Bundeswehreinsatz im Innern Wie die Bundeswehr helfen kann

Angesichts der Terrorbedrohung sollen deutsche Soldaten die Polizei im Notfall entlasten. Das ist durchaus sinnvoll. Die strikte Ablehnung der SPD ist verlogen.

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So tarnen sich Soldaten verschiedener Armeen
Die Bundeswehr rüstet ihre Soldaten mit einer neuen Uniform aus. Was sich ändert, zeigt dieser Truppenversuch in Afghanistan: Ganz links ist die derzeit verwendete, dreifarbige Wüsten-Uniform der Bundeswehr, ganz rechts der neu entwickelte Multitarn. Quelle: Weweb, Bundeswehr
Ein Soldat der Bundeswehr im dreifarbigen Tropentarn. Quelle: Sean Harriman, U.S. Army [Public domain], Wikimedia Commons
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen trägt beim Truppenbesuch in Mali beige, ihre Soldaten den dreifarbigen Wüstentarnanzug. Quelle: AP
Multicam USA Quelle: Cooper T. Cash [Public domain], Wikimedia Commons
Russian Armed Forces Quelle: REUTERS
Ein Soldat der britischen Armee im aktuellen Tarnanzug. Quelle: Ministry of Defence UK, OPL
French Army Quelle: REUTERS

In Frankreich gehört dieser Anblick seit Monaten – und noch auf absehbare Zeit – zum Alltag: Soldaten mit Sturmgewehren patrouillieren durch die Städte, abwechselnd mit Polizisten. Diese sichtbare Präsenz des Militärs ist vor allem als Zeichen angesichts der allgegenwärtigen Terrorbedrohung gedacht: Wenn es nötig ist, wird die französische Armee auch im Innern die Republik und ihre Bürger verteidigen.

Die deutsche Bundeswehr tut das bisher nicht. Deutsche Soldaten verteidigen immer mal wieder Deiche gegen Flutwellen oder kämpfen mit ihren Räumpanzern eingeschneite Dörfer frei, doch gegen Terroristen ist ihr Einsatz bisher nicht vorgesehen. In der Union ist man anderer Ansicht. Im vor einigen Wochen vorgestellten neuen „Weißbuch“ der Bundewehr wird deutlich, dass der Kampf gegen den Terror auch innerhalb Deutschlands künftig zu den Aufgaben der deutschen Soldaten dazukommen wird.

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon vor etwa vier Jahren in einem Urteil festgestellt, dass die Bundeswehr in besonders schweren Bedrohungslagen auch bewaffnet im Innern eingreifen darf. Diese bisher eher theoretische Erwägung soll nun angesichts der Terrorereignisse zu einer praktischen Möglichkeit werden. Die Bundesverteidigungsministerin und die Innenpolitiker der Union sind sich einig. Der Chef der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), kündigt noch für dieses Jahr eine gemeinsame Stabsübung von Polizei und Bundeswehr an.

In kaum einem demokratischen Land gibt es so große rechtliche Schranken und politische Vorbehalte gegen den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Innern. Die Notstandsgesetze von 1967, die diesen Einsatz im äußersten Fall ermöglichen, waren bekanntlich einer der Hauptauslöser für die Studentenunruhen von 1968. Und in der SPD ist dieser Vorbehalt noch immer stark. Fraktionschef Oppermann lehnt die Bundeswehr im Innern „strikt“ ab. Er nennt das eine „Militarisierung der inneren Sicherheit“. Sachliche Begründung? Fehlanzeige.

Nicht mehr Soldaten, sondern mehr Polizisten?

Argumente gegen den Einsatz der Bundeswehr kommen nun von der Gewerkschaft der Polizei: „Die Hilfe, die wir benötigen, kann die Bundeswehr überhaupt nicht bieten“, sagte der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Wir brauchen Ermittler, wir brauchen Polizisten, die rechtsstaatlich ausgebildet sind und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel dann die notwendigen Maßnahmen treffen.“

Das sei eine komplizierte Aufgabe, die einer hohen Qualifikation bedürfe. Dies könne die Bundeswehr nicht leisten. Wer glaube, man sorge für innere Sicherheit, wenn man „Menschen in Uniform, behelmt und mit langen Waffen“ in die Innenstädte stellt, der irre sich. „Das erhöht eher das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung.“

Welche Aufgaben können Soldaten im Inneren übernehmen?

