US-Präsident Donald Trump beweist im Stahlstreit einmal mehr seine Kernkompetenz: seine Unberechenbarkeit. Die Ausnahmen für Zölle auf Stahl und Aluminium hat er für die Europäer um einen Monat verlängert. Für die Europäer ist damit das schlimmste Szenario - Zölle von 25 Prozent auf Stahl - vorerst abgewendet. Viel gewonnen ist damit aber noch nicht.
Nach wie vor ist unklar, welche Zugeständnisse Trump von den Europäern erwartet. Eine Quote für den Export europäischen Stahls in die USA, wie sie Handelsminister Wilbur Ross ins Spiel gebracht hat, widerspricht den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Sie würde auch nicht das wirkliche Problem im Stahlstreit lösen, die weltweiten Überkapazitäten.
Derweil ist es wenig verwunderlich, dass Trumps Entscheidung in Berlin und Brüssel sehr unterkühlt aufgenommen wurde. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung unterstrichen, dass sie eine dauerhafte Ausnahme von den Zöllen erwarten, die ihrer Ansicht nach nicht der nationalen Sicherheit, sondern dem Schutz der US-Industrie dienen. Zahlreiche Wirtschaftsverbände forderten am Dienstag eine Entscheidung in Washington, die Planungssicherheit gibt. Für Unternehmen ist der anhaltende Schwebezustand Gift.
Nun heißt der neue Stichtag aber 1. Juni. Und ein Monat ist eine kurze Zeitspanne um eine Lösung im Stahlstreit zu finden. Die EU muss sich überlegen, wie sie weiter vorgeht. Am 18. Mai läuft die Frist bei der WTO aus, bis zu der sie Gegenmaßnahmen anmelden kann. Wenn die EU zeigen will, dass ihr an den globalen Handelsregeln der WTO liegt, darf sie diese Frist nicht verstreichen lassen. Von der US-Seite könnten Gegenmaßnahmen als Eskalation verstanden werden.
Das sollte die Europäer aber nicht davon abhalten, für regelbasierten Handel und Multilateralismus einzustehen. Die EU muss sich auch dagegen wehren, dass der Stahl aus Drittstaaten, den Trump aussperrt, auf den europäischen Markt umgeleitet werden. Europa darf nicht den Preis für Trumps Protektionismus zahlen.
Seit seinem Amtsantritt ist Trump seinem erratischen Verhalten treu geblieben. Im Stahlstreit ignoriert er - wie schon so oft zuvor - Fakten und logische Argumente. Dass die USA gegenüber der gesamten EU ein Leistungsbilanzüberschuss aufweisen und kein Defizit - es ist ihm egal. Dass er mit seiner Politik die Leistungsbilanz nun eher schwächt, ist ihm offensichtlich genauso egal.
Sollte der Stahlstreit vor einem Streitschlichtungspanel der WTO landen, dann kann Trump nur verlieren. Aber auch das scheint ihn wenig zu berühren. Möglich sind dabei nur zwei Szenarios: Wenn die USA den Fall gewinnen, und die WTO entscheiden sollte, dass die Sicherheitsbedenken zu Recht angewandt werden, dann ist dies eine Ermunterung an andere Länder, ebenso vorzugehen. Die USA würden sich dann von ihren Exportmärkten ausgesperrt sehen. Sollte die WTO zu dem Schluss kommen, dass Trump sich zu Unrecht auf die Sicherheit beruft, was die wahrscheinlichere Variante ist, wäre Trumps Politik entlarvt.
Die Europäer haben keine andere Option als sich mit einem irrationalen Gegenüber abzufinden und ihre Interessen entschieden zu vertreten. Die EU muss für offene Märkte und Multilateralismus einstehen - auch wenn die Länder davon unterschiedlich stark profitieren.
