Freytags-Frage
Quelle: dpa

Wie können wir den ärmsten Ländern in der Coronakrise helfen?

Die Folgen der Pandemie werden nur langsam sichtbar. Deutschland wird sie wohl ganz gut abmildern können. Entwicklungsländer und viele Schwellenländer können das nicht. Welche Unterstützung sie jetzt brauchen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die sozialen und ökonomischen Folgen der Coronakrise werden nur langsam sichtbar und in ihrer Dimension wirklich erfassbar. Durch das schnelle Eingreifen der Bundesregierung werden die Folgen in Deutschland relativ gut abgemildert – so zumindest der Eindruck, den man der Berichterstattung entnimmt. Eigenes Erleben gibt es ja kaum noch.

Man kann also durchaus nur hoffen, dass die Langfristwirkungen der Krise für uns moderat bleiben und die Krise selbst hart, aber kurz ausfällt. Dazu bedarf es natürlich einer vorausschauenden und nachhaltigen Wirtschaftspolitik mit dem Verzicht auf Maßnahmen zur Abschottung oder Ausweitung staatlicher wirtschaftlicher Aktivitäten mit dem Ziel der Autarkie.

Trivial ist eine solche Politik nicht. Der französische Präsident Emmanuel Macron träumt bereits von mehr Planification, also dem französischen Mix aus Plan- und Marktwirtschaft, sowie europäischen Wertschöpfungsketten, wie sie sich auch in der „Industriestrategie 2030“ Bundeswirtschaftsminister Altmaier finden lassen. Die Versuchung zur Abschottung nach Krisen ist immer groß – da bildet auch die Coronakrise keine Ausnahme. Eine solche Politik trifft nicht nur uns hart und wird die für den Aufschwung nach der Krise benötigten Kräfte keinesfalls entfesseln.

Sie schadet auch den Entwicklungs- und Schwellenländern, die von der Coronakrise gleich doppelt hart getroffen werden. Erstens drohen sehr starke gesundheitliche Schäden, da die Gesundheitssysteme nicht sehr belastbar sind und das Social Distancing oftmals nicht so einfach möglich ist wie in den Industrieländern. Zweitens drohen schwerwiegende ökonomische und soziale Schäden eines langen Shutdowns, weil Sozialsysteme nicht sehr leistungsfähig sind – wenn sie denn überhaupt existieren.

Nicht zuletzt durch die Einbindung immer größerer Bevölkerungsanteile aus Entwicklungsländern in die internationale Arbeitsteilung, zum Beispiel durch die Mitwirkung in globalen Wertschöpfungsketten und den Export von Dienstleistungen, namentlich von Tourismus-Angeboten, sind einige Entwicklungsländer zu Schwellenländern geworden. In vielen Entwicklungsländern hat sich eine Mittelschicht gebildet. Die Armutsbekämpfung war in den vergangenen zwei Jahrzehnten recht effektiv. Nun droht diesen Ländern, dass die Erfolge durch die Coronakrise zum Teil oder vollständig zunichte gemacht werden.

Deshalb kommt es in dieser Situation neben dem eigenen Krisenmanagement für die Entwicklungsländer stark auf die Industrieländer an. Letztere können aktiv zur Krisenbekämpfung und zum Wiederaufbau beitragen. Sie können aber auch die Krise massiv verschärfen.

Was ist also zu tun?

Erstens können sie direkte Katastrophenhilfe leisten. Dies geschieht zumeist relativ geräuschlos und unaufgeregt. Im Moment sind glücklicherweise nur wenige Länder gesundheitlich so stark von der Coronakrise betroffen, dass diese Hilfe dort überhaupt notwendig scheint.

Zweitens können Industrieländer den Regierungen in Entwicklungsländern durch Budgethilfen unter die Arme greifen. Dadurch erhöhen sich die Spielräume für konkrete Maßnahmen gegen das Virus. Das ist heute umso wichtiger, da viele Entwicklungsländer unter Kapitalabflüssen leiden und weniger Transfers aus der Diaspora erhalten als üblich. Hier können die Industrieländer durch direkte Hilfszahlungen oder auch durch Schuldenerlass beziehungsweise Stundung von Schulden, wie gegenwärtig von den G20-Ländern geplant, helfen.

Im ersten Fall steigen die Mittel direkt, im zweiten Fall können Mittel, die für den Schuldendienst vorgesehen sind, umgeschichtet werden. Für beide Maßnahmen spricht die unmittelbare Finanzwirkung. Dagegen sprechen die üblichen Gründe: Korruption, Missbrauch der Mittel, Crowding-Out-Effekte, Aufwertungen als Folge der Zuflüsse (auch bekannt als holländische Krankheit). In der gegenwärtigen Situation überwiegen die Vorteile allerdings klar. Selbstverständlich sollten die Adressaten solcher Finanzmittel trotzdem genau ausgewählt werden.

Drittens gilt während und auch nach einer solchen Krise dieselbe Logik wie ohne die Krise: Das wichtigste Hilfsinstrument für arme Länder ist und bleibt die Zusammenarbeit mit den Industrieländern und damit auch der Außenhandel. Die Möglichkeiten der Entwicklungsländer, schnell die Krise zu überwinden, hängen davon ab, ob ihre Unternehmen und Arbeitskräfte in die globale Arbeitsteilung eingebunden bleiben – beziehungsweise noch intensiver eingebunden werden. Es ist keineswegs ausgemacht, dass es so kommen wird.

Denn schon nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 haben die G20-Staaten (stellvertretend vor allem für die reicheren Länder) ihre Außenhandelsbarrieren drastisch erhöht. Dies hat sich seit dem Ausbruch der Coronakrise wiederholt, vermutlich sogar in einem noch drastischeren Ausmaß.

So sprechen sich europäische Regierungschefs oder der US-Präsident Trump im Zuge der Krise ganz offen für Einschränkungen der internationalen Zusammenarbeit, bisweilen sogar für Autarkie, aus. Für Entwicklungsländer klingt das wie eine Drohung. Allerdings sollten die europäischen Regierungen nicht vergessen, dass eine dramatische Wirtschaftslage in Entwicklungsländern sich auch auf ihre Länder sehr negativ auswirken kann. Die Bilder und die politischen Konsequenzen der sogenannten Flüchtlingskrise im Sommer 2015 sind immer noch präsent. Nur sehr wenige der damals aktiven Regierungschefs der Europäischen Union sind noch im Amt. Rechtspopulisten haben erheblich an Boden gewonnen.

Eine weitere Flüchtlingskrise – direkt nach der Coronakrise – will vermutlich niemand heraufbeschwören. Deshalb muss es im Interesse aller Bürger und politischen Entscheidungsträger in der aktuellen Situation sein, die Arbeitsteilung über den Globus am Leben zu erhalten. Parolen wie „Europa zuerst“ und der Versuch, Wertschöpfungsketten ausschließlich europäisch zu gestalten, sind nicht problemgerecht und sorgen für weltweite Spannungen. Die Coronakrise sollte die globale Zusammenarbeit vertiefen. Dadurch wird den Entwicklungsländern (wie auch uns) am besten geholfen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%