Iran „Sie versuchen die katastrophale wirtschaftliche Lage als Instrument zu nutzen“

Quelle: dpa

Die neuen Sanktionen gegen den Iran bringen nicht mehr viel, aber die Proteste dort zeigen Wirkung. Iran-Expertin Andrea Claudia Hoffmann von der HAW Hamburg schildert nach ihrer Rückkehr aus Teheran im Interview ihre aktuellen Eindrücke aus einem verschlossenen Land.

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WirtschaftsWoche: Frau Prof. Hoffmann, die Bundesregierung hat angesichts der fortgesetzten Unterdrückung von Frauen neue Wirtschaftssanktionen gegen das Regime in Teheran verhängt. Macht das dort noch Eindruck?
Andrea Claudia Hoffmann: Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem Iran ist auf rund 1,5 Milliarden Euro zusammengeschrumpft. Angesichts dieses vergleichsweise geringen Niveaus richten neue Sanktionen kaum noch etwas aus. Die Einschränkungen treffen vor allem die deutschen Unternehmen, die in diesem Jahr Waren im Wert von rund 1,4 Milliarden Euro in den Iran exportiert haben, hauptsächlich Maschinen und Agrargüter. Dagegen waren die iranischen Ausfuhren nach Deutschland mit rund 300 Millionen Euro eher gering, das sind hauptsächlich Nahrungs- und Futtermittel.

Werden die Wirtschaftsbeziehungen angesichts der wachsenden Proteste im Land und dem Druck der USA ganz zum Erliegen kommen?
Deutschland ist immer noch der größte Handelspartner des Iran in Europa, aber verglichen mit früher ist das Volumen sehr gering geworden, obwohl im Zuge des Atomabkommens 2016 die Sanktionen zwischenzeitlich etwas gelockert worden waren. Ausweislich der Zahlen scheint sich der Warenaustausch jetzt aber auf niedrigem Niveau zu stabilisieren.

Sie waren kürzlich im Iran und eine der wenigen westlichen Besucher, die noch ins Land dürfen. Was waren Ihre Eindrücke?
Wirtschaftlich gesehen sind die Auswirkungen der enormen Inflation von offiziell 54 Prozent nicht mehr zu übersehen, wobei man sagen muss, dass die Zahlen der Regierung stark geschönt sind. Vor allem Lebensmittel sind irre teuer geworden – in diesem Bereich liegt die Inflation sogar offiziell bei 100 Prozent, in Wahrheit dürfte es noch schlimmer sein. Besondere Lebensmittel wie etwa Käse sind aus lokalen Supermärkten verschwunden, weil sich die normale Bevölkerung das nicht mehr leisten kann. Das gilt auch für viele Importprodukte – sie findet man nur noch in den Geschäften für die Klasse der Wohlhabenden.

Andrea C. Hoffmann forscht und lehrt als Professorin für Investigativen Journalismus an der HAW Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Spannungsfeld von Kriegs- und Krisenberichterstattung. Quelle: Presse

Welche Auswirkung hat die Hyperinflation auf die politische Stimmung im Land?
Die Protestbewegung versucht, die katastrophale wirtschaftliche Lage als Instrument zu nutzen und hat schon wiederholt zu mehrtägigen Boykotts gegen Geschäfte aufgerufen, um das Regime wirtschaftlich unter Druck zu setzen. In diese Richtung zielen auch die Aufrufe an die Bevölkerung, die einheimische Währung in Gold umzutauschen. Die Wirkung ist schwer abzuschätzen; fest steht aber, dass die normalen Menschen immer ärmer werden. Die Weltbank beziffert das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf gerade einmal 2760 Dollar. Im Vergleich dazu sind es in Deutschland 50.800 Dollar, was das enorme Gefälle verdeutlicht. 

Haben die Proteste der Frauen gegen das Kopftuch im Iran zugenommen?
Es gibt oft nur kleine und spontane Proteste, deshalb sind sie in einer 17-Millionen-Stadt wie Teheran nur schwer zu beobachten und einzuschätzen. Was man aber sagen kann ist, dass der Unmut sich nicht nur gegen die Bekleidungsvorschriften richtet, sondern breiter wird. Im Unterschied zu den ersten Protesten nach dem Tod von Mahsa Amini, der vor allem von Frauen ausging, beteiligen sich inzwischen auch Männer an den Protestaktionen. Es geht längst nicht mehr nur um das Kopftuch, auch die Systemfrage wird inzwischen gestellt.

Glauben Sie, dass das Regime kippt?
Es gab in der 43-jährigen Geschichte der Islamischen Republik schon viele Unruhen, die nicht zum Umsturz führten. Allem Anschein nach haben im Moment die Hardliner das Sagen, was die jüngsten Todesurteile gegen einzelne Protestierende zeigen. Wie diese aktuelle Kraftprobe zwischen der Regierung und relevanten Teilen der Bevölkerung ausgeht, lässt sich nur schwer sagen – ist aber noch nicht entschieden.

Es gab Berichte, wonach die Religionspolizei abgeschafft worden sei. Deutet das nicht auf ein Nachgeben der Regierung hin?
Ich kann diese Meldungen zur Religionspolizei nicht verifizieren, aber es fällt auf, dass sie zumindest nicht mehr auf Streife geht und auf der Straße sichtbar ist. Inzwischen laufen auch immer mehr Frauen in normalen Alltagssituationen wie etwa beim Einkaufen ohne ein Kopftuch herum, das hat es in dieser massiven Form noch nie gegeben.

Schreitet niemand mehr ein?
Ich habe das zumindest nicht gesehen und es wird inzwischen offenbar toleriert, weil immer mehr Frauen kein Kopftuch mehr tragen. Da ist eine kritische Masse erreicht – man kann einfach nicht alle maßregeln oder gar verhaften, die sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Das Kopftuch ist ja ein Symbol für die islamische Republik und deshalb ist das Ablegen des Tuchs eine gesellschaftliche Zäsur. Spannend wird es im Frühjahr, wenn die Kleidung wegen der steigenden Temperaturen ohnehin lockerer wird. Fraglich ist, ob die Behörden dann – wie sonst üblich um diese Jahreszeit – wieder stärker kontrollieren oder eben nicht mehr.

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