Türkei nach dem Putschversuch Erdogans Hexenjagd

Der türkische Staatschef stellt den Anhängern seines Erzfeindes Fethullah Gülen nach. Aber nicht nur im eigenen Land: Hunderttausende Gefolgsleute Gülens leben in Deutschland. Auch ihnen droht jetzt Erdogans Rache.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan „säubert“ seinen Staat. Quelle: AFP

Athen Mehr als 60.000 Entlassungen bei der Armee, der Polizei, der Justiz und im Bildungswesen, fast 16.000 Festnahmen, gut 8.000 Haftbefehle – in seinem Land kehrt Staatschef Recep Tayyip Erdogan seit dem gescheiterten Putschversuch gegen ihn vor zwei Wochen mit eisernem Besen. Dann die Meldung, dass die Privatvermögen von mehr als 3000 suspendierten Richtern und Staatsanwälten beschlagnahmt werden sollen, die angeblich in Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fetullah Gülen stehen.

Jetzt will er auch in Deutschland Jagd machen auf Anhänger seines Erzfeindes, des Exil-Predigers Fethullah Gülen. In Deutschland hielten sich Angehörige der Gülen-Bewegung auf, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag im Sender CNN Türk. „Ihre Auslieferung ist notwendig“, so Cavusoglu. Das ohnehin erheblich belastete deutsch-türkische Verhältnis steht damit vor neuen, schweren Spannungen.

Erst das Ringen um den Flüchtlingspakt, dann die Affäre Böhmermann, hernach die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern, dann der Putschversuch gegen Erdogan und die dadurch ausgelöste Verhaftungswelle, die Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag veranlasste, Erdogan zur „Verhältnismäßigkeit“ beim Vorgehen gegen die Putschisten zu ermahnen – die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind wahrlich nicht frei von Problemen. Seit den Tagen der türkischen Generalsdiktatur 1980 bis 1983 ging es nicht mehr so frostig zu zwischen den beiden Nato-Verbündeten, die sich früher auch als Freunde bezeichneten.

Das ist zumindest von türkischer Seite vorbei. Nach der Armenier-Resolution zog das türkische Außenministerium seinen Botschafter aus Berlin ab. Deutsche Bundestagsabgeordnete dürfen Bundeswehrsoldaten in der Türkei nicht mehr besuchen.

Die Armenier-Kontroverse sorgte für heftigste Reaktionen. Erdogan nahm Merkel persönlich aufs Korn: „Wir will sie mir nach dieser Entscheidung noch in die Augen sehen?“ Schon damals machte Erdogan eine mysteriös klingende Andeutung: Es gebe „Gruppen in Deutschland, die eine Verschwörung gegen die Türkei planen“. Die Anweisungen dafür kämen „von übergeordneter Stelle“, so Erdogan. Wen meinte er? Merkel? Oder den Prediger Gülen, der auch unter ethnischen Türken in Deutschland viele Anhänger hat? In Gülen sieht Erdogan den Drahtzieher des Putschversuchs vom 15. Juli.

Gegen den Prediger wird bereits seit Januar vor einem Istanbuler Gericht wegen Bildung einer bewaffneten Terrororganisation, Spionage und Umsturzplänen verhandelt – in Abwesenheit: Die Bemühungen der Türkei um eine Auslieferung Gülens hatten bisher aber keinen Erfolg. Nach Darstellung der US-Behörden gibt es noch gar kein formelles, entsprechend begründetes Auslieferungsersuchen. Dessen ungeachtet verstieg sich der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim jetzt sogar gegenüber den USA zu der Drohung, jedes Land, das Gülen unterstütze, werde als „im Kriegszustand mit der Türkei“ betrachtet – ein Novum innerhalb der Nato. Nun wird die Causa Gülen auch zu einem deutsch-türkischen Problem.


Irritationen gibt es schon länger

Irritationen zwischen Ankara und Berlin gibt es allerdings schon länger. Die deutsch-türkische Freundschaft hat längst tiefe Risse bekommen. Im Januar 2013 verglich der damalige türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu die Anti-Islam-Bewegung Pegida mit der IS-Terrormiliz – beide hätten eine „mittelalterliche Mentalität“. Erdogans Chefberater Yigit Bulut machte Deutschland als „Feind der Türkei“ aus, der sich der Führungsrolle des Landes im Nahen Osten und Zentralasien entgegenstelle.

Als Bundespräsident Joachim Gauck im April 2014 zu einem Staatsbesuch in die Türkei reiste, sprach er in einer Rede vor Studenten der Technischen Universität Ankara von einer „Gefährdung der Demokratie“ – eine Anspielung auf die Gängelung der türkischen Justiz, die Internetzensur und die Repressionen gegen kritische Journalisten. Gauck berief sich ausdrücklich auf seine Erfahrungen im Unrechtsregime der DDR – und brachte damit den damaligen Premier Erdogan in Rage: Gauck habe sich unzulässig in „innere Angelegenheiten“ der Türkei eingemischt. „Anscheinend denkt er immer noch, er wäre ein Pastor“, stichelte Erdogan. Die Deutschen sollten lieber die NSU-Terrorserie und Anschläge gegen Türken aufklären, als seiner Regierung Ratschläge zu erteilen.

