Für Bernd Weidensteiner war die Nacht zu Mittwoch ziemlich kurz. Weidensteiner ist USA-Analyst der Commerzbank und sein Arbeitstag im Frankfurter Bankenviertel begann diesmal schon um 4.30 Uhr. Als er das Ergebnis der US-Wahlen vernahm, war sein Urteil so nüchtern, wie es sich für einen Ökonomen gehört: „Trump im Weißen Haus – das ist zumindest das interessantere Ergebnis“. Dann machte er sich mit seinem Kollegen Jörg Krämer daran, für die Geschäftskunden der Bank eine erste Folgenabschätzung zu fertigen. Die kam um 8 Uhr und las sich so: „Mit einem Protektionisten Trump im Weißen Haus drohen schwere Handelskonflikte. Für die Märkte ist Trumps Sieg ein weit größeres Problem als der Brexit“.
Nach dem Wahlsieg von Donald Trump: Was kommt auf uns zu?
Posted by WirtschaftsWoche on Friday, November 11, 2016
Damit trifft er die richtige Tonlage. Hysterie ist angesichts des Wahlerfolgs des flegelhaften Populisten keine gute Idee. Aber genauso gefährlich wäre die Haltung, Trump werde speziell in der Handelspolitik all das vergessen (können), was er seinen Anhängern versprochen hat. „Protektionismus war der Kern der Trump-Kampagne, daher wird es mit Sicherheit protektionistische Maßnahmen der USA geben“, sagt Analyst Weidensteiner. So zeigen wissenschaftliche Studien, dass es US-Präsidenten im Schnitt gelungen ist, zwei Drittel ihrer Wahlversprechen zumindest in abgemilderter Form umzusetzen.
Das ökonomische Weltbild des neuen US-Präsidenten ist ziemlich einfach. Es heißt: America first. „Amerikanismus und nicht Globalismus wird unser Credo sein“, kündigt Trump an. Er macht Globalisierung und Freihandel für Jobverluste und den Niedergang vieler US-Industrien verantwortlich, und so lesen sich auch seine handelspolitischen Rezepte. Trump will „Strafeinfuhrsteuern“ von 30 Prozent für US-Unternehmen einführen, die Jobs ins Ausland verlegen. Autobauer, die in Mexiko fertigen lassen oder und dort neue Produktionsstätten aufbauen (wozu auch Audi und BMW zählen), will er über neue Zölle dazu bringen, die Produktion in die USA zu verlagern. Im Gegenzug soll allerdings die Körperschaftsteuer von 35 auf 15 Prozent sinken und eine Deregulierungsoffensive zu Gunsten der Wirtschaft gestartet werden (womöglich auch ein Grund, warum die Märkte auf die Wahl vergleichsweise gelassen reagierten).
Besonders im Visier hat Trump China und das milliardenschwere Defizit in der amerikanisch-chinesischen Handelsbilanz. Chinesische Importe will er mit einer Steuer von 45 Prozent belegen, weil „China unser Land vergewaltigt“. Wenngleich unklar ist, ob er derart rabiate Schritte wirklich durchsetzt und einen Handelskrieg mit China provoziert, beschreibt dies trefflich das neue nationalistische Paradigma in der amerikanischen Wirtschaftspolitik.
Erstes Opfer dürfte das geplante Freihandelsabkommen der USA mit elf Pazifikstaaten (TPP) sein, das rund 40 Prozent des Welthandels umfassen würde. Der Vertrag wurde nach siebenjährigen Verhandlungen im Februar 2016 unterzeichnet, ist aber noch nicht ratifiziert. Trumps „Plan für die ersten 100 Tage“ im Weißen Haus sieht vor, aus TPP auszusteigen und das seit 1994 bestehende Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko (Nafta) neu zu verhandeln. Der Nafta-Vertrag enthält eine Kündigungsklausel. Auch die brach liegenden Verhandlungen über das umstrittene Freihandelsabkommen mit der EU (TTIP) wird Trump kaum wieder aufnehmen. Statt multilateraler Abkommen bevorzuge er Abkommen mit einzelnen Staaten, ließ Trump im Wahlkampf verlauten.
Juristische Kniffe
Selbst ein Austritt der USA aus der Welthandelsorganisation WTO ist nicht völlig ausgeschlossen (wenngleich Beobachter glauben, dass er vor diesem extremen Schritt zurückschreckt). O-Ton Trump: „Die WTO ist ein Desaster.“ Als er bei einem TV-Interview mit dem Sachverhalt konfrontiert wurde, dass seine Zoll- und Einfuhrsteuerpläne gegen die WTO-Regeln verstoße, war seine Antwort: „Macht nichts. Wir werden neu verhandeln oder austreten.“
Ein strikter Anti-Freihandelskurses ist für Trump auch innenpolitisch verführerisch. Was linke und rechte Populisten in den USA derzeit eint, ist ihr Hass auf Globalisierung, Freihandel und den vermeintlichen Ausverkauf amerikanischer Interessen. Mit einem protektionistischen Kurs kann Trump somit auch auf den linken Flügel der Demokraten zugehen, deren Anführer Bernie Sanders in Sachen Globalisierungskritik Trump nicht nachsteht.
