Literaturempfehlungen Diese China-Bücher müssen Sie lesen!

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Nicht fragen. Lesen.

China versteht das als faires Angebot, als weltpolitischen Masterplan für die „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ (Präsident Xi). Das Ziel, so Zhao: die Überwindung westlicher Herr- und Knecht-Beziehungen, das „konfuzianische Optimum“ allseitiger Nutzenmaximierung, die „Inklusion der Welt“: zum Wohle des Weltklimas und des Weltfriedens. Zhao ist so etwas wie der philosophische Weichzeichner dieses politischen Programms. Er entwirft in scharfer Abgrenzung zu westlichen Werten (Konkurrenz, Individualität, Menschenrechte) das Paradox einer totalen Weltinnenpolitik im Sinne des größten denkbaren Kollektivs: der Menschheit eben. Er sagt nicht, China sei der natürliche Inhaber des „tianxia“. Aber welches Land könnte er sonst meinen? Das Buch ist, gelesen als Dokument geisteswissenschaftlicher Auto-Propaganda, nicht weniger als eine Offenbarung.

Und verlangt ein Gegengift: Clive Hamilton und Mareike Ohlberg haben mit „Die lautlose Eroberung“ (2020) ein materialreiches Kompendium der Weltordnungsansprüche Chinas vorgelegt – und der antidemokratischen Machtmittel, derer sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) dabei bedient. Hamilton und Ohlberg verstehen „China“ als „von der KPCh beherrschte politische Einheit“. Sie zeichnen detailliert nach, wie die Partei „westliche Demokratien unterwandert“ und gehen schonungslos mit westlichen Politikern, Diplomaten und Managern ins Gericht, die sie zu politischen Lobbyisten Pekings zählen.

Dabei schießen die beiden zuweilen weit übers Ziel hinaus. Gewiss: Man muss etwa Altkanzler Helmut Schmidt für sein dauerndes Herrscherlob mit Blick auf China kritisieren; aber ein willfähriges Sprachrohr chinesischer Interessen war er deshalb noch lange nicht. Und was heißt, Stichwort Hongkong, „lautlose Eroberung“? Man kann den Kadern in Peking viel vorwerfen. Aber nicht, dass sie ihre Ambitionen hinterm Berg hielten. Egal. Das Buch von Hamilton und Ohlberg gehört nicht auf den Nachttisch jedes China-Interessierten. Dafür sind die Belege für die Übergriffigkeit der KPCh und die Willfährigkeit westlicher Politiker, Diplomaten und Manager dann doch zu beunruhigend.

„Die lautlose Eroberung: Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“ von Clive Hamilton und Mareike Ohlberg ist 2020 im DVA-Verlag erschienen. Quelle: Presse

Ganz anders die Perspektive des Politikwissenschaftlers Parag Khanna, in dessen Buch das Reich der Mitte als rein defensiver Welthegemon und neutraler Wohlstandsmotor einen allzu freundlichen Auftritt hat. Khanna liebt in „Unsere asiatische Zukunft“ (2019) den großen Auftritt, den Satellitenblick des Globalhistorikers, leider auch zuweilen die pauschale Kritik am „Westen“ und den windschiefen Vergleich: Die Seidenstraßen-Initiative Chinas etwa ist für ihn nur „vergleichbar mit der Gründung der Vereinten Nationen und der Weltbank Mitte des 20. Jahrhunderts und dem Marshallplan zusammen“.

Man wünschte sich an solchen Stellen, Khanna hielte es mit dem früheren KP-Führer Zhou Enlai, der mal ironisch bemerkt haben soll, für eine Beurteilung der Französische Revolution sei es noch „zu früh“. Gleichwohl: Khanna trägt nicht nur viele Belege für die „Asiatisierung“ Asiens, also das Zusammenwachsen eines heterogenen, zunehmend selbstbewussten Kontinents, zusammen, sondern er weiß die Zeit seit 1990 auch als Wirtschaftswunderjahre vieler asiatischer Länder zu skizzieren, die daher auch keineswegs das Gefühl haben, von China dominiert zu werden.

