Russisches Leben auf der Krim Wirtschaft auf der Krim: zwischen Sanktionen und Großprojekten

Baustelle der Großen Freitagsmoschee am Stadtrand der Krim-Hauptstadt. Dort soll die größte Moschee Osteuropas entstehen. Quelle: dpa

Sanktionen der EU sollten Russland Großprojekte auf der Krim eigentlich erschweren – trotzdem wird dort gerade eine der größten Moscheen Osteuropas gebaut. Ein Symbol freundlicher Kremlpolitik?

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Im Grunde dürfte es den Bau der Großen Freitagsmoschee mit den stolzen Minaretten auf der Krim so gar nicht geben. Eigentlich sollten die Sanktionen der Europäischen Union gegen die Krim nach der Annexion vor fünf Jahren durch Russland gerade solche Großprojekte erschweren. Doch am Rande von Simferopol, der Hauptstadt der Schwarzmeer-Halbinsel, wächst das riesige Gebetshaus. Es ist gedacht für die muslimische Volksgruppe der Krimtataren.

Baumaschinen brummen – auch von deutschen Konzernen. Naturstein aus Belgien verziert das islamische Gebetshaus. „Es gibt für alles Wege“, sagt der Polier auf der Baustelle und grinst breit, weil sie die Sanktionen umgehen. Seinen Namen und die von Lieferanten möchte er auf keinen Fall in den Medien sehen.

Unter dem Patronat von Kremlchef Wladimir Putin entsteht der Stolz der Krimtataren – jener Bevölkerungsgruppe, die historisch nicht gut zu sprechen war auf Russland. Die Krim, die nach dem Völkerrecht weiter zur Ukraine gehört, erhält ohnehin so viel Unterstützung aus Moskau wie kaum eine russische Region. Und besonders den kritischen Krimtataren will der Machtapparat Wünsche erfüllen, um das seit Jahrhunderten hier ansässige Volk friedlich zu stimmen.

Der Moschee-Bau soll nicht nur Symbol einer freundlichen Kremlpolitik sein. Er kann auch als russische Antwort auf Vorwürfe des Westens gelten, die Krimtataren würden unterdrückt. Die Moschee soll zu den größten in Osteuropa gehören. „15 Jahre haben wir darauf gewartet. 2021 soll sie fertig sein“, sagt Ajdar Ismailow, der Stellvertreter des Muftis der Krim. Zu ukrainischen Zeiten sei nur geredet worden. Jetzt, unter russischer Führung, gebe es Taten. 3000 Gläubige aus allen Regionen der Halbinsel werden dort künftig Platz finden.

Ismailow empfängt Besucher im historischen Teil Simferopols, in der mehr als 500 Jahre alten Kebir-Cami-Moschee. Das Kulturdenkmal ist das älteste Gebäude der Stadt. Die Geistlichen um ihn herum wollen nicht, dass die Lage der etwa 300.000 Krimtataren auf der Halbinsel zum Spielball internationaler Politik wird.

„Wir haben hier Frieden und Ruhe“, sagt der 42-jährige Ismailow. „In der Welt gibt es viel schlimmere Orte, Länder, in denen Bomben hochgehen.“

Ähnlich wie er äußern sich auch Bürger der russischstämmigen Mehrheit auf der Krim, wo insgesamt rund zwei Millionen Menschen leben. Viele sagen mit Blick auf den blutigen Konflikt in der Ostukraine, dass ihnen ein solcher Krieg erspart geblieben sei. Trotzdem haben auch Tausende Menschen aus Angst um ihre Zukunft nach der russischen Machtübernahme die Halbinsel verlassen.

Ajdar Ismailow, Stellvertreter des Muftis der Krim - der geistlichen Führung der Muslime auf der Schwarzmeerhalbinsel - in seinem Büro, in der 500 Jahre alten Kebir-Cami-Moschee. Quelle: dpa

Antirussischer Kampf der Krimtataren

Während die geistige Führung der Muslime großteils ihren Frieden gemacht hat mit den Russen, hält eine andere Gruppe der Krimtataren im Exil weiter dagegen. Ihre Vertreter nutzen Internet und Satellitenfernsehen zur Stimmungsmache. Von der ukrainischen Hauptstadt Kiew aus kämpft der frühere Krimtataren-Führer Mustafa Dschemiljow gegen die Annexion. Der schmächtige 75-Jährige sitzt im ockerfarbenen Anzug am Schreibtisch. Er spielt mit einem Feuerzeug, während er redet. „Sie ist unsere Heimat“, sagt er über die Krim.

Dschemiljow, Abgeordneter im ukrainischen Parlament, beklagt ein Klima der Angst auf der Halbinsel. Seine Frau und Anhänger leben noch auf der Krim. Es sei wie einst zu Sowjetzeiten, als sich in der kommunistischen Diktatur niemand traute, offen zu sagen, was ist. Ärger mit dem Geheimdienst wolle schließlich niemand. Dschemiljow weiß, wovon er spricht. Der Raucher mit den tiefen Falten im Gesicht hat selbst lange Zeit in Gefangenschaft verbracht.

Der Dissident, der zu Sowjetzeiten viele Jahre aus politischen Gründen im Arbeitslager saß, ist von Russland als Extremist zur Fahndung ausgeschrieben. 2014 erhielt der einflussreiche Krimtatare einen Anruf von Wladimir Putin. Der Kremlchef wollte wissen, was es brauche, um die Tataren auf die Seite der Russen zu ziehen. Dschemiljow erzählt, dass er einen Pakt mit Moskau abgelehnt habe. Kurz danach kam es zur international nicht anerkannten Volksabstimmung - und die Krim trat Russland bei.

Heute wirft Dschemiljow dem Kremlchef auch mit Blick auf den aufgerüsteten Stützpunkt der Schwarzmeerflotte im Küstenort Sewastopol vor, die Krim zu einer Festung auszubauen - ohne Rücksicht auf die Menschen. Die strategisch günstige Lage der Region konnten die Russen zwar auch zu ukrainischen Zeiten militärisch nutzen. Nach dem Machtwechsel 2014 in Kiew aber drohte ein Verlust dieses Stützpunktes. Das wollte Russland nicht zulassen.

Dschemiljow pflegt aus einem exklusiven Büroturm die Kontakte zu offiziellen Stellen in der EU - und in der Türkei, wo die mit Abstand größte Diaspora der Krimtataren lebt. Er kämpft darum, dass für Russland die „Okkupation“ möglichst kostspielig werden soll.

Geschätzt 20.000 bis 25.000 haben die Krim wegen der Annexion verlassen, wie Dschemiljow sagt. Er rät dazu zu bleiben. Doch viele, die geblieben sind, halten Dschemiljow heute für einen Verräter, weil er die Sanktionen befürwortet. Er schade seinem Volk, heißt es.

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