
Seinen 80. Geburtstag hatte Fidel Castro noch vom Krankenbett aus begangen. In der Hand hielt er eine aktuelle Tageszeitung zum Beweis dafür, dass er zwei Wochen nach seinem Rücktritt als Präsident noch am Leben war.
In den folgenden zehn Jahren verfolgte der kubanische Revolutionsführer weitgehend unbeteiligt das politische Wirken seines Bruders Raúl. Der Nachfolger räumte der Bevölkerung mehr wirtschaftliche Freiheiten ein und beendete nach einem halben Jahrhundert die diplomatische Eiszeit mit den USA. Seinen 90. Geburtstag am (heutigen) Samstag feiert Fidel Castro nun in einem völlig veränderten Kuba.
Von der verstaatlichten Wirtschaft und der Kontrolle der Regierung über fast alle Lebensbereiche ist nicht mehr viel übrig geblieben. Heute führen Hunderttausende Kubaner ein eigenes Unternehmen, kaufen und verkaufen wie selbstverständlich ihre Häuser und Autos und beziehen importierte Handys über das Internet. Castro wichtigster Verbündeter Venezuela befindet sich im wirtschaftlich im freien Fall und drosselt die Lieferung von subventioniertem Öl, von dem Kuba abhängig war. Zehntausende Kubaner wandern in die USA aus, auf der Insel werden die Fachkräfte knapp.
Die Geschichte der Kuba-Krise
Washington erlässt ein Teilembargo. Schon unmittelbar nach der Revolution 1959 hatten die USA die Wirtschaftshilfe eingestellt und die Einfuhr von Zucker gedrosselt, Kubas wichtigstem Exportgut.
Mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA versucht eine Söldnertruppe von Exilkubanern, das Regime zu stürzen. Kubas Revolutionsarmee schlägt die Invasion in der Schweinebucht zurück.
Die USA verhängen ein komplettes Embargo über den Handel mit Kuba. Die Kubakrise führt die Welt an den Rand eines Atomkrieges. Wegen der Stationierung sowjetischer Raketen auf der Insel verhängt US-Präsident John F. Kennedy eine Seeblockade, Kremlchef Nikita Chruschtschow zieht die Raketen wieder ab.
16 Jahre nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen eröffnet Washington in Havanna eine Interessenvertretung unter dem Dach der Schweizer Botschaft. Später vertritt die Schweiz auch Kuba in den USA.
Der US-Kongress verabschiedet den „Cuban Democracy Act“, der US-Firmen in Drittländern jeden Kuba-Handel untersagt.
Mehr als 30.000 Kubaner fliehen per Floß in Richtung USA. Washington und Havanna einigen sich später darauf, dass die USA auf See aufgegriffene Bootsflüchtlinge nach Kuba zurückbringen.
Nach dem Abschuss von zwei Kleinflugzeugen einer exilkubanischen Organisation durch die kubanische Luftwaffe setzt US-Präsident Bill Clinton das umstrittene Helms-Burton-Gesetz in Kraft, das das Kuba-Embargo noch einmal verschärft.
Die USA lockern ihre Sanktionen. So soll es künftig mehr Charter-Flugverbindungen nach Kuba geben.
Erstmals seit der Verhängung des Handelsembargos vier Jahrzehnte zuvor liefern Firmen aus den USA wieder Lebensmittel.
US-Präsident George W. Bush verschärft Reisebeschränkungen für US-Bürger und schränkt Geldüberweisungen weiter ein.
US-Präsident Barack Obama hebt die Reisebeschränkungen für Exilkubaner auf. Außerdem dürfen sie wieder Geld nach Kuba schicken. Bald darauf gibt es auch wieder Gespräche auf Regierungsebene.
Die USA und Kuba schlagen ein neues Kapitel ihrer Beziehungen auf. In beiden Hauptstädten sollen wieder Botschaften eröffnet werden, die USA heben zusätzlich einige Beschränkungen beim Handel und bei Finanzgeschäften teilweise auf.
In Havanna beginnen Verhandlungen zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen. Obama plädiert für die Aufhebung des Kuba-Embargos.