„Unsere asiatische Zukunft“ von Parag Khanna ist 2019 bei Rowohlt erschienen. Quelle: Presse

Wer dasselbe Thema, das wachsende Selbstbewusstsein einer Region im globalpolitischen Kontext, lieber selbst-west-kritisch, aus der europäischen Distanz, mit Blick auf die Folgen für die liberale Demokratie und ihre (schwindende) Bedeutung als politisches Leitbild vieler Nationen aus der Feder eines Journalisten lesen will, greift am besten auf „Asiens Stunde“ von Gideon Rachman (2019) zurück: Was bei Khanna die „Asiatisierung Asiens und der Welt“ ist, firmiert bei Rachman unter der „Veröstlichung Asiens und der Welt“.

Der Generalbefund ist der Gleiche: Die Attraktivität eines ergebnisorientierten Staatskapitalismus“ in China oder auch Singapur, der Wohlstand generiert, ohne zugleich demokratische Verfahren zu etablieren, setzt das westliche Entwicklungsmodell unter Legitimitätsstress.

„Asiens Stunde“ von Gideon Rachman ist 2019 im Verlag Weltkiosk erschienen. Quelle: Presse

Besonders tief lotet dabei wieder einmal Branko Milanović. Der serbisch-amerikanische Ökonom hat bereits vor vier Jahren mit „Die Ungleiche Welt“ eine empirisch reich belegte Analyse über die großen Gewinner der Globalisierung (die Mittelschichten in Asien) und die großen Verlierer (die - unteren - Mittelschichten in den USA und Europa) geschrieben. Das materielle und sozialpsychologisch folgenreiche Ergebnis seiner Studien lässt sich in einem einfachen Satz zusammenfassen: Während jene immer noch weniger besitzen und verdienen als diese, verdienen und besitzen diese immer weniger, jene hingegen immer mehr. Anders gesagt: Das Selbst-Wert-Gefühl der asiatischen Mittelschichten steigt. Das Selbst-Wert-Gefühl der europäischen und amerikanischen Mittelschichten sinkt.

„Kapitalismus global: Über die Zukunft des Systems, das die Welt beherrscht “ von Branko Milanović ist 2020 bei Suhrkamp erschienen. Quelle: Presse

In „Kapitalismus global“ (2020) nimmt sich Milanović nun eine Tiefenanalyse der beiden prägenden Wirtschaftssysteme unserer Zeit vor – und es ist einmal mehr beeindruckend, wie wissenschaftlich kühl, unpolitisch, ja: werturteilsfrei, Milanović dabei vorgeht, wie gestochen klar ihm eine Röntgenaufnahme beider Systeme, ihrer Vorzüge und Nachteile, Paradoxien und Bruchstellen gelingt. Andere behaupten eine neue „Systemkonkurrenz“ zwischen Westen und Osten, sammeln im Nachrichtenfluss Belege für einen neuen „Kalten Krieg“ zwischen den USA und China. Milanović legt die systembedingten Gründe frei. Er zeichnet das „Schisma“ des Kapitalismus nach – und vergleicht die Erfolgsaussichten des „liberalen meritokratischen Kapitalismus“ (USA, Europa) mit denen des „politischen Kapitalismus“ (China, Singapur, Malaysia, Vietnam etc.). Und welche Schlüsse zieht Milanović? Nicht fragen. Lesen. Und aushalten: Es gibt kein einerseits ohne andererseits.

Mehr zum Thema: Die USA und Europa zittern sich noch durch die Krise. China geht schon wieder voran. Nacheifern, das war einmal. Ein Blick in die zehn wichtigsten Technologiefelder zeigt: China ist ehrgeizig, doch Panik ist nicht nötig.

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