Görlachs Gedanken
Hongkong: Schüler halten sich an den Händen, um eine Menschenkette um eine Schule zu bilden. Tausende von Schülern zeigten so nach gewalttätigen Wochenendkonflikten Solidarität. Quelle: dpa

Was wird Peking tun?

Seit drei Monaten halten die Proteste in Hongkong an. Unter Präsident Xi wird es keine Abspaltung geben. Er will die Stadt in Reih' und Glied aller von ihm autokratisch regierten und überwachten Städte sehen.

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Hongkong ist immer noch unter Feuer. Zwar hat die Chief Exekutive der Sonderverwaltungszone ihr umstrittenes Auslieferungsgesetz nun formal zurückgezogen und eine unabhängige Untersuchung der Polizeiaktionen gegen Demonstranten zugesichert. Aber die Demonstranten verlangen mehr. Sie wollen umfassende Reformen, die die ursprünglich bei der Rückgabe Hongkongs an China 1997 zugesicherte Eigenständigkeit verwirklicht. Hongkong besitzt Sonderrechte, die unter anderem Demokratie und eigene Gerichtsbarkeit umfassen. Diese wurden kontinuierlich von Peking eingeschränkt, zuletzt sorgte die Wahl von Carrie Lam Anlass für heftige Proteste, die unter dem Namen Regenschirm-Proteste in die Stadt-Annalen eingingen.

Die Studierenden wehrten sich damals mit aufgespannten Regenschirmen gegen das Tränengas der Polizei. In diesem Protestsommer wurde an einem Nachmittag soviel Tränengas verschossen wie während der gesamten Demonstrationen im Jahr 2014. Das zeigt, wie sehr die Lage eskaliert ist. Ungeachtet der teils gewaltsamen Ausschreitungen demonstrieren in der Stadt Schulkinder und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gleichermaßen für mehr Demokratie. Auf dem Hoch der Demonstrationen waren zwei der sieben Millionen Einwohner des Stadtstaates auf der Straße. Der Geist der Demokratie ist aus der Flasche. Würde Peking nun hinter den Kulissen Carrie Lam zum Rücktritt auffordern, die kommunistische Führung könnte nicht einfach so wieder einen Kandidaten oder eine Kandidatin durchboxen.

Lam hat sich in Peking mit einer Fehleinschätzung weit aus dem Fenster gelehnt. Ihrer Auffassung nach wären die Proteste zu kontrollieren, zum Beispiel, indem man die Anführer der Proteste aus dem Jahr 2014 ins Gefängnis sperrte. Nun folgen die Proteste aber nicht den Mustern alter, formaler Hierarchien, sondern sind informell. Es gibt keine Anführer in Hongkong, sondern ein Anliegen, dem sich Millionen verschreiben.

Die Hongkonger wollen am Morgen der nächsten Wahl in einer richtigen, echten Demokratie aufwachen. Mit weniger werden sich die Bewohner der Stadt, die unter schweren sozialen Problemen wie mangelndem bezahlbarem Wohnraum leidet, nicht zufriedengeben. Sie wollen Einfluss nehmen auf die Politik, die ihr tägliches Leben bestimmt. Derweil ist es um die parlamentarische Demokratie im Land des einstigen Kolonialherrn nicht gut bestellt. Der britische Premierminister Boris Johnson schickte die Abgeordneten in eine Zwangspause. Der US-Kongress hingegen wird eine Bill verabschieden, die demokratische Selbstbestimmung für Hongkong einfordert. Die chinesische Führung hat sich darüber wenig erbaut gezeigt.

Die offene Frage ist nun, was Peking tun wird. Präsident Xi hat seine strenge Regentschaft mit dem Schicksal Chinas verknüpft. Unter ihm werde es keine Abspaltung geben, weder das von ihm als abtrünnig betrachtete, jedoch selbstständige Inselland Taiwan, noch Hong Kong, Tibet oder die von Uiguren bewohnten Provinz Xinjiang. Das Carrie Lam den Demonstranten entgegenkommen musste, wird in der Hauptstadt sicher von nicht wenigen als Gesichtsverlust betrachtet. Jedes weitere Entgegenkommen wird den internen Rechtfertigungsdruck auf Präsident Xi erhöhen.

Im Moment steht es nach Punkten für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Hongkong. Bekannte Demonstranten wie Joshua Wong, einer der Anführer der Regenschirm-Bewegung, touren durch die Welt, um auf das Schicksal Hongkongs aufmerksam zu machen. Das Schicksal der Stadt ab dem Jahr 2047, das ist das Jahr in dem der Vertrag über die Sonderverwaltung der Stadt endet, ist unbestimmt. Es zeigt sich aber klar, wo China unter Xi die Stadt sehen will: in Reih' und Glied aller von ihm autokratisch regierten und überwachten Städte. Hongkong muss das Momentum der Schwäche Pekings nutzen, um über sein Schicksal ab 2047 in Verhandlungen zu treten. Es geht um alles.

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