60 Jahre Sachverständigenrat „Persönliche Kritik muss man aushalten können“

Ein historisches Foto der Weisen mit Karl Schiller. Quelle: dpa

Das Gremium der Wirtschaftsweisen feiert seinen 60. Geburtstag, an diesem Mittwoch findet in Berlin ein Festakt statt. Zum Jubiläum wollte die WirtschaftsWoche von ehemaligen Vorsitzenden des Gremiums wissen: Welche Erinnerungen verbinden sie mit der Tätigkeit im Sachverständigenrat? Und sind dessen Auftrag und Organisation noch zeitgemäß?

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Der Name des Gremiums ist sperrig, doch seine Bedeutung für die Politikberatung in Deutschland seit jeher hoch: Der fünfköpfige „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, im Volksmund „Wirtschaftsweise“ genannt, geht auf eine Initiative von Ludwig Erhard zurück und zählt zu den wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Institutionen in Deutschland. 1963 setzt der damalige Bundeswirtschaftsminister die Gründung des Rates gegen den Willen von Kanzler Konrad Adenauer durch. Dieser hatte auf die Idee einer ökonomischen Ratgebertruppe aus der Wissenschaft mit den Worten reagiert: „Erhard, woll’n Sie sich ’ne Laus in den Pelz setzen?“

Die Mitgliederliste der vergangenen Jahrzehnte liest sich wie ein „Who is Who“ der deutschen VWL. Zuletzt standen die Wirtschaftsweisen allerdings wegen personeller Querelen und bisweilen fragwürdiger Vorschläge in der Kritik. Umso spannender ist es daher, wie ehemalige Vorsitzende des Rates heute auf das Gremium blicken.

Lars Feld, Ratsvorsitzender von 2020 bis 2021: „Die Politisierung der Arbeit sollte zurückgenommen werden“

Auf meine Zeit im Sachverständigenrat blicke ich fast ausschließlich mit Dankbarkeit zurück. Es war eine erfüllende Zeit, die mit Anstrengungen und Belastungen verbunden war; diese haben sich aber voll und ganz gelohnt. Es ist ein Privileg, wirtschaftspolitische Einschätzungen mit einem solchen wirkmächtigen unabhängigen Gremium in die politische Diskussion einbringen zu dürfen. Schlechte Erinnerungen habe ich keine – nicht einmal, wenn ich persönlich im Fokus der Kritik war. Das gehört dazu. Man muss es aushalten können.

Die Diskussion um institutionelle Reformen des Sachverständigenrates finde ich unnötig. Es ist gut, dass es den Sachverständigenrat als unabhängiges Gremium gibt, dass er nicht Teil der Regierung ist, sogar, dass er räumlichen Abstand von Berlin hat. Der Generalsekretär, der wissenschaftliche Stab und die Geschäftsstelle sind hoch kompetent und professionell. Die Ratskolleginnen und -kollegen sind ausgezeichnete Ökonominnen und Ökonomen.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass die Politisierung des Rates wieder etwas zurückgenommen wird. Die Politik sollte vor allem auf die wissenschaftliche Expertise bei der Ratsbesetzung achten – und darauf, dass die Inhalte des Mandats durch eine entsprechende inhaltliche Expertise im Rat abgedeckt sind. Es handelt sich schließlich immer noch um ein Gremium, dass Makroökonomik durchbuchstabieren können muss. Bei aller Mikrofundierung ist die Makroökonomik unverzichtbar. Zu guter Letzt sollte wieder klarer gelten, dass weder die Spitzenverbände der Wirtschaft noch die Gewerkschaften ein echtes Vorschlagsrecht haben. Eine starke Regierung würde klarstellen, dass dieses nur bei der Regierung selbst liegt.

