WirtschaftsWoche: Herr Zimmermann, laut Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wird der Flüchtlingsansturm die demografische Delle auf dem Arbeitsmarkt ausbügeln und den Fachkräftemangel beseitigen. Hat sie recht?
Klaus Zimmermann: Diese Erwartung ist reichlich übertrieben. Die meisten Flüchtlinge haben keine Ausbildung, können kein Deutsch und haben kaum eine Chance. Wenn wir von einer Million Flüchtlingen ausgehen, kommen davon langfristig nicht mehr als rund 200 000 für den deutschen Arbeitsmarkt infrage. Davon wird rund die Hälfte nach fünf Jahren, drei Viertel vielleicht nach zehn Jahren in Arbeit kommen. Wären sie kurzfristig alle als arbeitslos registriert, dann stiege die Zahl der Arbeitslosen um knapp acht Prozent und die derzeitige Arbeitslosenquote um weniger als einen halben Prozentpunkt. Die finanziellen Konsequenzen sind signifikant, aber eher klein. Auch wenn der Zustrom in den nächsten Jahren anhält, würde das pro Jahr bei 16 Milliarden Euro liegen, also bei einem halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts.
Zur Person
Klaus Zimmermann, 62, ist Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit und lehrt Staatswissenschaften an der Universität Bonn. Er gilt als Experte in Fragen der Migration.
Was könnten wir tun, um Einwanderer besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Es sollte ziemlich früh festgestellt werden, welche Qualifikation der Einzelne hat. Zudem müssen die Verfahren beschleunigt werden, damit die Einwanderer schnell Klarheit über ihren Status erhalten. Die Unternehmen werden den Immigranten nur eine berufliche Ausbildung anbieten, wenn sie sicher sind, dass diese länger bleiben dürfen. Je eher die Immigranten eine Arbeitserlaubnis erhalten, desto besser gelingt die Integration.
Das ifo Institut fordert die Abschaffung des Mindestlohns, um mehr Jobs für Einwanderer zu schaffen ...
Ich bin kein Freund des Mindestlohns, aber der Flüchtlinge wegen würde ich ihn nicht abschaffen. Wenn wir diese mit Langzeitarbeitslosen gleichstellen, sind Eingliederungshilfen eine bessere Hilfe.
Was Flüchtlinge dürfen
Wer eine sogenannte Aufenthaltsgestattung bekommt, darf nach drei Monaten in Deutschland eine betriebliche Ausbildung beginnen. Wer geduldet ist, kann vom ersten Tag an eine Ausbildung machen. In beiden Fällen ist jedoch eine Erlaubnis durch die Ausländerbehörde nötig.
Gleiches gilt für Praktika oder den Bundesfreiwilligendienst beziehungsweise ein freiwilliges, soziales Jahr: Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach drei Monaten ohne Zustimmung der ZAV damit beginnen, wer den Status „geduldet“ hat, darf das ab dem ersten Tag.
Wer studiert hat und eine Aufenthaltsgestattung besitzt, darf ohne Zustimmung der ZAV nach drei Monaten eine dem Abschluss entsprechende Beschäftigung aufnehmen, wenn sie einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen und mindestens 47.600 Euro brutto im Jahr verdienen werden oder einen deutschen Hochschulabschluss besitzen (unabhängig vom Einkommen).
Personen mit Duldung können dasselbe bereits ab dem ersten Tag des Aufenthalts.
Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach vierjährigem Aufenthalt jede Beschäftigung ohne Zustimmung der ZAV aufnehmen.
Wer länger als ein Jahr ohne Job ist, gilt kaum noch als vermittelbar. Wie soll die Integration von Flüchtlingen nach fünf Jahren noch gelingen?
Die Integrationsanstrengungen müssen ja sofort beginnen. Das kann klappen, weil ein Großteil dieser Leute noch sehr jung ist. Dennoch ist das Verfahren zu starr. Wer für den Arbeitsmarkt geeignet ist, sollte aus dem Asylverfahren herausgenommen werden können und sofort ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis erhalten. Selbst abgewiesenen Bewerbern sollte eine befristete Berufstätigkeit ermöglicht werden, wenn sie nicht sofort abgeschoben werden. Das wäre dann wenigstens eine sinnvolle Integration in das Leben, ein Stück Entwicklungshilfe.
Dafür bräuchte man ein Einwanderungsgesetz?
Gegenwärtig ist die Bereitschaft, noch mehr Einwanderung zuzulassen, leider nicht mehr so groß. Wir sollten aber in der Flüchtlingswelle eine Chance sehen, unsere Einwanderungspolitik so zu reformieren, dass uns das langfristig nützt.