, so heißt es, die in den nun kommenden Sanktionen beeinflusst ist. Teheran wolle lieber aus dem Klimaschutzabkommen aussteigen, als auch noch wegen sanktionsbedingten Verstoßes zum Einhalten der Auflagen zusätzliche Strafen und Sanktionen zu kassieren.

Die EU habe deshalb „keine Zeit zu verlieren“, sagte EU-Kommissar Canete nach seinem Gespräch mit Irans Außenminister Mohammed Dschavad Zarif in Teheran vor einer kleinen Runde mitgereister europäischer Journalisten. Bereits am Dienstag werde es ein Expertentreffen der EU und Irans in Brüssel geben. Die Öl-Expertengruppe habe bereits am Samstag zum ersten Mal getagt, um Lösungen zu produzieren, „wie wir die Früchte des Abkommens zum iranischen Volk bringen können“.

Irans größte Sorge seien die Ölexporte auf bestehendem Level zu halten. Derzeit beziehen EU-Staaten 548.000 Barrel täglich aus Iran, der insgesamt 2,5 Millionen Fass täglich ausführt. Aber das Problem ist, dass bereits große Tankerflottenbetreiber wie Maersk „kein iranisches Öl mehr transportieren“, wie ein Ölbroker in Singapur sagte. Zudem würden auch Versicherer angehalten, Tanker mit iranischem Öl nicht mehr zu versichern, nachdem die USA am 8. Mai ihren einseitigen Ausstieg aus dem Atomdeal bekannt gaben.

Die EU tut nun alles, dass Iran weiter zum Nuklearabkommen steht. Dazu sollen EU-Firmen überzeugt werden, Investitionen im und Handel mit Iran weiter zu betreiben. „Wir geben finanzielle Unterstützung“, kündigte Canete an. So solle die europäische Investitionsbank EIB künftig Irangeschäft absichern und nationale Handelskammern in der EU in die Lage versetzt werden, Iran-Risiken zu bewerten und Finanzbedarfe zu ermitteln.

Die EU-Regierungen müssten „mobilisiert“ werden, um ihren Firmen zu helfen bei der Erlangung von Ausnahmeregeln für ihre im Iran engagierten Firmen. „Die EU verteidigt europäische Firmen“, stellte Canete klar. So sehe der von den EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Sofia genehmigte Blockadestatus vor, dass europäische Firmen für US-Sanktionen entschädigt und amerikanische Vollstreckungsbefehle in der EU null und nichtig seien.

„Ich bin geborener Optimist“, machte Canete etwas Hoffnung. „Aber meine Hauptsorge ist, wie ein Rückzug europäischer Firmen auf Irans öffentliche Meinung wirken würde.“ Die EU brauche „jetzt schnelle Schritte“, um Iran die Vorteile eines Verbleibs im Rahmen des Atomdeals schmackhaft zu machen. „Wir müssen das Abkommen verteidigen.“ Ansonsten droht die Wiederaufnahme des Atomprogramms und damit letztlich eine unabsehbare Eskalation im ohnehin extrem angespannten ganzen Mittleren Osten.

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