Streit mit USA und EU Kreml droht nach Ausweisung von Dutzenden russischen Diplomaten mit Gegenmaßnahmen

Die massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten im Westen verärgert Moskau. Der Kreml spricht von Vorverurteilung und droht mit Gegenmaßnahmen.

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Moskau Auge um Auge, Diplomat um Diplomat: Die Affäre um die Vergiftung des Doppelagenten Sergej Skripal zieht eine Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen nach sich, die immer stärker an den Kalten Krieg erinnert. Als „Akt der Solidarität“ mit Großbritannien haben nun sowohl die USA und Kanada, mindestens 15 EU-Länder und weitere europäische Staaten bekannt gegeben, russische Botschafts- und Konsulatsangehörige auszuweisen.

Eine solch konzentrierte Aktion hat es seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr gegeben.

Deutschland will dabei vier russische Diplomaten außer Landes schicken. Begründet wird die Maßnahme in Berlin damit, dass es für die Vergiftung Skripals „keine andere plausible Erklärung“ als eine von Russland verantwortete Tat gibt und Moskau auch bei der Aufklärung des Falls nicht mithelfe. 

Zahlenmäßig am schärfsten reagieren die USA: Das Weiße Haus ordnete die Ausweisung von 60 russischen Diplomaten und die Schließung des Konsulats in Seattle an. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses Sarah Sanders erklärte, dies sei die Reaktion auf den „Einsatz einer militärischen Chemiewaffe auf dem Gebiet Großbritanniens durch Russland als letzter Vorfall destabilisierender Aktivitäten auf der ganzen Welt nach gleichem Muster.“

Es ist eine der ersten Maßnahmen, seit US-Präsident Donald Trump den Hardliner John Bolton zu seinem Sicherheitsberater ernannt hat. Der 69-jährige Bolton hatte erst kürzlich erklärt, die USA müssten „unverhältnismäßig“ auf die russischen Cyber-Angriffe antworten, um abschreckend zu wirken. 

Pikant: Bolton war als UN-Botschafter während der Bush-Ära einer der Wegbereiter der US-Invasion im Irak. Der Irak-Krieg basierte unter anderem auf dem Vorwurf, dass Diktator Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen habe. Nach dem Einmarsch der US-Armee in Bagdad und dem Sturz Husseins wurden keine Beweise für die Existenz dieser Waffen gefunden. 

Auch jetzt in der Giftgas-Affäre streitet Russland alle Vorwürfe ab. Moskau beklagt, dass die Sanktionsmaßnahmen des Westens ohne echte Beweise erfolgten. Der offizielle Untersuchungsbericht der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) steht noch aus. Experten der OPCW waren erst in der vergangenen Woche nach Großbritannien gereist, um ihre Ermittlungen aufzunehmen. Die Analyse werde zwei bis drei Wochen in Anspruch nehmen, hatte OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcu dabei gewarnt. 

Doch die walzradschweren Vorwürfe der russischen Verantwortung für den Anschlag waren zu dem Zeitpunkt ohnehin über die diplomatischen Beziehungen zwischen West und Ost gerollt, nachdem Großbritanniens Premierministerin Theresa May den Kreml bezichtigt hatte, entweder die Tat in Auftrag gegeben, oder die Kontrolle über eigene Chemiewaffen verloren zu haben.

Die ultimative Aufforderung an Moskau, innerhalb von 24 Stunden Beweise für die eigene Schuld oder Unschuld herauszurücken, hat zumindest nicht zur Kooperationsbereitschaft des Kremls beigetragen. 

Russlands Forderung, die Briten sollten zuerst selbst Beweise vorbringen, ist nicht unberechtigt. Allerdings haben die Äußerungen russischer Vertreter bislang auch nicht dazu beigetragen, das Misstrauen im Westen zu senken. Sie wirkten eher wie Nebelkerzen in der ohnehin verworrenen Affäre.

Die Außenamtssprecherin Maria Sacharowa beispielsweise verdächtigte neben den USA und Großbritannien auch Tschechien, die Slowakei und Schweden als mögliche Herkunftsländer des Nervengifts „Nowitschok“. Diese Länder führten ihrer Erklärung nach seit dem Ende der 90er-Jahre die intensivsten Forschungen zu dem Giftgas durch. 

Einer der Entwickler von „Nowitschok“, Wil Mirsajanow, hingegen widersprach dieser These. Für die Entwicklung von solch ausgeklügelten Chemiewaffen seien Generationen von ausgebildeten Chemikern notwendig. Über eine solche „Schule“ verfügten nur wenige Staaten, betonte er. Es ist unklar, warum Sacharowa solche europäischen Kleinstaaten wie Tschechien in die Diskussion einwarf.

Allerdings zeichnete sich Moskau schon bei dem Abschuss der Boeing-737 über dem Donbass 2014 durch das Lancieren einer Vielzahl von einander widersprechenden Versionen aus, für die es angeblich allesamt Beweise gab, um von der wichtigsten Theorie eines Abschusses durch eine russische Buk vom Separatistengebiet aus abzulenken. 

Ein Schuldeingeständnis wird Moskau in keinem Fall vorlegen. Im Gegenteil: Russland hat schon angekündigt, in der Affäre hart zu bleiben und mindestens in gleicher Form Vergeltung zu üben. Die Ausweisung der russischen Diplomaten wird also auch für die westlichen Staaten Konsequenzen haben.

Problematisch ist, dass inzwischen eine unkalkulierbare Eskalation des Konflikts droht. So steht der Entzug der Sendelizenz für Russia Today in Großbritannien im Raum, auf den Russland mit der Ausweisung aller britischen Journalisten reagieren will. Dreht sich die Sanktionsspirale in dem Tempo weiter, ist das Urteil der OPCW am Ende belanglos. Die Beziehungen wären bereits vollends vergiftet.

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