Da kann man durchaus auch anderer Meinung sein. Zumindest in einer akuten Bedrohungslage könnte die Anwesenheit bewaffneter Soldaten durchaus nicht nur für gefühlte, sondern auch für tatsächlich größere Sicherheit sorgen.

Zunächst: Niemand will, dass die Bundeswehr der Polizei die Ermittlungsarbeit abnimmt. Es geht auch weniger darum, dass im Falle eines Anschlages künftig Bundeswehrsoldaten Terroristen direkt bekämpfen oder Geiseln befreien. Natürlich verfügt die Bundeswehr mit ihrem „Kommando Spezialkräfte“ durchaus über Einheiten, die für solche brenzligen Einsätze ausgebildet sind. KSK-Soldaten haben unter anderem in Afghanistan an verschiedenen Antiterroraktionen teilgenommen. Doch für solche Einsätze innerhalb Deutschlands gibt es die „Spezialeinsatzkommandos“ (SEK) der Polizei auf Landes- und Bundesebene. Die Lücken, die die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre bei der Polizei gerissen haben, betreffen weniger diese Spezialisten.

Aber: Im Falle eines Terroranschlags werden für Fahndungs- und Sicherungsaufgaben möglicherweise Tausende Sicherheitskräfte benötigt, um Straßen zu sperren und gefährdete Einrichtungen zu bewachen. Im Falle einer „terroristischen Großlage“, wenn etwa mehrere große Anschläge gleichzeitig stattfinden, wäre die Polizei mit ihrer zusammengesparten Personaldecke bei großräumigen Sicherungsmaßnahmen schnell hoffnungslos überfordert. "Hätte es in München eine Terrorlage mit drei Tätern an drei Orten gleichzeitig gegeben, vielleicht mit Geiselnahmen, dann wäre die Polizei sehr schnell an ihre Grenzen gestoßen", sagte Bouillon der "Rheinischen Post".

In einem solchen Fall könnte die Bundeswehr zum Beispiel den Wachschutz gefährdeter Einrichtungen - dafür ist jeder Bundeswehrsoldat ausgebildet - oder die Sperrung von Straßen – das beherrschen die Feldjäger der Bundeswehr - übernehmen und dadurch die Polizei entlasten. Natürlich ist die Sanitätstruppe der Bundeswehr auch in der Lage, im schlimmsten Fall ein mobiles Lazarett einzusetzen.

