Theresa May Der Brexit wird zur Chefsache

Lange hat sich Theresa May beim Thema Brexit bedeckt gehalten und die Verhandlungen aus der Ferne verfolgt. Nun schaltet sich die Regierungschefin wieder ein. In der Vergangenheit war das keine gute Idee.

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Das letzte Treffen zwischen der britischen Premierministerin und dem EU-Kommissionschef im April verlief nicht so harmonisch wie zunächst vermutet. Quelle: Reuters

Als sich die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im April das letzte Mal für ein Abendessen trafen, ging das nicht gut aus. Offiziell erklärte man zwar, die Gespräche zum Auftakt der offiziellen Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) seien „konstruktiv“ gewesen. Doch wie sich schnell herausstellte, entsprach das nicht der Wahrheit.

Eine Katastrophe sei das Dinner gewesen, erzählt man sich in London. Am Essen kann es nicht gelegen haben – das soll sehr gut gewesen sein, hieß es. Aber dass die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ von einem Teilnehmer mit detaillierten Infos des eigentlich privaten Dinners versorgt worden war, verärgerte die Briten. Zudem soll die Stimmung zwischen den beiden Seiten „frostig“ gewesen sein, erzählte man. Noch Wochen danach war man in London wütend.

Mittlerweile hat sich die Stimmung zwischen May und Juncker wieder gebessert. Die Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London, die von Teams unter der Führung von Brexit-Minister David Davis und EU-Chefverhandler Michel Barnier geführt werden, sind trotzdem nicht gut gelaufen. Vor allem in der Frage der finanziellen Verpflichtungen nach dem EU-Austritt Ende März 2019 ist man sich uneins. Nach fünf Besprechungsrunden zog EU-Chefunterhändler Barnier vergangene Woche das enttäuschende Resümee: Man sei „in einer Sackgasse“ angekommen.

May und Juncker wollen bei Brexit-Gesprächen Schlagzahl erhöhen

Das ist für beide Seiten am Verhandlungstisch unerfreulich – vor allem aber für Theresa May. Die Briten hatten von Anfang an gehofft, dass sie mit Brüssel nicht nur über erste Grundvoraussetzungen diskutieren, sondern auch über die Beziehung nach dem Brexit. Diese Forderung wurde von Seiten der EU abgelehnt: Erst wolle man über die Bedingungen für den Austritt sprechen, dann über die zukünftige Beziehung. Auf dem EU-Gipfel in dieser Woche sollte nun endlich die erste Phase offiziell abgehakt werden. Doch danach sieht es nicht aus; aus Sicht der EU sind die Grundvoraussetzungen nicht erfüllt.

Nun macht die britische Theresa May mobil. Am Montagabend reist sie – zusammen mit Brexit-Minister Davis – nach Brüssel zum Gespräch mit Juncker und Barnier. Um 18.30 Uhr trifft man sich zum Dinner, 90 Minuten sind für das Beisammensein eingeplant. Beide Seiten beteuern, dass man das schon lange geplant habe. Doch der Zeitplan sorgt in Großbritannien für Diskussionen: Schließlich diniert man nach britischer Zeit dann bereits um 17.30 Uhr – nicht nur für die Briten ist das ungewöhnlich früh.

May kämpft um politisches Überleben


Am Sonntag telefonierte May zudem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf der Insel als Schlüsselfigur für einen guten Brexit-Deal gilt. Die beiden Politikerinnen hätten über das Vorgehen von US-Präsident Donald Trump gegen den Iran gesprochen, erklärte eine Sprecherin der Premierministerin. Dabei sei auch der bevorstehende EU-Gipfel zur Sprache gekommen: May und Merkel seien sich „einig über die Bedeutung eines anhaltend konstruktiven Fortschrittes in den Austrittsverhandlungen“. Auch mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron und dem irischen Regierungschef Leo Varadkar wollte May am Nachmittag telefonieren, um sie zu überzeugen, sich für Großbritannien in den Gesprächen mit den anderen EU-Ländern einzusetzen.

Für die britische Premierministerin steht viel auf dem Spiel. Denn sie muss in Großbritannien um ihr politisches Überleben kämpfen – nicht nur, aber auch wegen ihres Vorgehens beim Brexit. Sowohl Brexit-Befürworter als auch Brexit-Gegner sind verärgert, dass die Verhandlungen so schleppend verlaufen. Während die Brexit-Gegner vor den Folgen des EU-Austritts warnen und eine mehrjährige Übergangsphase fordern, würden die Brexit-Befürworter am liebsten sofort einen Schlussstrich unter das Kapitel EU ziehen - und notfalls sogar ohne Deal aus der Gemeinschaft austreten.

Wenn Großbritannien ohne eine Vereinbarung mit der EU ausscheiden würde, wäre das für sein Land kein Problem, erklärte etwa der konservative Abgeordnete John Redwood im britischen Fernsehen. Und auch Transportminister Chris Grayling zeigte sich unbesorgt: Großbritannien werde „klarkommen, egal was passiert”. Er sei aber zuversichtlich, dass es einen „vernünftigen Deal“ geben werde. Schließlich sei das im Interesse beider Seiten.

Andere Briten sind da weniger optimistisch. Etwa der einflussreiche konservative Politiker Kenneth Clarke, der von Anfang an gegen den Brexit war. Sollten die Gespräche scheitern, hätte das „katastrophale Folgen“, warnte er nun. Zusammen mit Chris Leslie, einem Abgeordneten aus der oppositionellen Labour-Partei, setzt er sich dafür ein, dass die Regierung gesetzlich dazu verpflichtet wird, eine Übergangsphase auszuhandeln.

Der Vorstoß kommt der Labour-Partei wie gerufen. Denn die will im Parlament Änderungen an dem geplanten Brexit-Gesetz durchsetzen und wirbt seit langem in den Reihen der Konservativen um Zustimmung.

Es ist eine für die angeschlagene Premierministerin gefährliche Gemengelage. Schließlich hat sie in den Parlamentswahlen ihre Mehrheit im Parlament verloren und damit sogar ehemalige Verbündete in der Regierung gegen sich aufgebracht. „Wenn es jemanden gäbe, der den Job gut machen würde, dann wäre sie schon weg“, sagt ein britischer Regierungsbeamter hinter hervorgehaltener Hand. Aber angesichts der heiklen Brexit-Verhandlungen will wohl keiner mit May tauschen. Zumal ein Umsturz in der konservativen Partei Neuwahlen auslösen könnte – von denen derzeit vor allem die Labour-Partei profitieren dürfte. May ist eine Regierungschefin auf Abruf, die bei all ihren Entscheidungen auf Kritik stößt. Ein entspanntes Dinner wird May in Brüssel also nicht haben.

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