Politisch und institutionell steht einem protektionistischen Kurswechsel in den USA wenig entgegen. Das gilt selbst für den Fall, dass sich republikanische Politiker im Kongress gegen einen scharfen Kurs der Abschottung stellen. Im Gegensatz zu anderen Politikbereichen, in denen der US-Präsident ohne Zustimmung des Kongresses wenig durchsetzen kann, verfügt er in der Außenwirtschaftspolitik über großen Spielraum. Der Kongress hat eine Reihe handelspolitischer Kompetenzen an den Präsidenten delegiert. Dies lässt sich zwar theoretisch rückgängig machen. Doch dagegen kann der Präsident sein Veto einlegen, das sich wiederum nur mit Zweidrittelmehrheit vom Kongress außer Kraft setzen lässt. Dies ist angesichts der republikanischen Mehrheit im Kongress unwahrscheinlich.
Sollte es dennoch Widerstand im Kongress geben, kann Trump einen juristischen Kniff nutzen – und bei protektionistischen Vorstößen „sicherheitspolitische Gründe“ geltend machen. In diesem Fall kann er sich auf gleich drei Gesetze stützen, die ursprünglich für nationale Notlagen gedacht waren, in der Vergangenheit aber von der Justiz großzügig ausgelegt wurden.
Der „Trading With The Enemy Act“ von 1917 erlaubt umfangreiche Handelsregulierungen in Kriegszeiten. „Da die USA praktisch permanent Militäreinsätze im Ausland durchführen, dürfte das Kriterium Kriegszeiten in der Regel erfüllt sein“, sagt Ökonom Weidensteiner. Als Präzedenzfall könnte Ex-Präsident Nixon herhalten. Der hatte das Gesetz genutzt, um 1971 einen Zollaufschlag einzuführen – unter Verweis auf den 1953 beendeten Koreakrieg.
- Der International Emergency Economic Powers Act von 1977 ist das gesetzgeberische Pendant für Friedenszeiten und gibt dem Präsidenten bei „Notlagen“ weitreichende Vollmachten in Handelsfragen.
- Der „Trade Act“ schließlich ermächtigt Trump, bei ernsten Zahlungsbilanzschwierigkeiten für 150 Tage Mengenbeschränkungen oder Zölle bis 15 Prozent zu verhängen.
Protektionistische Rolle rückwärts
Für die Weltwirtschaft wäre ein protektionistischer Kurs Amerikas fatal. Ohnehin läuft die globale Konjunktur nur noch stockend. Die Welthandelsorganisation WTO revidierte Ende September ihre Wachstumsprognose für 2016 von 2,8 auf 1,7 Prozent nach unten. Dies wäre der niedrigste Wert seit der Finanzkrise 2009.
Bremst Trump die Importe durch Zölle oder Importkontingente, kommt die weltweite Arbeitsteilung, ein Motor des globalen Wohlstands, weiter ins Stocken. Als größte Volkswirtschaft der Welt sind die USA ein wichtiger Absatzmarkt für Unternehmen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Lateinamerika, Kanada und Asien. Bei einer Abschottung leiden zudem nicht nur die direkten Exporte, sondern auch die Lieferungen von Maschinen und Vorleistungsgüter an Drittstaaten, die damit Exportgüter für die USA produzieren.
Gerade für eine Exportnation wie Deutschland steht daher viel auf dem Spiel, wenn Trump in den nächsten Monaten eine härtere Gangart gegenüber ausländischen Produzenten einschlägt. Deutschland erwirtschaftet rund 45 Prozent seiner Wirtschaftsleistung durch die Ausfuhr von Waren und Diensten – und die USA sind mittlerweile der wichtigste Auslandsmarkt. In den vergangenen sechs Jahren legten unsere Ausfuhren nach Amerika um 73 Prozent zu, fast dreimal so kräftig wie die gesamten Exporte. Allein 2015 gingen Güter für knapp 114 Milliarden Euro über den Atlantik (siehe Grafik), das sind zehn Prozent der Gesamtexporte.
Treibstoffs des Handelsbooms war vor allem der schwache Euro. Seit der Euro-Krise hat er rund ein Viertel seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Produkte made in Germany wurden so für Amerikaner erschwinglicher. Davon haben vor allem die Hersteller von Autos und Autoteilen profitiert, auf die knapp ein Drittel der deutschen US-Exporte entfallen, gefolgt von Maschinen (15,5 Prozent) und Pharmaprodukten (11,8 Prozent). Bei einigen kleineren Branchen sind die US-Exportanteile noch höher, etwa bei den Hersteller von Wasserfahrzeugen (29 Prozent) oder der Waffenindustrie (27 Prozent) leiden.
Doch auch an der Währungsfront droht nun Gegenwind: Zur neo-merkantilistischen Wirtschaftspolitik Trumps gehört nicht zuletzt ein schwacher Dollar. Der aber verteuert deutsche Waren in den USA und senkt die Nachfrage. Ein „Double Whammy“ aus schwachem Dollar und mehr Protektionismus dürfte mithin hässliche Spuren in den deutsch-amerikanischen Handelsstatistiken hinterlassen – und könnte am Ende sogar deutsche Arbeitsplätze bedrohen. „Am US-Export hängen in Deutschland mehr als eine Million Jobs. Weitere 630.000 deutsche Arbeitsplätze befinden sich in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden“, sagt Gabriel Felbermayr, Außenwirtschaftsexperte des Münchner ifo Instituts.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Weil sich die grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten in den vergangenen Jahrzehnten stark verästelt und ausdifferenziert haben, droht eine protektionistische Rolle rückwärts in Amerika auch Sand ins Getriebe der innerbetrieblichen Arbeitsteilung zu streuen. So gehen nach ifo-Berechnungen rund 70 Prozent der US-Exporte deutscher Unternehmen an verbundene Firmen jenseits des Atlantiks, zudem sind 30 Prozent der deutschen Importe aus den USA Intrafirmenhandel.