Attentat in Ankara Der gemeinsame Feind

Ein Polizist erschießt den russischen Botschafter in Ankara. Noch ist unklar, warum. Sicher ist: Weder die türkische noch die russische Regierung will den Mord an dem Diplomaten hochspielen – zu viel steht auf dem Spiel.

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Opfer eines Attentats in Ankara: Im russischen Außenministerium umringen Blumen ein Bild des russischen Botschafters Andrej Karlow. Quelle: dpa

„Allahu Akbar“, Gott ist groß, rief der Angreifer nach den tödlichen Schüssen auf Botschafter Andrej Karlow immer wieder, und: „Nur der Tod wird mich von hier fortbringen“. Dann wurde er selbst von anrückenden Polizisten niedergestreckt. Für den Diplomaten kam jede Hilfe zu spät, Wiederbelebungsversuche im Krankenhaus hatten keinen Erfolg.

Schnell stand die Identität des Mörders fest: Es war ein 22-jähriger Polizist. Mit seinem Dienstausweis hatte sich der in Zivil gekleidete Mann Zugang zu der Fotoausstellung verschafft hatte, die Botschafter Karlow eröffnen sollte. Unklar ist, ob er allein handelte oder Hintermänner hat.

Wenige Stunden nach dem Attentat nahm die Polizei in seinem Heimatort Söke in der westtürkischen Provinz Aydin die Mutter und die Schwester des Attentäters fest – wohl eher die übliche, reflexartige Reaktion der türkischen Sicherheitsbehörden.

Während die Ermittler noch versuchen, die Vorgeschichte des Attentäters und seine möglichen Verbindungen auszuleuchten, ist die politische Marschroute klar vorgezeichnet: Ankara und Moskau wollen trotz des Mordes möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen. Und die steht ganz klar unter dem Motto: Kooperation.

Schon kurz nach dem Anschlag telefonierte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit Kremlchef Wladimir Putin. Über den Inhalt des Gesprächs wurde zunächst nichts bekannt. Aber: „Erdogan und Putin dürften nun noch enger zusammenrücken“, meint ein EU-Diplomat in Ankara. „Sie haben einen gemeinsamen Feind: den Terrorismus.“

Im November 2015 hatte der Abschuss eines russischen Bombers für schwere Spannungen zwischen Moskau und Ankara gesorgt. Die türkische Luftwaffe hatte die MIG vom Himmel geholt, als die russischen Piloten an der syrischen Grenze den türkischen Luftraum verletzten. Kremlchef Wladimir Putin reagierte mit Sanktionen, die vor allem die türkische Reisebranche trafen – die Zahl der russischen Urlauber ging um 80 Prozent zurück.

Unter dem Druck des Tourismusdesasters entschuldigte sich Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Sommer für den Abschuss und versöhnte sich mit Putin. Die Fotoausstellung in Ankara, bei deren Eröffnung Botschafter Karlow erschossen wurde, war Teil dieser Wiederannäherung. Die Bilderschau trug den Titel „Russland, wie es von den Türken gesehen wird“.


Warum Russland und die Türkei das Attentat kleinreden

Während der sechsmonatigen Eiszeit in den bilateralen Beziehungen entdeckten beide Länder, dass sie miteinander mehr bewegen können als gegeneinander. Für die Türkei ist Russland ein wichtiger Handelspartner und Tourismusmarkt. Auch gegenüber der EU spielt Erdogan gern die russische Karte aus. Umgekehrt braucht Moskau die Türkei als Transitland für Gasexporte nach Europa.

Deshalb scheinen beide Seiten entschlossen, ungeachtet des Attentats an der Normalisierung ihrer Beziehungen festzuhalten. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, kündigte zwar an, Moskau wolle den Zwischenfall noch am Montag im Uno-Sicherheitsrat ansprechen. Aber das dürfte eher eine Pflichtübung sein.

In Moskau versicherte Leonid Sluzki, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, es werde „keine neuerliche Abkühlung“ in den bilateralen Beziehungen geben, „auch wenn sich das unsere strategischen Gegner im Westen wünschen“. Das Außenministerium in Ankara erklärte am Montagabend, man werde nicht zulassen, dass der Mord an dem russischen Botschafter „einen Schatten auf die russisch-türkische Freundschaft wirft“.

Syrien-Treffen von Türkei, Russland und Iran findet trotzdem statt

Als die tödlichen Schüsse in der Galerie in Ankara fielen, saß Außenminister Mevlüt Cavusoglu im Flugzeug nach Moskau, um an einer Konferenz teilzunehmen. Umkehren musste Cavusoglu nicht: Das für Dienstag geplante Treffen der Außen- und Verteidigungsminister Russlands, der Türkei und des Iran zur Entwicklung in Syrien soll wie geplant stattfinden.

Den Mord an Botschafter Karlow will man offenbar ausklammern. Die Gemengelage ist schon so kompliziert genug: Während die Türkei seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 auf den Sturz Assads hinarbeitet, sind Russland und der Iran Verbündete des Despoten in Damaskus. Alle drei Länder sind in Syrien mit Bodentruppen vertreten.

Die Moskauer Konferenz bekommt dadurch besondere Bedeutung – vor allem aus der Sicht Russlands, das mit dem Treffen seine Rolle als Großmacht im Syrienkonflikt unterstreicht. Aber auch die Türkei unterstreicht mit der Teilnahme an der Konferenz ihren Anspruch auf Mitsprache in der Syrienfrage. Schon deshalb kann Moskau und Ankara nicht daran gelegen sein, anlässlich der Ermordung des Botschafters neue Spannungen aufzubauen.

Besondere politische Brisanz bekommt das Attentat auf Karlow allerdings dadurch, dass der Täter laut Augenzeugenberichten die Worte „Vergesst nicht Aleppo, vergesst nicht Syrien“ rief, nachdem er auf den Botschafter gefeuert hatte. „So lange unsere Brüder nicht sicher sind, werdet ihr nicht sicher sein“ hört man den Attentäter auf einer Videoaufzeichnung rufen. „Wer Anteil an dieser Unterdrückung hat, wird einer nach dem anderen dafür bezahlen“ – offenbar eine Anspielung auf Russlands Rolle als Verbündeter des Assad-Regimes.

Ankara ist nun mit unbequemen Fragen konfrontiert: Warum wurde der russische Botschafter nicht wirksamer geschützt? Angesichts der jüngsten Welle von Terroranschlägen ist das eine naheliegende Frage. Überdies ist der IS in der Türkei gut vernetzt und hat bereits eine Reihe von Attentaten verübt. Die Ermittler müssten sich nun eigentlich besonders dafür interessieren, ob der Attentäter Verbindungen zu islamistischen Extremisten hatte. Doch die Regierung dürfte alles daransetzen, das Attentat kleinzureden, um eine Eintrübung der gerade erst wieder reparierten Beziehungen zu Moskau zu vermeiden.

Moskau spielt dabei offenbar mit: Der Mord sei „ein Resultat der politischen und medialen Hysterie, die Russlands Feinde um das Thema Aleppo entfacht haben“, erklärte der Regierungspolitiker Alexej Puschkow auf Twitter. Die türkische Regierung treffe keine Schuld, ergänzte Puschkow wenig später im russischen Staatsfernsehen.

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