Brigadegeneral a.D. über die Dienstpflicht „Der freiwillige Dienst muss honoriert werden – nicht nur finanziell“

Quelle: dpa

Deutschland diskutiert über die allgemeine Dienstpflicht. Ein erfahrener Bundeswehroffizier erklärt, warum eine überhastete Wiedereinführung der Wehrpflicht zum Problem würde und was sich in der Gesellschaft ändern muss.

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Die Bundeswehr hat Nachwuchsprobleme, obwohl sie nur noch ein Fünftel der Mannschaftsstärke von 1990 hat. Würde die Wiedereinführung der Wehrpflicht, beziehungsweise eine allgemeine Dienstpflicht diese Probleme lösen?
Ich glaube nicht, zumindest nicht sofort. Wenn wir die Aussetzung der Wehrpflicht zurücknehmen, müssen wir erst die Ausbildungsorganisation wieder aufbauen. Dazu müsste die Bundeswehr Hunderte, wenn nicht Tausende Berufs- und Zeitsoldaten aus den Einsatzkontingenten herausnehmen. Also verlöre die Bundeswehr zunächst einmal Soldaten für die Einsätze.

Zur Person

Also lieber keine Wehrpflicht?
Wenn schon, dann wäre mir eine allgemeine Dienstpflicht viel sympathischer, die auch für Frauen gilt. Unterm Strich halte ich aber freiwillige Dienste für sinnvoller in der aktuellen Lage. Bedenklich ist, dass heute rund 30 Prozent der freiwillig Wehrdienstleistenden vorzeitig abbrechen. Die mögen manchmal einfach überfordert sein. Aber ich denke, es wäre am besten, wenn wir sowohl den zivilen Bundesfreiwilligendienst als auch den freiwilligen Wehrdienst noch attraktiver machten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche, pädagogische Aufgabe: Es muss „out“ werden, nicht zu dienen, und „in“ werden, ein Jahr lang etwas für das eigene Land zu leisten.

Mein jüngster Sohn hat sich jetzt für zwei Jahre als Soldat verpflichtet. Da wurde er von seiner Lehrerin gefragt, ob ich ihn dazu gedrängt hätte. Er musste sich also rechtfertigen dafür, dass er zur Bundeswehr geht. Wenn aber Abiturienten zum Chillen monatelang nach Australien fahren, findet man das normal. Das muss sich ändern. Der freiwillige Dienst muss gesellschaftlich honoriert werden. Und zwar nicht nur finanziell, sondern auch ideell.

Was könnten konkrete Anreize sein?
Wer ein Jahr lang einen Dienst für sein Land leistet, könnte bei der Vergabe von Ausbildungs- und Studienplätzen bevorzugt werden.

Sie haben die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 als Berater der Kanzlerin begleitet. War es damals die richtige Entscheidung?
Falsch war jedenfalls der übereilte Ausstieg. Wir haben damals im Kanzleramt auch gewarnt: Überlegt erstmal, was das bedeutet für die Organisation und die Nachwuchsgewinnung. Beim schnellen Ausstieg aus der Wehrpflicht spielte eine Rolle, dass wir für den Afghanistan-Einsatz Soldaten brauchten, die bis dahin Wehrpflichtige ausbildeten. Aber längerfristig hatte das natürlich auch negative Auswirkungen auf die gesamte Personallage. Viele Wehrdienstleistende haben sich damals länger verpflichtet, und sind Unteroffizier oder Offizier geworden.

Zur Rechtfertigung der Aussetzung der Wehrpflicht hieß es oft: Die Bundeswehr braucht professionelle Spezialisten, keine schnell ausgebildeten Wehrdienstleistenden. Stimmt das?
Wenn es um Auslandseinsätze geht, braucht man in den meisten Fällen schon Profis. Der ein oder andere Einsatz könnte auch mit länger dienenden Wehrpflichtigen gemacht werden. Die Gretchen-Frage ist eben, was die Bundeswehr überhaupt leisten soll. Wenn man Aufgaben zur Sicherheit im Innern oder zum Schutz der Landesgrenzen einbezöge, was andere Streitkräfte zum Teil mitmachen, dann könnte man durchaus auch Wehrpflichtige gebrauchen. Auch wenn die Landes- und Bündnisverteidigung angesichts einer Bedrohung durch Russland – im Moment sehe ich die nicht – wieder mehr in den Fokus der Aufgaben der Bundeswehr käme, würde sich das Bild ändern.

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