Die Europäische Union hat einstimmig die türkische Offensive in Syrien verurteilt und alle Mitglieder aufgerufen, Waffenverkäufe an Ankara einzustellen. Mit dem Schritt am Montag distanzierten sich alle EU-Außenminister von dem Nato-Partner Türkei. Das türkische Außenministerium erklärte, Ankara lehne diesen Aufruf ab und verurteile ihn. Die EU nehme damit eine „schützende Haltung“ für „terroristische Elemente“ ein.
In einem Brief an den UN-Sicherheitsrat vertrat Ankara den Standpunkt, die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien sei wegen ihrer Verbindungen zu kurdischen Untergrundkämpfern in der Türkei eine terroristische Organisation. Die Militärintervention in Nordsyrien sei in Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung nach der UN-Charta erfolgt. Der auf den 9. Oktober – dem Beginn der Offensive – datierte Brief zirkulierte am Montag am New Yorker UN-Hauptsitz.
Am vergangenen Mittwoch marschierten die türkischen Truppen über die Grenze ins Nachbarland Syrien ein. Trotz der Kritik von Nato-Verbündeten entschied sich Ankara zu der Offensive gegen syrisch-kurdische Kämpfer, die sie als Terroristen einstuft, weil sie mit den aufständischen Kurden in der Türkei verbunden sein sollen. Kritiker warnen vor einer ethnischen Säuberung. Mit dem Eintreffen syrischer Regierungstruppen in nordsyrischen Orte besteht nun die Gefahr von Kämpfen zwischen zwei regulären Armeen.
Mit der Türkei verbündete syrische Freischärler meldeten am Montag den Beginn des Angriffs auf die nordsyrische Stadt Manbidsch, die – im Gegensatz zum bislang praktisch autonomen kurdischen Gebiet – nicht östlich, sondern westlich des Euphrats liegt. Die Schlacht habe begonnen, twitterte ein Sprecher der syrisch-arabischen Truppe, Mustafa Seidschari. Türkische Fernsehsender berichteten ebenfalls von dem Vormarsch.
Das Vorgehen der Türkei sei ein militärischer Angriff, kritisierte Spaniens Außenminister Josep Borrell am Montag in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. Ankara sei aufgerufen worden, den Einmarsch zu beenden. Er kritisierte außerdem das Verhalten der USA: „Wenn die amerikanischen Truppen sich nicht zurückgezogen hätten, wäre der Angriff unmöglich gewesen.“ Die syrischen Kurden kämpften jahrelang an der Seite der Amerikaner gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
Die syrischen Kurden baten unterdessen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad um Hilfe; die ersten Regierungstruppen trafen am Montag in der nordsyrischen Region ein, die sie 2012 verlassen hatten. Assads Soldaten erreichten einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge am Montag die kurdisch kontrollierten Städte Tal Tamr, Ain Issa und Tabka. „Wir gehen zurück zu unseren normalen Positionen an der Grenze“, sagte ein syrischer Offizier.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte bei einem Besuch in Aserbaidschan, die Offensive in Nordsyrien sei genauso „lebensnotwendig“ für sein Land wie dessen Invasion 1974 auf Zypern. Zypern ist seither zweigeteilt, ein türkisch-zyprischer Staat dort wird nur von Ankara anerkannt. Die Offensive gehe weiter, bekräftigte Erdogan. Verhandlungen mit den syrisch-kurdischen Kämpfern hat er ausgeschlossen.
Gegen europäischen Kritik verwahrte sich Erdogan erneut: Alle diese Kritiker seien Nato-Verbündete. „Auf welcher Seite sollten sie stehen?“ In der vergangenen Woche hatte er bereits gedroht, auf EU-Kritik werde er Millionen Flüchtlingen in seinem Land die „Tore Richtung Europa“ öffnen.
Einer solchen Erpressung dürfe man nicht nachgeben, sagte der niederländische Außenminister Stef Blok am Montag. „Es ist gegen internationales Gesetz, in Nachbarländer einzumarschieren und die Türkei sollte sich wie jedes andere Land an das internationale Gesetz halten.“ Währenddessen rief Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Türkei zu Zurückhaltung auf. Das Bündnis müsse seine Erfolge im Kampf gegen den gemeinsamen Feind erhalten, die Terrormiliz IS.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres rief erneut zur „sofortigen Deeskalation“ auf. UN-Sprecher Stephane Dujarric sagte, Guterres habe auch alle Konfliktparteien aufgefordert, ihre Differenzen mit friedlichen Mitteln beizulegen.