Wenige Monate später sorgten im Sommer 2014 Medienberichte für diplomatische Verwicklungen, wonach der Bundesnachrichtendienst seit Jahren die Türkei ausspionierte. Im Oktober desselben Jahres ließ die Türkei in der Stadt Diyarbakir drei deutsche Journalisten festnehmen, die von dort über den Kurdenkonflikt berichtet hatten. Einen Monat später löste eine Erdogan-Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch scharfe Proteste des türkischen Außenministeriums aus.

Als Bundespräsident Gauck im April 2015 im Zusammenhang mit den Armenier-Verfolgungen erstmals das Wort „Völkermord“ aussprach, reagierte Ankara empört. Die Deutschen sollten zunächst einmal „die Blutspur, die sie über Jahrhunderte gelegt haben säubern“, erklärte Erdogan. Deutschland sei „das letzte Land“, das sich zum Thema Armenier „eine Meinung erlauben darf“, so der türkische Präsident.

Wie frostig das Klima trotz hochsommerlicher Temperaturen in Ankara ist, bekommt jetzt auch Martin Erdmann zu spüren, der deutsche Botschafter. Der altgediente Diplomat und frühere Sprecher des Auswärtigen Amts ist seit der Armenier-Resolution für die türkische Regierung so etwas wie eine Unperson – der Diplomat bekommt seit zwei Monaten keine Termine mehr im türkischen Außenministerium oder bei anderen Regierungsstellen.

Dabei wäre es eigentlich im Interesse der türkischen Regierung, jetzt die diplomatischen Kontakte zu Deutschland zu pflegen. Denn was nun bevorsteht, könnte zu erheblichen Verwicklungen zwischen Ankara und Berlin führen – und dauerhaften Schaden anrichten, wenn es aus dem Gleis läuft.

Bisher hat Außenminister Cavusoglu nicht klar gesagt, wessen Auslieferung er von Deutschland verlangt. Schätzungen besagen, dass zwischen 300.000 und 400.000 der in Deutschland lebenden ethnischen Türken Anhänger Gülens sind. Die Bewegung ist mit Nachhilfezentren, privaten Schulen und Wohnheimen in fast allen größeren Städten Deutschlands aktiv. Als Sprecherin der Gülen-Bewegung tritt in Deutschland die 2014 in Berlin gegründete „Stiftung Dialog und Bildung“ auf.


Es geht um Richter und Staatsanwälte

Cavusoglu scheint es aber vorrangig um die Auslieferung von „manchen Richtern und Staatsanwälten“ aus der Gülen-Gefolgschaft zu gehen, die in Deutschland vermutet werden. Der Außenminister nannte keine Namen. Aber es ist klar, wen er vor allem meint: die früheren Staatsanwälte Zekeriya Öz und Celal Kara. Öz leitete Ende 2013 die Korruptionsermittlungen gegen führende Politiker der türkischen Regierungspartei. Auch Erdogans Sohn Bilal kam ins Fadenkreuz der Ermittler, bevor die Korruptionsaffäre niedergeschlagen wurde.

Öz und Kara flohen im August 2015 vor einer drohenden Festnahme aus der Türkei nach Georgien. Über Armenien sollen die beiden nach Deutschland gelangt sein. Schon im vergangenen Jahr beantragte die Türkei ihre Auslieferung. Erdogan persönlich machte Druck: Wenn Deutschland die beiden Gesuchten nicht überstelle, werde die Türkei keine weiteren Auslieferungen an Deutschland genehmigen.

„Die Türkei ist keine Bananenrepublik“, erregte sich Erdogan. Öz soll, Medienberichten zufolge, mehrfach im Rhein-Main-Gebiet gesichtet worden sein. Führende Funktionäre der Gülen-Bewegung in Deutschland dürften wissen, wo er sich aufhält. Die deutschen Behörden konnten Öz und Kara allerdings bisher nach eigener Angabe nicht ausfindig machen – und also auch nicht ausliefern.

Eine Auslieferung wäre aber ohnehin höchst problematisch. Deutsche Gerichte haben in der Vergangenheit Auslieferungsgesuche dann abgelehnt, wenn den Betroffenen in ihrem Heimatland kein rechtsstaatliches Verfahren garantiert wird oder gar Folter droht. Beide Vorbehalte könnten jetzt auf die Türkei zutreffen. Amnesty International erhob bereits den Vorwurf, Festgenommene seien nach dem Putschversuch „Schlägen und Folter unterworfen, inklusive Vergewaltigung und sexueller Nötigung“.

Zusätzliche politische Sprengkraft bekommt das Auslieferungsverlangen des Außenministers Cavusoglu durch die Pläne Erdogans, die Todesstrafe wieder einzuführen. 2004 hatte die Türkei staatliche Hinrichtungen abgeschafft und damit die letzte große Hürde zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen ausgeräumt. Jetzt will Erdogan die Todesstrafe sogar rückwirkend für die Beteiligten an dem versuchten Putsch wieder einführen.

Das widerspricht zwar dem Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach für eine Straftat „keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden darf“. Aber das kümmert Erdogan nicht. Er hat mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes sowieso die Europäische Menschenrechtskonvention in seinem Land außer Kraft gesetzt.

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