Neue „Schatzinsel“? Ein politisch explosiver Gasfund vor Zypern

Experten entdecken Erdgas vor der Küste Zyperns. Aber der Fund birgt politischen Sprengstoff: Die Türkei greift nach den Bodenschätzen.

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Das gefundene Gasfeld vor der zyprischen Küste beansprucht auch die Türkei. Quelle: dpa

Athen Lange war es nicht mehr als eine Hoffnung, jetzt scheint es zur Gewissheit zu werden: Vor den Küsten der Insel Zypern schlummern offenbar bedeutende Erdgasvorkommen. Am Donnerstag meldete der italienische Energiekonzern Eni einen Gasfund südwestlich der Insel. „Calypso“ haben die Italiener das Vorkommen genannt, auf das sie bei Bohrungen im Explorationsfeld Block 11 stießen. „Das sind gute Nachrichten“, freut sich der zyprische Energieminister Giorgos Lakkotrypis.

Seit im östlichen Mittelmeer vor den Küsten Israels und Ägyptens große Gasvorkommen entdeckt wurden, hoffen auch die Zyprer auf wertvolle Bodenschätze vor ihrer Insel. Bisher müssen sie alle fossilen Brennstoffe importieren. Eine eigene Erdgasförderung würde nicht nur die Leistungsbilanz entlasten. Zypern, das noch vor fünf Jahren am Rand des Staatsbankrotts stand, könnte auch Energie-Lieferant für die EU werden. Experten der staatlichen zyprischen Öl- und Gasgesellschaft CNHC schätzen die Vorkommen auf mindestens 60 Billionen Kubikfuß (tcf). Eine Studie der Royal Bank of Scotland (RBS) bezifferte 2012 den Marktwert der mutmaßlichen Gasvorräte auf „mehr als 600 Milliarden Euro“. Damit ist die „Pleite-Insel“, wie Zypern in manchen Boulevard-Medien während der Euro-Krise genannt wurde, womöglich eine „Schatzinsel“.

Wäre da nicht die Teilung. Seit 1974 hält die Türkei den Norden Zyperns militärisch besetzt. Die international anerkannte Republik Zypern im Süden hat zwar in den vergangenen Jahren in Verträgen mit den Anrainern Israel und Ägypten ihre Wirtschaftszonen abgesteckt; vor der Süd- und Ostküste hat die Regierung 13 Explorationsgebiete, so genannte Blocks, ausgewiesen und Konzessionen an mehrere internationale Energiekonzerne vergeben. Aber die Türkei spricht Zypern das Recht dazu ab. Ankara fordert nicht nur eine Beteiligung der türkischen Zyprer. Die Türkei erhebt auch selbst Ansprüche auf die von Zypern ausgewiesenen Explorationszonen, nämlich auf Teile der Blocks 1, 4, 5, 6 und 7.

Bereits im vergangenen Sommer, nach dem Scheitern der Wiedervereinigungsverhandlungen auf Zypern, drohte die Krise zu eskalieren: Während 150 Kilometer südlich der Hafenstadt Limassol das Bohrschiff „West Capella“ mit Probebohrungen begann, kreuzten türkische Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge auf. Derweil gingen südlich der „West Capella“ griechische, französische und italienische Kriegsschiffe in Position. Sogar der U.S.-Flugzeugträger „George H.W. Bush“ kreuzte mit seinen Begleitschiffen auf.

Jetzt droht eine neue Konfrontation. Am Dienstag kündigte die Türkei Militärmanöver in den Gewässern südlich von Zypern an und erklärte das Gebiet zur Sperrzone. Sie umfasst auch große Teile der zyprischen Wirtschaftszone. Der Konflikt dürfte sich verschärfen, je mehr sich die Gasexplorationen konkretisieren – was sich jetzt abzeichnet.

