Bestätigung der Tarifeinheit "Jetzt ist Kreativität gefragt"

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt das Tarifeinheitsgesetz. Die Experten Markus Künzel und Henrik Lüthge sehen die Spartengewerkschaften nun vor einem Dilemma.

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Das Recht auf Streik: Grundlage für die Arbeitskämpfe der Gewerkschaften. (Foto: dpa)

WirtschaftsWoche: Das Tarifeinheitsgesetz ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Grundsatz verfassungsgemäß. Ändert sich dennoch etwas für die kleinen Gewerkschaften?

Markus Künzel: Die Entscheidung ist überraschend klar ausgefallen. Der Teil, der nachgebessert werden soll, ist marginal und betrifft nicht den Kern des Gesetzes. Für die Kläger ist das Ergebnis eine riesige Enttäuschung. Die hatten gehofft, einen größeren Freiraum bei den Tarifverhandlungen zurück zu gewinnen. Vor dem Gesetz mussten sie sich nicht untereinander absprechen und konnten ihre Tarifverträge „durchboxen“.

Henrik Lüthge: Zur Streikfrage selbst scheint das BVerfG davon auszugehen, dass die Minderheitsgewerkschaften zwar auch zukünftig weiterhin streiken können. Das Dilemma für die kleinen Gewerkschaften besteht aber weiterhin darin, dass sie ihre Streiks und Verhandlungen möglicherweise ohne Ergebnis führen, weil ihre Abschlüsse durch den Tarifvertrag der größeren Gewerkschaften verdrängt werden. Dies macht es mitunter schwer, weiterhin genügend Mitglieder zu mobilisieren und langfristig an sich zu binden.

 

Zu den Personen

Das Gesetz wurde seit seinem in Krafttreten kein einziges Mal angewendet. Wird sich das jetzt ändern?

Künzel: Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes hat sich bisher noch nicht viel Gelegenheit für die Anwendung geboten, da bestehende Tarifverträge galten und die letzten Abschlüsse nicht weit zurück lagen. Sicher hat die bis vor der Entscheidung bestehende Unklarheit über die Gültigkeit des Gesetzes vor allem die kleineren Gewerkschaften davon abgehalten, weitere eigene Tarifverträge im Wege des Arbeitskampfes durchzusetzen. Ich denke jedenfalls, dass in Zukunft die Kooperation der Gewerkschaften untereinander zwangsweise zunehmen wird und sich damit der Zweck des Gesetzes verwirklichen wird.

Bis Ende 2018 soll das Gesetz nachgebessert werden, „zum Schutz kleiner Spartengesellschaften“. Wie kann eine Änderung aussehen?

Künzel: Es ist unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber den kleinen Gewerkschaften wieder Möglichkeiten zu eigenen Tarifabschlüssen gegen den Willen der Mehrheitsgewerkschaften an die Hand gibt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er „lediglich“ – wie vom Verfassungsgericht gefordert – Regelungen etablieren wird, die sicherstellen, dass die Mehrheitsgewerkschaften die Interessen kleiner Berufsgruppen nicht vernachlässigen. Ein plakatives Beispiel ist der Krankenhausbereich, in welchem die Ärzte aktuell durch die Spartengewerkschaft Marburger Bund und nicht durch Ver.di vertreten werden. Nach den zu schaffenden gesetzlichen Regelungen müsste Ver.di somit in Zukunft verpflichtet sein, auch aktiv die Interessen der Ärzte mit wahrzunehmen, anstatt sich primär den Interessen des nicht-ärztlichen Krankenhauspersonals zu widmen.

Das Gesetz scheint die kleinen Gewerkschaften also miteinzubeziehen. Warum ist man trotzdem vor Gericht gezogen?

Lüthge: Ursprung des Gesetzes waren die Arbeitskämpfe 2013 und 2014. Die Streiks bei der Bahn haben damals einen Großteil der Deutschen betroffen. Andrea Nahles wollte deswegen zurück zum alten Grundsatz: „ein Betrieb, eine Gewerkschaft“. Natürlich haben die kleinen Gewerkschaften das als akute Bedrohung wahrgenommen. Das jetzige Gesetz ist weitaus liberaler als der ursprüngliche Grundsatz. Für die kleinen Gewerkschaften ist es aber trotzdem dramatisch, weil sie in ihrer Verhandlungsfreiheit extrem eingeschränkt werden und von der Kooperationsbereitschaft der großen Gewerkschaften abhängig sind.

 

Wie soll ein Unternehmen überhaupt ermitteln, in welcher Gewerkschaft die meisten Mitarbeiter sind?

Lüthge: Die Arbeitgeber haben kein Recht, ihre Mitarbeiter nach der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft zu fragen. Daher stehen sie jetzt vor dem Problem: Wie komme ich an die Informationen, die am Ende den Ausschlag geben könne, welcher Tarifvertrag in meinem Betrieb gilt? Das Gesetz erlaubt den Gewerkschaften hier, über sogenannte öffentliche Urkunden den Beweis zu führen. Was dies genau bedeutet und ob die Arbeitgeber auch auf andere Weise Klarheit über die Mehrheitsverhältnisse erlangen können, werden die Arbeitsgerichte aber noch näher zu präzieren haben.

Künzel: Bei den meisten Betrieben ist eigentlich auch ohnehin sonnenklar, welche Gewerkschaft die dominierende ist. Bei BMW ist das zum Beispiel die IG Metall, ohne große Konkurrenz. In den Betrieben, in denen eine Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften besteht, kann es gut sein, dass die Gewerkschaften sich schon vor einem Arbeitskampf eigenständig die Mitgliederzahl von einem Notar bestätigen lassen und der Arbeitgeber in dieser Richtung überhaupt nicht aktiv werden muss – es sei denn, er zweifelt die Angaben an.

Lüthge: Interessant wird das vor allem in der Luftverkehrsbranche. Da konkurrieren die Gewerkschaften UFO und Ver.di. Bei Eurowings laufen die aktuellen Tarifverträge mit ver.di. Es könnte also durchaus sein, dass hier das Gesetz zum ersten Mal zur Anwendung kommt.

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