Die größten ökonomischen Hoffnungen setzt Havanna in einen erwarteten Tourismusboom nach der Wiederaufnahme des gewerblichen Luftverkehrs mit den USA Ende August. „Die Zukunft liegt bei den jungen Leuten, und die jungen Kubaner warten nicht darauf, dass sich die Dinge von alleine verändern“, sagt der 25 Jahre alte Tanzproduzent Ernesto Gonzalez. „Heute ist viel mehr Information verfügbar als vor 50 Jahren, und diese Öffnung zur Welt, dieser neue Boom, Kuba als wichtiges Trendthema, lassen uns junge Leute die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen, was die Entwicklung dieses Landes und unsere eigene Entwicklung angeht.“
Politisch sind es unsichere Zeiten. Über den Umgang mit Castros politisches Erbe gibt es keinen Konsens. Die Regierung und ihre Anhänger halten am Nationalismus des „Maximo Líder“ fest und rühmen das von ihm geknüpfte soziale Netz, das jedem Kubaner kostenfrei Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung bietet. Weniger Erwähnung finden dagegen die Folgen der jahrzehntelangen Planwirtschaft, die zusammen mit dem US-Handelsembargo dazu führte, dass die angeschlagene Wirtschaft und Infrastruktur der Insel noch immer auf Milliardenhilfen aus dem Ausland angewiesen sind.
Um den Geburtstag des langjährigen Staatschefs macht die Regierung nun nicht viel Tamtam. Es sind keine großen Kundgebungen oder Paraden geplant, auch Besuche ausländischer Würdenträger wurden nicht bekanntgegeben. Einige Ministerien organisierten kleinere musikalische Darbietungen und Foto-Ausstellungen zu Ehren Castros. Das größte für Samstag angekündigte Event ist ein inselweites Konzert von Kinderchören.
Die Regierung hat vorab nicht einmal mitgeteilt, ob sie Fotos oder ein Video von Castro veröffentlichen wird. Der Ex-Präsident hatte sich zuletzt im April in der Öffentlichkeit gezeigt. Damals hielt er eine Rede zum Abschluss des Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas. Er rief darin das Land auf, auch angesichts des Tauwetters mit den USA an seinen sozialistischen Idealen festzuhalten.
Castros Stimme zitterte zwar, doch insgesamt wirkte der 89-Jährige für sein Alter kraftvoll und gesund. Seine lange Abwesenheit aus der Öffentlichkeit hatte zuvor immer wieder zu Spekulationen über seine Gesundheit geführt, seitdem er wegen Komplikationen nach einer Unterleibsoperation die Macht an seinen Bruder abgegeben hatte.
„Bald werde ich 90, was ich niemals erwartet hätte“, sagte Castro, der Jahre des Nahkampfs während der Revolution ebenso überlebte wie Dutzende von den USA unterstützte Attentatsversuche nach seinem Sieg. „Bald werde ich sein wie alle anderen. Für jeden von uns kommt seine Zeit, aber die Ideen der kubanischen Kommunisten werden Bestand haben.“ Die Begeisterung darüber dürften viele Kubaner kaum teilen, die noch heute unter kärglichen Gehältern, Güterknappheit und lähmender Ineffizienz als Folgen der Planwirtschaft leiden.
Etliche Inselbewohner bezeichnen sich selbst inzwischen offen als Kapitalisten und halten Castros Wirtschaftspolitik im Nachhinein für falsch. Andere hingegen loben die niedrige Kriminalitätsrate in dem Karibikstaat, die Vorzüge bei Bildung, Gesundheitsversorgung, Kultur und Sport für jedermann sowie die staatliche Unterstützung dafür, dem Privatleben Vorrang zu geben vor beruflichen Verpflichtungen. „Die Revolution hat viele Fehler gemacht, aber die Menschen in Kuba glauben an Fidel, weil seine Ideen großherzig waren“, sagt die 49 Jahre alte Sängerin Marisel Avila. „Wir müssen unsere Wirtschaft ankurbeln, ohne uns selbst zu verkaufen, ohne unsere Geschichte zu verleugnen, aber wir können auch nicht in der Vergangenheit leben.“