Eni spricht von einem „vielversprechenden Fund“ und zieht bereits Parallelen zum riesigen Gasfeld Zohr in der benachbarten israelischen Wirtschaftszone. Dort entdeckte man 2015 Gasvorkommen von geschätzten 30 Billionen Kubikfuß (tcf). So groß ist das vor Zypern entdeckte Gasfeld zwar nicht, aber erste Schätzungen gehen immerhin in eine Größenordnung von sechs bis acht tcf. „Wegen der Besonderheiten der Lagerstätte“ lasse sich die Größe des Vorkommens noch nicht genau abschätzen, sagte Energieminister Lakkotrypis, „dazu müssen in den nächsten Wochen noch weitere Explorationen angestellt werden.“

Das Gas sei mit einem Methan-Gehalt von über 99 Prozent von ausgezeichneter Qualität, auch die Lagerstätte weise „exzellente Eigenschaften“ auf, teilte Eni mit. Das italienische Unternehmen ist bei der Gassuche vor Zypern groß im Geschäft. Im Block 11 bohren die Italiener in einem Konsortium mit dem französischen Energiekonzern Total. Eni hat außerdem eine exklusive Konzession für Block 8 und sucht gemeinsam mit dem südkoreanischen Konzern KoGas in den Blocks 2,3 und 9 nach Erdgas. Der U.S.-Konzern ExxonMobil will gemeinsam mit Qatar Petroleum im Laufe dieses Jahres mit Explorationen in Block 10 beginnen.

Die Exploration und die erhoffte Förderung des Gases sind allerdings technisch anspruchsvoll und kostspielig. In der Region ist das Mittelmeer rund 2000 Meter tief. Und Calypso liegt noch einmal fast 2000 Meter unter dem Meeresboden: Das jetzt entdeckte Gasvorkommen wurde bei einer Bohrung von 3827 Metern Tiefe unter dem Meeresspiegel erreicht. Das Konsortium will jetzt in weiteren Studien das Ausmaß der Lagerstätte und die Möglichkeiten einer Ausbeutung prüfen.

Wann die Förderung beginnen kann, ist noch ungewiss. Zuvor muss geklärt werden, wie sich das Gas vermarkten lässt. Bisher fehlt es dazu an der Infrastruktur. Am wirtschaftlichsten wäre es, das geförderte Gas durch eine Pipeline zur nahen türkischen Küste zu pumpen, dort in das bestehende Leitungsnetz einzuspeisen und so nach Westeuropa zu transportieren. Dem stehen aber die Teilung der Insel und die Ansprüche Ankaras entgegen. Als Alternative ist der Bau einer Pipeline von Zypern über Griechenland nach Italien im Gespräch. Die Energieminister Israels, Zyperns, Griechenlands und Italiens unterzeichneten im Dezember eine entsprechende Absichtserklärung. Die EU fördert eine Durchführbarkeitsstudie mit 34,5 Millionen Euro.

Diese Pipeline wäre allerdings mit geschätzten Baukosten von sechs Milliarden Dollar sehr teuer. Überdies würde der Bau acht Jahre dauern. In die Überlegungen ist auch Israel eingebunden, das nach einem Weg sucht, Erdgas aus seinen Fördergebieten im östlichen Mittelmeer nach Westen zu exportieren. Auch hier kommt die Türkei ins Spiel, sowohl als Abnehmer, wie auch als Transitland. Nach jahrelangem Streit näherten sich Israel und die Türkei 2016 wieder an. Man diskutierte Pläne für eine Gaspipeline zwischen beiden Ländern. Die Türkei hat einen wachsenden Energiebedarf und könnte einen Teil des Gases abnehmen. Was die Türkei nicht selbst benötigt, könnte über Rohrleitungen wie die im Bau befindliche Trans-Adria-Pipeline, die von der Türkei über Griechenland und Albanien nach Italien führt, nach Westeuropa fließen. Inzwischen haben sich die türkisch-israelischen Beziehungen aber wegen der israelischen Palästina-Politik und des Streits um die Rolle Jerusalems als israelischer Hauptstadt wieder drastisch verschlechtert.

Eine weitere Option wäre es, das zyprische Erdgas auf der Insel zu verflüssigen und dann per Tanker zu exportieren. Diesen Weg könnte auch Israel nutzen. Dazu müsste aber erst einmal ein Investor gefunden werden, der den Bau der kostspieligen Anlagen finanziert. So lange keine Klarheit über das Ausmaß der Gasvorkommen herrscht und der politische Streit mit der Türkei ungelöst ist, dürfte es aber schwierig sein, einen Investor zu gewinnen. Nicht zuletzt deshalb will der gerade wiedergewählte zyprische Präsident Nikos Anastasiades jetzt einen neuen Versuch unternehmen, die im vergangenen Sommer gescheiterten Vereinigungsgespräche wieder in Gang zu bringen. Denn eine Wiedervereinigung der Insel könnte der Erschließung und Vermarktung der Erdgasreserven einen großen Schub geben.

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