




Im Gran Teatro von Havanna steht Tannhäuser auf dem Programm. Premiere ist kommendes Wochenende. Vor der Kasse des großen, gerade frisch renovierten Theaters der kubanischen Hauptstadt stehen ein paar Opernliebhaber für Karten an. Manchmal fragt auch jemand nach Billets für eine andere Veranstaltung – in gewisser Weise auch eine Premiere: kommenden Dienstag, 22. März, 10.10 Uhr. „Bemerkungen an das kubanische Volk“, so der Titel. Der Vortragende ist ein eher selten gesehener Gast auf der kommunistischen Karibikinsel: US-Präsident Barack Obama. Karten gibt es für seinen Vortrag übrigens nicht zu kaufen.
Vor dem Theater stehen Joel, 30 und seine Freundin Beatriz, 21. „Wenn ich dabei sein könnte, hätte ich ein paar Wünsche an Obama“, sagt Joel: „Dass er das Embargo aufhebt, wäre das Wichtigste“, ergänzt er. „Dass er für politische Veränderungen sorgt…“ – dann hält der junge Mann einen Moment inne und fügt hinzu: „…bei sich und bei uns“.
Die Geschichte der Kuba-Krise
Washington erlässt ein Teilembargo. Schon unmittelbar nach der Revolution 1959 hatten die USA die Wirtschaftshilfe eingestellt und die Einfuhr von Zucker gedrosselt, Kubas wichtigstem Exportgut.
Mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA versucht eine Söldnertruppe von Exilkubanern, das Regime zu stürzen. Kubas Revolutionsarmee schlägt die Invasion in der Schweinebucht zurück.
Die USA verhängen ein komplettes Embargo über den Handel mit Kuba. Die Kubakrise führt die Welt an den Rand eines Atomkrieges. Wegen der Stationierung sowjetischer Raketen auf der Insel verhängt US-Präsident John F. Kennedy eine Seeblockade, Kremlchef Nikita Chruschtschow zieht die Raketen wieder ab.
16 Jahre nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen eröffnet Washington in Havanna eine Interessenvertretung unter dem Dach der Schweizer Botschaft. Später vertritt die Schweiz auch Kuba in den USA.
Der US-Kongress verabschiedet den „Cuban Democracy Act“, der US-Firmen in Drittländern jeden Kuba-Handel untersagt.
Mehr als 30.000 Kubaner fliehen per Floß in Richtung USA. Washington und Havanna einigen sich später darauf, dass die USA auf See aufgegriffene Bootsflüchtlinge nach Kuba zurückbringen.
Nach dem Abschuss von zwei Kleinflugzeugen einer exilkubanischen Organisation durch die kubanische Luftwaffe setzt US-Präsident Bill Clinton das umstrittene Helms-Burton-Gesetz in Kraft, das das Kuba-Embargo noch einmal verschärft.
Die USA lockern ihre Sanktionen. So soll es künftig mehr Charter-Flugverbindungen nach Kuba geben.
Erstmals seit der Verhängung des Handelsembargos vier Jahrzehnte zuvor liefern Firmen aus den USA wieder Lebensmittel.
US-Präsident George W. Bush verschärft Reisebeschränkungen für US-Bürger und schränkt Geldüberweisungen weiter ein.
US-Präsident Barack Obama hebt die Reisebeschränkungen für Exilkubaner auf. Außerdem dürfen sie wieder Geld nach Kuba schicken. Bald darauf gibt es auch wieder Gespräche auf Regierungsebene.
Die USA und Kuba schlagen ein neues Kapitel ihrer Beziehungen auf. In beiden Hauptstädten sollen wieder Botschaften eröffnet werden, die USA heben zusätzlich einige Beschränkungen beim Handel und bei Finanzgeschäften teilweise auf.
In Havanna beginnen Verhandlungen zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen. Obama plädiert für die Aufhebung des Kuba-Embargos.
Joel, schwere Goldkette, Ray-Ban-Sonnenbrille und Muskelpakete unter dem knappen T-Shirt, arbeitet in einem Fitness-Studio ganz in der Nähe des Gran Teatro. Seine Kunden sind Touristen, Kuba-Liebhaber, Hängengebliebene und Ausländer, die in Havanna arbeiten. Sie alle haben eines, was Joel nicht hat: Devisen. CUC – konvertible Peso, die Währung also, die den Menschen in Kuba Zugang zu den Dingen eröffnet, die es weder auf dem Bezugsheft noch in den staatlichen Geschäften gibt, wo man mit CUP zahlen kann, den kubanischen Peso.
In der nationalen Währung werden die mehr als drei Millionen Staatsdiener bezahlt. Tauschwert 24 CUP für einen CUC. Ein Chirurg verdient umgerechnet 53 Euro im Monat. Joel verdient „ein Vielfaches“ davon. Mehr will er nicht sagen. Seine Kunden zahlen ihn in Devisen, also geht es ihm gut, besser als jedem hochqualifizierten Arzt oder Forscher.
Die doppelten Währungen sind nur eine der Besonderheiten dieses Tropensozialismus. Aber sie gehen den Kubanern besonders auf den Geist, vor allem weil sie darin eine Diskriminierung sehen. Ausländer haben Devisen und können fast alles dafür kaufen auf der Insel. Ein Kubaner ohne Verwandtschaft in Miami, ohne Kontakt zu Touristen, der in einem Staatsbetrieb arbeitet, weiß nicht, wie er sich und seine Familie satt bekommen soll.
Wenn man in diesen Tagen nach dem Besuch von Obama fragt, hört man in Havanna immer wieder einen Satz: Er soll Veränderung bringen – „para bien“ – zum Guten. „Zum Schlechten geht ja auch nicht mehr“, sagt ein Teenager, der seinen Namen nicht nennen will. Der schlanke Junge sieht aus wie eine lebende US-Flagge: ein Stars- und Stripes-T-Shirt, eine Leggings mit demselben Motiv. „Je mehr USA wir haben, desto besser“, sagt er – und lacht: „Willkommen dem Imperium“.
Die Anspielung geht auf einen Spruch von Fidel Castro, Revolutionsführer im Ruhestand, zurück: Er hatte die USA wiederholt als „mächtigstes und reichstes Imperiums in der Geschichte der Menschheit“ bezeichnet. Was für Fidel verachtenswert war, ist für den jungen Mann ein Lebenstraum: Internet, freie Jobwahl und eine würdige Bezahlung sind Millionen jungen Kubanern mehr wert als die Parolen von „Sozialismus oder Tod“.