Kleine Signale haben in Krisenzeiten eine große Bedeutung. Als sich US-Wirtschaftsminister Wilbur Ross gestern mit seiner deutschen Kollegin Brigitte Zypries in Washington zu einem ersten Gedankenaustausch traf, gab es nicht nur einen Handshake und freundliche Worte. Der 79-Jährige hatte sich am Revers seines grauen Anzugs auch einen Sticker mit einer deutsch-amerikanischen Doppelflagge angeheftet. Das sei eine "nette Geste", sagte die deutsche Wirtschaftsministerin später. Zypries lobte auch die "guten Gespräche" mit Ross. Der Amerikaner habe "Wert darauf gelegt", dass beide Länder "zusammen arbeiten sollten".
Das Gespräch zwischen Ross ist der politische Höhepunkt ihrer Tour durch die Vereinigten Staaten. Der 79-Jährige wirkt bei der gemeinsamen Pressekonferenz zwar etwas tattrig, sein Gehör hat nachgelassen. Doch Ross gilt innerhalb der US-Regierung inzwischen als der wichtigste Wirtschaftsmann im Kabinett von Donald Trump - ein intellektueller Hardliner mit gutem Draht zum Präsidenten. Er habe auch das Zeug dazu, den Machtkampf in der Regierung zwischen den Protektionisten und denjenigen, die sich mit dem Freihandel noch einigermaßen anfreunden können, für sich zu entscheiden. Wenngleich auch er nicht als glühender Verfechter der Globalisierung gilt.
Doch aus genau diesem Grund lässt das Treffen zwischen Ross und Zypries aufhorchen. Ross sagte nach dem Treffen, die US-Regierung habe bewusst das trans-pazifische Freihandelsabkommen TPP aufgekündigt, nicht aber das US-europäische Abkommen TTIP. Zwar geht keiner davon aus, dass die Verhandlungen für ein neues Abkommen zwischen Europa und den USA kurzfristig neuen Schwung bekommen. Doch ein neuer Deal gilt nicht mehr als Tabu. Mittelfristig scheint vieles möglich, etwa, wenn man strittige Themen wie den Investitionsschutz ausklammert.
Es war nicht das einzige Signal aus Washington für einen Neustart der Beziehungen. Lange Zeit wusste keiner in der deutschen Regierung, wer überhaupt die neue Linie in der Handelspolitik der Amerikaner bestimmt. Und auch jetzt wissen die Beamten in den Berliner Ministerien nicht genau, wen sie als Strippenzieher umgarnen sollten. Doch immerhin sind erste Ansätze einer US-Strategie erkennbar. Wenn es gut läuft für die Deutschen, könnten zerstörerische Einschläge einer Trumponomics-Politik an ihnen vorbei gehen.
Da ist zum Beispiel die Definition von bilateralen Handelsabkommen, die man auf den Fluren des US-Wirtschaftsministeriums und in den Büros des US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer inzwischen anders fasst als noch zu Wahlkampfzeiten und zu Beginn der Regierungszeit. Bekanntermaßen ist Trump ein Gegner multilateraler Verträge. Er steht auf bilaterale Deals, auf "faire Deals" zwischen zwei Partnern, wie er sagt. Doch inzwischen wächst in Washington die Erkenntnis, dass man Europa als singulären Partner definieren könnte, und ein trans-atlantisches Abkommen zwischen den USA und der EU als sauberer bilateraler Deal durchgehen könnte. Sowohl Ross als auch Lighthizer sehen das offenbar so. Die USA haben momentan nur schlicht keine Kapazitäten. Das Freihandelsabkommen Nafta hat Priorität.
