US-Wahlen Das Zweckbündnis

Hillary Clinton hat sich auf dem Weg zur Präsidentschaftskandidatur nur knapp gegen Bernie Sanders behauptet. Nun muss sie dessen Anhänger einbinden. Dabei soll ihr Elizabeth Warren helfen. Eine Senatorin, die Freihandel bekämpft, Banken aufspalten und die Mittelschicht stärken will.

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„Wir werden eine große Mauer bauen!“
US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat sich seinen Landsleuten als Garant für "Recht und Ordnung" präsentiert. Quelle: dpa
In der Rede nahm der 70-Jährige die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten förmlich an. Quelle: AP
Trump Quelle: dpa
Donald Trump: Quelle: AP
Donald Trump: Quelle: REUTERS
Szene von der Republican National Convention Quelle: REUTERS
Trump sprach gezielt sozial Benachteiligte an. Quelle: dpa

Es ist der Montagabend dieser Woche, und Elizabeth Warren soll der Frau, deren Ziele sie bisher bekämpft hat, ihre Unterstützung aussprechen.
Eine Halle in Philadelphia, eine Bühne ausgestattet mit all den Devotionalien, die das amerikanische Präsidentschaftsbewerbetheater vorsieht. Und Elizabeth Warren, demokratische Senatorin aus Massachusetts, hat ihre Rolle gut gelernt. Also ruft sie in die Menge der Parteianhänger: „Wir haben am 8. November die Wahl zwischen einem Egoisten, der an jedem Tag jede Minute nur an sich denkt, und einer Frau, die für uns alle kämpfen wird.“ Hillary Clinton sei schlau und durchsetzungsstark, die viel bessere Präsidentin als Donald Trump. Deswegen, und Warren bebt jetzt fast: „Ich kämpfe für Hillary.“

Die Menge mag der 67-Jährigen nicht so recht folgen. Der Jubel ist verhalten. Aber an diesem ersten Tag der Krönungsmesse der Demokraten für ihre Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton ist es schon Erfolg genug, dass es keine offenen Unmutsbekundungen gegen Clinton gibt. Nicht gebuht ist schon genug gelobt. So präsentieren sich Amerikas Demokraten nach einem Vorwahlkampf, der tiefe Gräben in der Partei aufgerissen hat. Clinton gegen Sanders, Establishment gegen Aktivisten, Pragmatiker gegen Linke. Und am Ende Elizabeth Warren auf der Bühne des Parteitags, die diese Gräben zuschütten soll.

Die Zweifel an Clinton in der eigenen Partei sind vor den Wahlen am 8. November groß. Viele Wähler halten die 68-Jährige für wenig vertrauenswürdig. Die Frau hat dem neuen linken Zeitgeist unter Amerikas Demokraten bisher wenig entgegenzusetzen. Zu eng sind für viele noch immer die persönlichen Beziehungen Clintons zur Wall Street, zu Großkonzernen, zu jenen Spendern, die die Wahlkampfkassen der Demokratin füllen. Deswegen haben so viele Demokraten in den Vorwahlen für den Altlinken Bernie Sanders gestimmt. Dass der, wie diese Woche bekannt wurde, offenbar nur mithilfe unfairer Tricks der Partei-Oberen gebremst wurde, hat die Partei weiter gespalten.

Partnerin und Kontrolleurin

Elizabeth Warren nun, eine dezidiert wirtschaftskritische Linke, soll Clinton den Vertrauensvorschuss in dem widerspenstigen Teil der Partei geben, den die ehemalige Außenministerin so dringend braucht: Ohne Warren und ihre Anhängerschaft sinken Clintons Chancen dramatisch, Donald Trump zu schlagen.

Linke Wirtschaftspolitik statt Trump

Dieses Geschäft hat für Clinton aber einen Preis: Die Harvard-Professorin und Senatsabgeordnete Warren wird Clintons wichtigste Partnerin, sollte die Demokratin Mitte Januar ins Weiße Haus einziehen. Und ihre strengste Kontrolleurin. Mit ihren populären, manche sagen auch populistischen, Attacken gegen Finanzindustrie und Freihandel hat Warren seit ihrem Einzug in den Senat vor dreieinhalb Jahren ihre Partei dahin manövriert, wo sie sie haben will: nach links. Clinton, ehemals Befürworterin des transpazifischen Freihandelsabkommens TPP, sieht den freien Warenverkehr inzwischen kritisch. Und Warrens Pläne, die Wall Street zu regulieren, gehen weit über das hinaus, was US-Präsident Barack Obama bisher erreicht hat. Wer also ist diese Frau, die einerseits helfen könnte, der Welt eine Regentschaft Donald Trumps zu ersparen, andererseits die USA in der Wirtschaftspolitik nach links rückt?