Christoph Schmidt, Ratsvorsitzender von 2013 bis 2020: „Bei den sozialen Sicherungssystemen wurden unsere Mahnungen missachtet

Quelle: imago images

Die Mitarbeit im Sachverständigenrat und insbesondere auch dessen Leitung habe ich als große Chance empfunden, wirkungsvolle Beiträge an der Schnittstelle zwischen ökonomischer Forschung und wirtschaftspolitischem Diskurs zu leisten. Persönlich waren diese etwas mehr als zehn Jahre für mich sehr bereichernd.

Insbesondere konnte ich maßgeblich dazu beitragen, den Sachverständigenrat zu einem evidenzbasiert arbeitenden Gremium zu machen. Als meinen größten inhaltlichen Erfolg als „Wirtschaftsweiser“ sehe ich die Verankerung marktwirtschaftlicher Ansätze in der Klimapolitik. Der von uns 2019 in dem von mir federführend koordinierten Sondergutachten mit dem Titel „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ angeregte Kurswechsel – weg vom kleinteiligen Dirigismus, hin zu Preissignalen – fand Einzug in die einschlägigen Gesetze.

Umso trauriger ist es, wenn nun doch vielfach wieder das Mikromanagement in der Energiewende die Oberhand gewinnt. Zu den frustrierendsten Erlebnissen hingegen zählt die Missachtung unserer ausdrücklichen Mahnung, im Angesicht des demografischen Wandels die Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme zu stärken.

Gibt es also Reformbedarf? Der Sachverständigenrat sitzt als unabhängiges Gremium zwar nicht im Vorzimmer der Macht, hat dafür aber die Freiheit, quer zu denken und politische Fehlentwicklungen zu kritisieren. Er ist damit nicht nur Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, sondern auch ein hilfreiches Korrektiv für eine selbstreflektierte Politik. Die stetige Herausforderung dabei ist, das richtige Gleichgewicht zwischen der Anschlussfähigkeit an den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs und einer klaren ordnungspolitischen Linie zu finden.

Das unterscheidet ihn vom amerikanischen Modell des „Council of Economic Advisers“, dessen Mitglieder im Denken stets nah am Regierungshandeln sein müssen. Grundsätzlichen Reformbedarf für den Sachverständigenrat sehe ich persönlich nicht. Wir hatten aber auch schon im vergangenen Jahrzehnt die Weiterentwicklung der Institution als eine ständige Aufgabe begriffen. So haben wir beispielsweise neue Themenfelder wie die Nachhaltigkeit oder die ganzheitliche Wohlfahrtsberichterstattung offensiv aufgegriffen und ein globales Netzwerk ähnlicher Gremien initiiert.

Bert Rürup, Ratsvorsitzender von 2005 bis 2009: Wir sollten den Rat nach US-Vorbild reformieren

Quelle: imago images

Der Sachverständigenrat wird als das wichtigste wirtschaftspolitische Beratergremium der Bundesregierung bezeichnet. Genau das aber sollen die Wirtschaftsweisen nicht sein. Nach Paragraph 2 des Sachverständigenrat-Gesetzes ist es den Mitgliedern untersagt „Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen“. Die Wirtschaftsweisen sollen qua Gesetz eher so etwas wie „Obergutachter“ darstellen.

Doch an Begutachtungsgremien herrscht in Deutschland angesichts der traditionsreichen wissenschaftlichen Beiräte vieler Bundesministerien und der zahlreichen öffentlich geförderten Forschungsinstitute kein Mangel. Sehr wohl mangelt es an einer institutionalisierten, ökonomischen Politikberatung. Beratung beinhaltet stets konkrete Handlungsempfehlungen und zwar unter Beachtung von Vorgaben, Zielen und Entscheidungsrestriktionen des Auftraggebers. Der Berater muss den Erfolg seines Auftraggebers wollen und bereit sein, nicht aus dem Elfenbeinturm heraus zu argumentieren. Beratung bedingt dabei zwar eine Aufgabe der Neutralität, nicht aber die Aufgabe der Wissenschaftlichkeit. Die Seriosität einer Analyse und daraus abgeleiteten Politikempfehlungen hängen nicht davon ab, ob sie vom Chefvolkswirt einer Gewerkschaft, einem Bankökonomen, einem Universitätsprofessor oder einem die Regierung beratenden Gremium stammen.

