Das Bundesverfassungsgericht stellt das Streikverbot für Beamte auf den Prüfstand. Der Zweite Senat befasste sich am Mittwoch mit vier Verfassungsbeschwerden von Lehrern, die an Protestveranstaltungen und Warnstreiks teilgenommen hatten und dafür bestraft worden waren. Ein Urteil wird in mehreren Monaten erwartet.
Die von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützten Beschwerdeführer argumentierten mit internationalem Recht, der Europäischen Menschenrechtskonvention und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) führte dagegen das besondere Treue- und Versorgungsverhältnis zwischen Beamten und Staat an.
„Das Streikverbot sichert die Funktionsfähigkeit der Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger“, sagte er. Beamte seien unkündbar und dem Gemeinwohl verpflichtet, sie bekämen eine gute Versorgung. „Im Gegenzug dürfen sie nicht streiken.“ Rosinenpickerei sei nicht möglich. Das Streikverbot sei unerlässlich für einen modernen Staat. „Ich kämpfe dafür, dass es dabei bleibt.“ De Maizière erinnerte an die Flüchtlingskrise. In solchen Situationen müsse sich der Staat auf seine Beamten verlassen und sie auch versetzen können.
Die Verfechter eines Streikrechts wollen zwischen hoheitlich tätigen Beamten wie Polizisten und anderen Beamten, darunter Lehrern, unterscheiden, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorgibt. „Wir wollen nicht die Abschaffung des Beamtentums, wir wollen das Streikrecht für nicht hoheitlich tätige Beamte“, sagte Henriette Schwarz für den DGB.
Ist ein Streikverbot für alle Beamte zeitgemäß und rechtens?
Verhandelt werden vier Verfassungsbeschwerden von Lehrern aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Sie hatten sich an Protesten oder Streiks beteiligt und dafür disziplinarische Strafen bekommen. Die Lehrer sind daraufhin den Klageweg gegangen.
Wie das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom Februar 2014 ausführt (BVerwG 2 C 1.13), gilt für alle Beamten unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich ein statusbezogenes Streikverbot von Verfassungsrang (Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz). Für Staat und Beamte gelte ein besonderes gegenseitiges Verhältnis aus Rechten und Pflichten. Das Streikverbot ist auch in den Beamtengesetzen von Bund und Ländern festgeschrieben. Beamte dürfen dem Dienst nicht ohne Genehmigung fernbleiben, ausgenommen Krankheit. (Paragraf 96 Bundesbeamtengesetz und z.B. Paragraf 67 Niedersächsisches Beamtengesetz).
In Artikel 11 bestimmt die EMRK das Recht jeder Person, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und zusammenzuschließen sowie Gewerkschaften zu gründen oder ihnen beizutreten. Diese Rechte dürfen nur unter bestimmten Bedingungen gesetzlich eingeschränkt werden, etwa zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zum Schutz der Freiheit anderer. Ausnahmen für Angehörige von Streitkräften, Polizei und Staatsverwaltung sind möglich.
Der EGMR entnimmt Artikel 11 das Recht der Staatsbediensteten auf Tarifverhandlungen und Streik. Schulen sieht er nicht als Staatsverwaltung im engeren Sinne an.
Das Bundesverwaltungsgericht sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, den Widerspruch zwischen EMRK und dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf der einer Seite und der deutschen Rechtslage auf der anderen Seite aufzulösen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW), die sich mit Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für das Streikrecht der Beamten einsetzt, beruft sich auf das Völkerrecht und das internationale Arbeitsrecht. Sie fordert, das Streikverbot auf Beamte mit rein hoheitlichen Aufgaben zu begrenzen. Das Beamtenrecht solle entsprechend weiterentwickelt werden und die Treuepflicht neu interpretieren. Der DGB verweist darauf, dass viele Beamte auch in inzwischen privatisierten Unternehmen wie Post und Telekom tätig sind.
Die Bundesregierung stemmt sich einer Aufweichung des Streikverbots entgegen. Das Streikverbot sichere die Funktionsfähigkeit des Staates auch in schwierigen Situationen, argumentiert Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Wer Beamter werden wolle, entscheide sich für ein Gesamtpaket. Dazu gehöre ein lebenslanges Treue- und Fürsorgeverhältnis.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt sich nach einer mündlichen Verhandlung normalerweise mehrere Monate Zeit für eine Entscheidung. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sieht in jedem Fall eine große Breitenwirkung, denn es gehe um rund 800.000 Lehrer in Deutschland, davon rund 75 Prozent im Beamtenverhältnis, und eine Million andere Beamte. Je nachdem, wie die Entscheidung ausfällt, könnten die Fälle auch den EGMR beschäftigen.
Der Rechtswissenschaftler Matthias Pechstein hielt dagegen, ein Streikrecht für Lehrer würde das gesamte System des Beamtentums infrage stellen. Wenn Beamte gegen den Gesetzgeber streiken könnten, gebe es keine Rechtfertigung mehr für ihre staatliche Alimentation. Nach Überzeugung von Jens M. Schubert von Verdi hat die Pflicht der Beamten zur vollen Hingabe aber auch Grenzen.
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) argumentierte gegen ein Streikrecht für Lehrer. Sie verwies auf die Folgen eines Streiks etwa während der Abiturprüfungen. Das würde allen Bemühungen um ein bundeseinheitliches Abitur zuwiderlaufen.
Auch von Lehrerverbänden, etwa dem Philologenverband, kam Unterstützung für das Streikverbot. „Für die bei uns organisierten Lehrkräfte ist klar, dass sie ihren Teil für die Erfüllung der Schulpflicht als Beamte leisten. Das schließt ein gleichzeitiges Streikrecht aus“, teilte die Bundesvorsitzende des Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, mit.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, unterstrich zu Beginn der Verhandlung die große Breitenwirkung des Verfahrens. Die Auswirkungen auf das Berufsbeamtentum seien nicht zu unterschätzen. Nach Voßkuhles Angaben unterrichten gut 800 000 Lehrer in Deutschland, etwa drei Viertel davon im Beamtenverhältnis. Daneben seien rund eine Million weitere Beamte in Deutschland tätig.