Referendum im Irak Bagdad will sich Abspaltung nicht gefallen lassen

Kurden-Präsident Massud Barsani will die irakische Regierung mit dem Ergebnis der Volksabstimmung im Rücken zu Verhandlungen zwingen. Bagdad will sich darauf aber nicht einlassen und bringt das Militär ins Spiel.

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Bei der Volksabstimmung votierten 92,7 Prozent der Wähler für eine Abspaltung vom Irak. Quelle: dpa

Bagdad/Erbil Die Kurden im Nordirak haben sich in dem umstrittenen Referendum mit überwältigender Mehrheit für eine Unabhängigkeit ausgesprochen. Bei der Volksabstimmung Anfang der Woche votierten 92,7 Prozent der Wähler für eine Abspaltung vom Irak, wie die kurdische Wahlkommission in Erbil am Mittwoch erklärte. Die Wahlbeteiligung lag demnach bei rund 72 Prozent.

Die irakische Zentralregierung erhöhte jedoch ihren Druck, um die kurdische Führung zum Einlenken zu bringen. Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi verlangte von der kurdischen Autonomieregierung im Norden des Landes, das Ergebnis der Volksabstimmung zu annullieren. Er werde mit den Kurden nicht über eine Unabhängigkeit sprechen.

Die Luftfahrtbehörde in Bagdad wies ausländische Airlines zugleich an, Flüge in die kurdischen Autonomiegebiete von Freitag an zu stoppen. Die ägyptische Fluglinie Egypt Air und die libanesische MEA erklärten, sie würden ihre Verbindungen einstellen. Auch die türkischen Airlines Turkish Airlines, Pegasus und Atlas Global würden Iraks Kurdengebiete ab Freitagabend nicht mehr anfliegen, teilte das türkische Generalkonsulat in Erbil mit.

Die Lufthansa erklärte allerdings, sie wolle trotz der irakischen Aufforderung weiter den Flughafen der kurdischen Stadt Erbil anfliegen. Den nächsten Flug werde es wie geplant am Samstag geben, sagte ein Sprecher des Unternehmens der Deutschen Presse-Agentur. „Wir gehen davon aus, dass es keine Beeinträchtigungen gibt.“ Auch Turkish Airlines teilte mit, die Flüge gingen weiter, da keine offizielle Mitteilung aus dem Irak eingetroffen sei.

Die Kurden im Nordirak genießen zwar weitgehende Autonomierechte, träumen aber seit Jahrzehnten von einem eigenen Staat. Mit dem Referendum will Barsani Fakten schaffen, um die Zentralregierung zu Verhandlungen über eine kurdische Unabhängigkeit zu zwingen.

Die kurdische Autonomieregierung lehnte am Mittwoch die Forderung Al-Abadis ab, ihre Flughäfen innerhalb von drei Tagen an die Zentralregierung zu übergeben. Die Flughäfen in Erbil und der Stadt Sulaimanija seien „Besitz Kurdistans“, der Betrieb gehe weiter, erklärte der kurdische Transportminister Maulud Bawa Murad.

Al-Abadi sagte vor dem Parlament, seine Regierung werde ihre Macht mit der Kraft der Verfassung in den kurdischen Autonomiegebieten durchsetzen. Zugleich verlangte er von der Kurden-Führung, alle Gebiete an die Zentralregierung zurückzugeben, die die kurdischen Peschmerga-Kämpfer während des Kampfes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unter Kontrolle gebracht hatten.

Das Parlament in Bagdad hat die Entsendung von Soldaten in die kurdisch-kontrollierten Ölgebiete gefordert. Die Zentralregierung von Ministerpräsident Haider al-Abadi müsse die Öl-Felder von Kirkuk „wieder unter die Kontrolle des Öl-Ministeriums bringen“, hieß es in der am Mittwoch verabschiedeten Resolution. Das Votum schürte die Furcht vor einem neuen regionalen Konflikt.

Das Parlament in Bagdad erklärte, Regierungschef Abadi müsse „den Einsatz der Sicherheitskräfte in den umstrittenen Gebieten anordnen, darunter auch Kirkuk“. Kirkuk und die nahe gelegenen Öl-Felder werden seit 2014 von kurdischen Peschmerga kontrolliert. Sie übernahmen die Region, nachdem die irakische Armee vor der anrückenden Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) floh. Die Kurden beanspruchen traditionell die auch von Arabern und Turkmenen bewohnte Region. Auch dort nahm die Bevölkerung an der Abstimmung teil.

Außer der Zentralregierung in Bagdad sind auch die Nachbarländer Türkei und Iran gegen das Referendum. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte den Kurden im Nordirak mit einem Ende des Ölexports über sein Land und mit einer militärischen Intervention. Die Türkei und der Iran befürchten Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen der Kurden in ihren eigenen Ländern.

Der Ausgang der Wahl ist nicht bindend, soll aber dem Präsidenten der kurdischen Regionalregierung, Massud Barsani, ein Mandat für Verhandlungen mit der Regierung in Bagdad und den Nachbarstaaten geben. Neben zahlreichen westlichen Staaten, darunter Deutschland, waren auch die Türkei, Syrien und der Iran gegen die Abstimmung. Sie befürchten ein Erstarken kurdischer Autonomiebestrebungen in ihren Ländern.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte als Reaktion auf das Referendum mit einer Blockade der Kurden-Region gedroht und einen Einsatz des Militärs nicht ausgeschlossen. Irakische und türkische Soldaten nahmen Anfang der Woche an gemeinsamen Manövern im Genzgebiet teil.

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