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In den USA ist der Transfer ökonomischen Wissens in den politischen Prozess viel besser, transparenter und professioneller organisiert als bei uns. Dort wird klar unterschieden zwischen Begutachtung im Interesse einer sachgerechten Information der Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Beratung als Dienstleistung für die Regierung. Außerdem sind dort die Kriterien und Auswahlprozeduren der Experten sehr transparent. So haben bei der Besetzung von Begutachtungskommissionen etablierte Institutionen wie die National Academy of Sciences oder der National Research Council im Interesse der Qualitätssicherung ein Vetorecht.

Für US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war und ist es eine Ehre und der akademischen Reputation alles andere als abträglich, für einige Jahre hauptberuflich wissenschaftliche Politikberatung im Interesse des jeweiligen Präsidenten zu betreiben. Ein vergleichbares Modell wäre auch für Deutschland wünschenswert – wir sollten den Sachverständigenrat nach US-Vorbild reformieren. Erste Schritte in diese Richtung wurden in den Jahren 2006 bis 2011 mit diversen Spezialanalysen für die Bundesregierung unternommen, aber bald wieder eingestellt – schade. Denn fundierter ökonomischer Rat würde auch der amtierenden Regierung nicht schaden.

Wolfgang Wiegard, Ratsvorsitzender von 2002 bis 2005: Zwischen Bofinger und mir hat es anfangs geknallt

Die Zeit im SVR war für mich prägend und bleibt in jeder Hinsicht in bester Erinnerung. Fachlich habe ich enorm von den Kollegen und Kolleginnen im Rat und im Wissenschaftlichen Stab profitiert. Auch auf persönlicher Ebene war die Arbeit im SVR außerordentlich angenehm. Sicher: Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, bleibt es nicht aus, dass es auch mal knallt – wie etwa zwischen Peter Bofinger und mir in der Anfangsphase von Peters Mitgliedschaft. Aber das hat unser persönliches Verhältnis nicht getrübt.

Mit fast allen damaligen Ratsmitgliedern (speziell auch mit Peter Bofinger) bin ich noch in Kontakt und gut befreundet; ebenso mit einigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus dem Wissenschaftlichen Stab und der Geschäftsstelle. Zu meiner Zeit wurden diverse zusätzliche Gutachten veröffentlicht. Ich durfte federführend an den Gutachten zur Dualen Einkommensteuer sowie an einem Gutachten zur Schuldenbremse arbeiten. Diese Gutachten zählen für mich fachlich und auch in der Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Stab und den externen Kollegen im Fall des Dualen Einkommensteuer zu den Highlights meiner wissenschaftlichen Arbeit.

Insgesamt sehe ich bei der Arbeit des Rates keinen großen Änderungsbedarf. Es wurde und wird zwar immer wieder über institutionelle Reformen diskutiert, etwa über einen Umzug nach Berlin und eine stärkere Einbindung in politische Entscheidungen mit wirtschaftlichen Inhalten (also mehr oder weniger eine Umgestaltung nach dem Vorbild des amerikanischen Council of Economic Advisers). Ich war und bin da allerdings sehr skeptisch, weil ich befürchte, dass dies zu Lasten der Unabhängigkeit des SVR ginge. Gerade die Unabhängigkeit von der Regierung und anderen Akteuren ist für mich besonders wichtig.

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Vom CEA dringt keine Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung nach außen; gerade das war und ist aber ein wichtiger Inhalt unserer Jahresgutachten. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben soll der SVR zwar keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen abgeben. Die diversen Jahresgutachten sind allerdings voll von verklausulierten Empfehlungen – die nur anders benannt wurden.

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