Weniger Ruhm, mehr Macht

Michael Dukakis hat ein feines Gespür für die Arithmetiken der Macht innerhalb der Demokraten. Er war Gouverneur in Massachusetts, Warrens Heimatstaat, er trat 1988 für die Demokraten gegen George Bush den Älteren bei der Präsidentenwahl an.
Heute zählt er zu den grauen Eminenzen der Partei, die im Hintergrund Strategien und Taktiken ergrübeln. Er glaubt: Warren wird sehr einflussreich werden, auch wenn sie zunächst kein größeres Amt erhalten wird. Clinton habe etwa gut daran getan, Tim Kaine in dieser Woche zum Vizepräsidentschaftskandidaten zu ernennen und nicht Warren, wie spekuliert worden war. Warren sei für die Demokraten viel zu wichtig, um sie in einem zwar repräsentativen, aber irgendwie doch machtlosen Amt zu verräumen.

„Warren ist eine tolle Senatorin und geht in ihrer Rolle voll auf“, sagt er. Der Job im Senat sei genau der richtige für sie. Während nämlich die offizielle Nummer zwei im Staat hauptsächlich repräsentative Aufgaben übernimmt, braucht ein US-Präsident für alle Gesetzesvorhaben die Zustimmung vom Kongress. Dort ist Warren hoch angesehen. Will Clinton nach der Wahl etwas bewegen, braucht sie eine Mehrheit im Senat. Warren ist der Schlüssel dazu.

Die Frau stammt aus einfachen Verhältnissen, geboren als Tochter eines Hausmeisters und als Urururenkelin von Cherokee-Indianern aus dem Südosten der USA. Heute dagegen ist ihr Leben ein Aushängeschild des American Dream, mit einem schmucken, viktorianischen Haus in Cambridges’ bester Wohngegend und einem zügig wachsenden Vermögen. Warren und ihr Gatte brachten es mit kleineren Immobiliengeschäften, ihren Posten als Harvard-Professoren (jeweils mehr als 300 000 Dollar Jahresgehalt) und Sachbuch-Bestsellern auf ein geschätztes Vermögen von knapp neun Millionen Dollar. Damit gehört Warren zum reichsten Fünftel der US-Senatoren.

Mehr Chancengleichheit, höhere Löhne, gegen die wachsende Ungleichheit

Doch es sind die prekären Verhältnisse ihres früheren Lebens, die Warren als Politikerin und als Professorin umtreiben. Und so kämpft die Senatorin primär für mehr Chancengleichheit, höhere Löhne und gegen die wachsende Ungleichheit – mit erstaunlichem Erfolg. Wie beliebt Warren bei der Basis ist, zeigt sich an einem Samstagvormittag in Cambridge, der Harvard-Stadt im Nordosten der USA.

Im Beauty Spa, einem kleinen Schönheitssalon an der Massachusetts Avenue, herrscht Hochbetrieb. Ein halbes Dutzend Kundinnen sitzt auf hohen, knallroten Sesseln und lässt Nägel und Augenbrauen in Form bringen. Eine von ihnen ist Warren, mit rosa Bluse, Bermudashorts, Birkenstocksandalen und – nach Abschluss des Schönheitsprogramms – tiefblauem Glitzernagellack an den Füßen. Als sie aufsteht, um zur Kasse zu gehen, gibt es kein Halten mehr: Kundinnen wie Kosmetikerinnen überschütten „Ms. Senator“ mit Dank und aufmunternden Worten für ihre Arbeit in Washington.

Kompromisslos

Die begann weit vor ihrer Zeit als Senatorin. Warrens politisches Gesellenstück sollte der Aufbau des Consumer Financial Protection Bureau werden, einer Verbraucherschutzbehörde für Finanzen. Warren hatte schon 2007 eine solche Behörde gefordert, doch die Zeit dafür schien erst ein Jahr später gekommen, als die Banken die Weltwirtschaft in die Krise stürzten. Auf Geheiß des Präsidenten entwarf sie die Strukturen der Behörde, stellte 500 Mitarbeiter ein – und musste dann erleben, wie Washington tickt: Barack Obama setzte einen Behördenmitarbeiter, den Warren zuvor selbst eingestellt hatte, auf den Chefsessel. Obama fürchtete, dass Warren als streitlustige Behördenchefin die politische Spaltung des Landes verschlimmert hätte. Warren ist „äußerst gescheit“, „umtriebig“ und „prinzipientreu“, lobt Exgouverneur Dukakis. Kompromissbereit aber ist sie nicht.