Kleine Signale mit großer Wirkung
Auch das Reizthema China könnte Amerikaner und Europäer neu vereinen. Für die amerikanische Regierung ist das Handelsbilanzdefizit das Grundproblem ihrer Wirtschaftspolitik. "Die USA suchen in uns einen Verbündeten gegen China", sagte Zypries nach dem Gespräch mit dem US-Handelsbeauftragten Lighthizer. Zwar hat Deutschland ein großes Interesse an Handel mit China. Doch auch in Deutschland wächst der Unmut gegenüber einer Handelspolitik, die es chinesischen Unternehmen ermöglicht, deutsche Firmen zu kaufen, aber umgekehrt den bedingungslosen Marktzutritt verwehrt.
Als erste Maßnahmen einer neuen Liaison zwischen den Wirtschaftsministerien in Washington und Berlin definierten Ross und Zypries Arbeitsgruppen für drei Themenfelder: Berufliche Bildung, weil die Amerikaner darin ein eigenes Defizit erkannt haben. Industrie 4.0, weil Digitalisierung überall auf der Welt Top-Thema ist. Und eben China, weil beide Länder ihre Probleme mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht haben. "Wir werden den Amerikanern Informationen zur Verfügung stellen", sagte Zypries nach ihrem Gespräch mit Ross. Es gebe schließlich "gemeinsame Interessen wegen der Stahlüberproduktion" in China. Künftig werde man etwa die Position der deutschen Stahlindustrie in der Arbeitsgruppe einfließen lassen.
Zypries' Werbetour für deutsche Interessen bezeichnete die SPD-Ministerin als "gelungen". Den Vorwurf, sie habe viel zu lange gewartet, nach Washington zu reisen, lächelte sie weg: Es habe auch lange Zeit keine klaren Verantwortlichkeiten innerhalb der US-Administration gegeben. Nach vielen Gesprächen in Washington mit Regierungsvertretern und Politikern beider Parteien sei ihr klar geworden, dass "alle der Auffassung sind, dass wir freien Handel brauchen".
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Die Frage bleibt nur, wie die US-Amerikaner Globalisierung definieren wollen. Es scheint sich immer klarer heraus zu kristallisieren, dass Deutschland und Europa nicht die größten Feindbilder der USA sind. US-Präsident Trump forderte die Europäer anfangs noch auf, es den Briten mit ihrem Brexit gleichzutun. Doch diese Töne vernimmt man seltener. Auch die NATO scheint längst nicht mehr obsolet.
Die Probleme sind damit aber nicht gelöst und die Unsicherheiten nicht vom Tisch. Einigen Industrien droht Washington mit Strafzöllen, weil Billigimporte die nationale Sicherheit gefährdeten könnten. Derzeit laufen Prüfungen, ob Wirtschaftsminister Ross seinem Präsidenten die Einführung neuer Zölle empfehlen wird. Dass er eine gewisse Affinität zur Old Economy hat, zeigt sich an den Bildern im Besucherzimmer des Wirtschaftsministers. Ross ließ alte Bilder durch Aufnahmen von glühendem Stahl ersetzen. Strafzölle könnten auch anderen Industrien drohen.
Auch das Handelsdefizit der USA gegenüber Deutschland bleibt ein Streitthema. "Wir glauben nicht, dass das Defizit am Handelsabkommen liegt", sagte Zypries. Doch die US-Regierung wie etwa Handelsbeauftragter Lighthizer sieht das anders. Die Tatsache, dass die Amerikaner mehr Dienstleistungen exportierten als importierten, spiele in der Analyse der Amerikaner offenbar keine Rolle. Hier klaffen inhaltliche Welten auseinander. Auch das Verhältnis zur Welthandelsorganisation WTO ist noch ungeklärt.
Auch bei der Frage, wie man den G20-Gipfel in Hamburg zu einem Erfolg bringen kann, gibt es keine Einigung.
Bislang endete jeder Gipfel mit einem Schlussplädoyer, das folgenden Satz beinhaltete: "We will resist all forms of protectionism". Diesen Satz hatten die Amerikaner in dem Schluss-Communique beim Finanzministertreffen in Baden-Baden gestrichen. Einen alternativen Satz gibt es noch nicht. Kleine Signale haben in Krisenzeiten eine große Bedeutung.