Billiglohnland China Wanderarbeiter Wang rebelliert

Chinas Wanderarbeiter erkämpfen höhere Löhne. Und gewinnen neues Selbstbewusstsein. Sogar die Regierung lenkt ein.

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Wanderarbeiter in Peking Quelle: REUTERS

Füße hoch, schreit Wang Yilai und gibt Gas. In der Sonne glänzen die Autos wie silberne Fische, Wang stößt mit seinem Elektromoped in den Verkehr, überholt von rechts und von links, erzählt, lacht, schreit seinen Freunden Halbsätze zu. Die Ampel schaltet auf Rot, Wang prescht nach vorne, wendet mitten auf der Kreuzung und bricht, als die Ampel auf Grün springt, in den Gegenverkehr hinein. Er lacht, seine Freunde hat er überholt. Dicke Männer in dicken Autos ziehen an ihm vorbei, wahrscheinlich verdienen sie das Zehnfache oder sogar mehr als er. Doch in diesem Moment ist Wang, der Wanderarbeiter, der König der Straße. Hier kennt er jeden Winkel, hier trägt er morgens und abends Zeitungen aus.

Wang hat es eilig, er will in ein Restaurant und seine Geschichte erzählen. Wie es kam, dass andere Wanderarbeiter jetzt bei ihm klingeln und fragen: Wie hast du das gemacht? Wie setze ich kleiner, unbedeutender Wanderarbeiter mich gegen einen Firmenboss durch, Herr über Firmen, Konten und unzählige Angestellte? Wang erzählt, und andere tragen die Geschichten weiter, seine und die der Kollegen, die ganz Ähnliches erlebt haben wie er. Die Geschichten wandern von Werkbank zu Werkbank, von Arbeiterwohnheim zu Arbeiterwohnheim, eine Art mündlicher Arbeiterkatechismus. Marx schrieb: Indem man Arbeiter an einem Platz, der Fabrik, konzentriere, mache man Fremde zu einer Klasse, geeint durch gemeinsame Interessen, verbündet gegen den Chef. Was aber hat das für ein Land wie China zu bedeuten, die Werkbank der Welt, wo Millionen Arbeiter Autos, Handys, Computer zusammenschrauben, still und duldsam, für einen unfassbar günstigen Lohn?

Wandern und arbeiten für einen Hungerlohn

Die Arbeitskosten machen an den Produktionskosten in China im Schnitt nur sieben Prozent aus. An den Fließbändern in China sitzen und schrauben Wanderarbeiter wie Wang Yilai. Vielleicht sind es 130 Millionen Menschen, vielleicht aber auch viel mehr. Sie hämmern, dengeln, putzen, kochen, mauern, oftmals für einen Hungerlohn. Jahrelang hielten die Wanderarbeiter still. Sie kamen, wenn sie gebraucht wurden, sie gingen, wenn es keine Jobs mehr für sie gab. Sie schufteten und klagten nicht. Dieses gewaltige Arbeiterheer hat Chinas kometenhaften Aufschwung überhaupt erst möglich gemacht hat.

Es ist schwer, sich das volle Ausmaß dieser Völkerwanderung vorzustellen, deren Auswirkungen man an fast jedem Ort Chinas spüren kann. 130 Millionen Wanderarbeiter, das bedeutet: unzählige Dörfer, in denen nur noch die Alten die Felder bestellen, unzählige Kinder, die zwischen den Großeltern auf dem Land und den überarbeiteten Eltern in der Stadt pendeln. Millionenstädte wie Shenzhen und Dongguan sind in den vergangenen Jahrzehnten praktisch aus dem Nichts erwachsen. Millionen Menschen wagen ein Abenteuer, weil sie einen Traum haben.

130 Millionen sind eine wirtschaftlich wie politisch relevante Masse. Was aber geschieht, wenn Bewegung in diese Masse kommt?

In den vergangenen Monaten drangen Nachrichten von streikenden Wanderarbeitern auch in den Westen. Dazu kamen erschütternde Berichte über Selbstmorde beim iPhone-Zulieferer Foxconn, die Angestellten hatten die Arbeitsbedingungen einfach nicht mehr ausgehalten. Neu ist das Phänomen der Streiks nicht. Offizielle Zahlen zu Streiks und Protesten hat die Regierung seit Jahren nicht mehr herausgegeben, auch wird über viele Ereignisse gar nicht erst berichtet. Doch geht das offizielle Magazin Outlook Weekly, das von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua herausgegeben wird, für das Jahr 2008 von 280.000 Streiks aus. Und sicher ist: Die Streiks werden mehr. Und sie sind immer besser organisiert. Arbeiter des Honda-Zuliefererwerks in Foshan, die diesen Sommer streikten, holten die Hilfe des berühmten Arbeiterprofessors Chang Kai aus Peking, damit er in ihrem Namen verhandelte. Das Ergebnis: 24 Prozent mehr Lohn.

Immer öfter führen Proteste zum Erfolg. Vor Kurzem wurden in vielen Provinzen auch die Mindestlöhne erhöht. In Shanghai um 17 Prozent. In Henan sogar um ein Drittel. Haben wir es hier mit einer neuen, selbstbewussteren Generation von Wanderarbeitern zu tun?

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