Jede Stimme zählt

Mit Obama legte sie sich öffentlich ebenso an wie mit Hillary Clinton.
In einem Buch aus dem Jahr 2004 klagte Warren die damalige Senatorin von New York an, die Wall Street hätte sie gekauft. Außerdem sei Clinton „herrisch“ und behandle ihre Mitarbeiter respektlos. Freunde sind Warren und Clinton nie geworden, die beiden arrangieren sich.

Warren wird im Senat gebraucht. Zeitgleich zur Präsidentschaftswahl werden einige Sitze neu vergeben; die Demokraten hoffen, die Mehrheit zurückzugewinnen. Auf jeden einzelnen Sitz kommt es an. Würde Warren in die Regierung wechseln, müsste sie ihren Senatsposten aufgeben, und der republikanische Gouverneur von Massachusetts könnte einen Parteifreund als Nachfolger bestimmen. „Wir können es uns nicht leisten, dass Warren den Senat verlässt – aus strategischen wie inhaltlichen Gründen“, sagt Dukakis.

Andere frisch gewählte Senatoren brauchen Jahre, um sich in Washington zurechtzufinden, sich Gehör in der Partei und den Medien zu verschaffen. Nicht so Warren. Vom ersten Tag an schien sie eine Agenda zu verfolgen, die sich alte Politikhasen nicht besser hätten ausdenken können. Seither kennt man sie in Washington als die Politikerin, die schneller als jeder andere durch die endlosen Flure des Parlamentsgebäudes saust und dabei pausenlos auf die Assistenten in ihrem Schlepptau einredet.

Banken spalten, Löhne anheben

Warrens liebste Rolle ist die der Verbraucherschützerin, die Amerikas Bürger vor der Wall Street in Schutz nimmt. Die US-Finanzindustrie wurde unter Obama gezwungen, sich auf weniger riskante Geschäfte zu konzentrieren und krisenresistenter zu werden, damit sie künftig nicht mehr vom Staat gerettet werden muss. Aus Sicht der Banken ist inzwischen alles im Lot – doch Warren gibt keine Ruhe. Sie erkennt Fortschritte an, aber es gebe noch „etliche unerledigte Angelegenheiten“, sagt sie. Dazu gehöre, „dass elf Banken immer noch so groß sind, dass sie die gesamte US-Wirtschaft mit sich in den Abgrund reißen können“. Es gebe darauf nur eine Antwort: „Die Aufspaltung.“ Wer staatlichen Schutz wolle, müsse sich auf das „langweile, normale Banking“ beschränken. Banken, die dagegen riskante Investmentgeschäfte tätigen wollten, müssten für ihren Schutz selbst sorgen.

Ihr zweites Anliegen: die Mittelschicht zu stärken und die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit im Land zu bekämpfen. Praktisch die gesamten Einkommenszuwächse seit den Achtzigerjahren wurden von den reichsten zehn Prozent der Gesellschaft abgesahnt. Dass sich mit Trump nun ausgerechnet ein Milliardär und Immobilientycoon anschickt, mit seinen Parolen gegen Freihandel die Stimmen der Arbeiter einzusammeln, macht Warren richtiggehend wütend.

Warren bietet Trump Paroli

Auf Twitter liefern sich die demokratische Senatorin und der republikanische Präsidentschaftskandidat seit Wochen leidenschaftliche Wortgefechte, oft am Rande des guten Geschmacks. Trump, der Warren als „dämlich“ und „eine Schwindlerin“ bezeichnete, sei ein „unsicherer Narzisst“, ein „miserabler und betrügerischer Geschäftsmann“ und ein „sexistischer Tyrann“, poltert Warren. Die linke Basis johlt und jubelt. Endlich gibt es jemanden, der Trump Paroli bietet und den Immobilienmogul mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versucht. Während Clintons Attacken bisher verpufften, hat Warren das Zeug, Trump in die Enge zu treiben. Hillary Clinton schaut dem Treiben dankbar zu. Sie kann sich präsidial geben, solange Warren nun auch noch die Rolle des Wadenbeißers übernimmt.

So perfekt diese Arbeitsteilung ist, so bleibt dennoch die Frage, ob sie aufgeht. Als auf dem Parteitag am Montag zum ersten Mal der Name Clinton fällt, buhen viele Delegierte lautstark. Als Warren geendet hat, hat sich die Menge beruhigt. Offener Widerstand, so wirken die meisten, wird aus der Partei nun nicht mehr kommen. Ob aber all jene, die hinter Sanders und Warren stehen, am 8. November wirklich auch zur Wahl gehen, das ist eine ganz andere Frage.

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