Nicht alle EU-Mitgliedsländer sind so exportorientiert wie Deutschland. Von Trump dürfen sich die 28 EU-Mitgliedsstaaten nicht auseinander dividieren lassen. Einheit zu zeigen, wird auch im kommenden Monat von zentraler Bedeutung sein. Wenn es Trump gelingen sollte, die Europäer gegeneinander auszuspielen, dann hat er gewonnen.
So wichtig sind die USA im Handel für Deutschland und die EU
Die EU und die USA gelten als die weltweit am stärksten miteinander vernetzten Wirtschaftsregionen. Obwohl hier nur etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung leben, wird knapp die Hälfte des Sozialprodukts erwirtschaftet, etwa 50 Prozent der Weltproduktion erzeugt und ein Drittel des globalen Handels getätigt. Beide Regionen vereinen 60 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen auf sich.
Auf beiden Seiten des Atlantiks sichert die enge wirtschaftliche Partnerschaft etwa 15 Millionen Arbeitsplätze. Mehr als eine Million Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt von den Exporten in die USA ab. Weitere 630.000 Arbeitsplätze gibt es in Betrieben, die von US-Firmen kontrolliert werden - von McDonald's über den Personaldienstleister Manpower bis hin zu den Ford-Werken. Umgekehrt schaffen deutsche Unternehmen in den USA ebenfalls Hunderttausende Jobs. Zu den größten deutschen Arbeitgebern dort gehören Volkswagen, die Deutsche-Post-Tochter DHL, Siemens und der Autozulieferer ZF Friedrichshafen.
Auch für die 28-Mitgliedsstaaten zählende EU sind die USA der wichtigste Kunde. Waren im Wert von 375 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr dorthin geliefert. Das ist fast doppelt so viel wie nach China verkauft wurden. Etwa ein Fünftel der gesamten EU-Ausfuhren landen in den Vereinigten Staaten.
US-Exporte gingen 2017 im Umfang von 282,5 Milliarden Dollar nach Kanada, nach Mexiko waren es 242,98 Milliarden Dollar und nach China 130,4 Milliarden Dollar. Deutlich dahinter lag das Ausfuhrvolumen nach Japan mit 67,7 Milliarden Dollar, nach Großbritannien mit 56,3 Milliarden Dollar und Deutschland mit 53,5 Milliarden Dollar.
Die USA waren 2017 bereits das dritte Jahr in Folge wichtigster Abnehmer deutscher Waren. Güter im Wert von 111,5 Milliarden Euro wurden von Deutschland in die Vereinigten Staaten exportiert. Das ist mehr als in die Nachbarländer Schweiz und Belgien zusammen. Fast neun Prozent der gesamten deutschen Exporte landen in den USA.
Die Amerikaner kaufen vor allem Fahrzeuge und Fahrzeugteile "Made in Germany". Dafür gaben sie fast 29 Milliarden Euro aus. Zweitwichtigster Exportschlager sind Maschinen (19 Milliarden Euro), gefolgt von pharmazeutischen Produkten (13,5 Milliarden Euro). Die Metall-Exporte summierten sich 2017 auf knapp 3,6 Milliarden Euro.
Der US-Warenhandel mit anderen Ländern belief sich im vergangenen Jahr auf Exporte von 1,55 Billionen Dollar und Importe von 2,34 Billionen Dollar. Damit wurde ein Defizit von 796,2 Milliarden Dollar verzeichnet. Gemessen am Ungleichgewicht im Warenhandel ist das US-Defizit gegenüber China mit 375,2 Milliarden Dollar bei weitem am größten. Dahinter folgen Mexiko mit 71,06 Milliarden Dollar, Japan mit 68,85 Milliarden Dollar und Deutschland mit 64,25 Milliarden Dollar.
Von den US-Importen kamen allein Waren im Wert von über 505,6 Milliarden Dollar aus China. In der Rangliste folgen Mexiko mit 314 Milliarden Dollar, Kanada mit 300 Milliarden Dollar, Japan mit 136,5 Milliarden Dollar und Deutschland mit knapp 118 Milliarden Dollar.