So marode ist die Bundeswehr
Aufklärungsjets am BodenImmer neue Einsätze stellen Deutschlands Armee vor Herausforderungen. Immer wieder kommt es dabei auch zu Problemen mit dem Material. So waren die deutschen "Tornados", die für Aufklärungsflüge gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak eingesetzt werden, zunächst nachts nicht einsetzbar. Die Cockpit-Beleuchtung war zu hell. Zwar hat die Bundeswehr die Flieger nachgerüstet, doch nicht alle Jets sind tatsächlich einsetzbar. Von den 93 deutschen Tornados waren laut Berichten aus dem November nur 66 in Betrieb - und nur 29 einsatzbereit. Das macht eine Quote von 44 Prozent, vor einem Jahr waren immerhin noch 58 Prozent der Flugzeuge einsatzbereit. Die teilweise über 30 Jahre alten Flugzeuge gelten als Auslaufmodelle. Quelle: dpa
Kampfjets ohne RaketenBeim Nachfolgemodell Eurofighter sind immerhin schon 55 Prozent der 109 Kampfjets einsatzbereit. Dieser Wert lag im vergangenen Jahr aber noch bei 57 Prozent. Wie im November bekannt wurde, fehlt es der Bundeswehr allerdings an Raketen für ihre Flugzeuge: Insgesamt 82 radargelenkte Amraam-Raketen besitzt die Bundeswehr, berichtet die "Bild am Sonntag". Im Ernstfall aber sollte jeder Jet mit zwei Raketen bestückt werden - die Bundeswehr bräuchte also 218 Amraam-Raketen. Quelle: dpa
Hubschrauber mit TriebwerksschädenNoch schlechter steht es um die Hubschrauber-Flotte: Nur 22 Prozent der Transporthubschrauber des Typs NH90 der Bundeswehr sind einsatzbereit. Der Hubschrauber hat vor allem Probleme mit seinen Triebwerken: 2014 musste ein Pilot auf dem Stützpunkt in Termes in Usbekistan notlanden, weil ein Triebwerk explodiert war. Eigentlich hat sich die Bundeswehr das Ziel gesetzt, dass 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Bestandes für den täglichen Dienst nutzbar sein soll. Doch insbesondere bei ihren Fluggeräten verfehlt die Bundeswehr diesen Werte oft deutlich. Quelle: dpa
Flügellahmes FluggerätSo ist nur jeder vierte Schiffshubschrauber "Sea King" (siehe Foto) bereit für einen Einsatz. Beim Kampfhubschrauber Tiger liegt die Quote bei 26 Prozent, beim Transporthubschrauber CH53 immerhin schon bei 40 Prozent. „Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend“, urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in seinem aktuellen Bericht zum Zustand der Hauptwaffensysteme. 5,6 Milliarden Euro will die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren investieren, um den Zustand ihrer Ausrüstung zu verbessern. Quelle: dpa
Transportflugzeuge mit LieferschwierigkeitenUnd von den Transportflugzeugen "Transall" sind nur 57 Prozent bereit zum Abheben. Die teilweise über 40 Jahre alten Flugzeuge gelten als anfällig für technische Defekte. 2014 sorgte das für eine Blamage für die Bundeswehr im Irak, wo die Ausbilder der Bundeswehr kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" unterstützen sollten. Weil die Transall-Maschine streikte, konnten die Soldaten nicht zu ihrer Mission aufbrechen und mussten die Maschine wieder verlassen. Eigentlich sollen die Transall-Flugzeuge in den kommenden Jahren durch neue Airbus-Transportflugzeuge des Typs A400M ersetzt werden. 53 der Maschinen hat die Bundeswehr bestellt, doch die Auslieferung verzögert sich. Erst zwei Exemplare kann die Bundeswehr dieses Jahr im Empfang nehmen, die dazu nicht mal alle Funktionen haben: Fallschirmspringer zum Beispiel können die ausgelieferten Flugzeuge nicht absetzen. Airbus muss wegen der Probleme 13 Millionen Euro an den Bund zahlen. Quelle: dpa
Panzer mit BremsproblemenDie Bodenausrüstung findet sich zwar in besserem Zustand als die Flugsysteme der Bundeswehr. Aber auch hier gibt es Probleme, zum Beispiel beim Panzer "Puma". Aus Sicherheitsgründen musste die Höchstgeschwindigkeit für den Panzer von 70 km/h auf nur noch 50 km/h heruntergesetzt werden. Der Grund: Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h bremst der Panzer nicht mehr zuverlässig, der Bremsweg verdoppelt sich, wie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBs) bei Tests herausfand. Die Probleme gab es wohl auch, weil die Bundeswehr erst spät in der Entwicklungsphase den Wunsch einbrachte, dass der Panzer bis zu 70 km/h schnell fahren sollte. Außerdem sollte der 1000 PS starke, bis zu 2000 Schuss pro Minute abfeuernde Panzer ohne Panzerung nur 31,5 Tonnen wiegen. Die Hersteller Krauss Maffei und Rheinmetall hatten Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen. Auch deshalb lieferten sie den Panzer erst in diesem Juni aus, ganze fünf Jahre später als geplant. Quelle: dpa
Das Skandal-GewehrDas Dauerthema bleibt jedoch das Pannengewehr G36: Das Sturmgewehr des Herstellers Heckler und Koch soll bei hohen Temperaturen nicht mehr präzise schießen, Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte daraufhin, das Gewehr habe bei der Bundeswehr keine Zukunft. Rund 180 Euro hat die Bundeswehr für die insgesamt 178.000 Gewehre bezahlt. Die Aufklärung der Affäre bindet viele Kapazitäten im Ministerium: Insgesamt vier Kommissionen befassen sich mit dem Skandal. Ab 2019 soll ein neues Sturmgewehr das G36 ablösen. Quelle: dpa

Um solche bewaffneten Hilfsmaßnahmen geht es. Niemand will, dass die Bundeswehr der Polizei das Heft aus der Hand nimmt. Die Führung der Einsätze, das stellt Bouillon klar, werde natürlich bei der Polizei liegen.

Für die SPD gehört die strikte Ablehnung jeglichen bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr im Innern zum Traditionsbestand. Die heutige Bundeswehr ist jedoch völlig frei von irgendwelchen Gelüsten, eine politische Rolle zu spielen. Daher ist die Panikmache vor der „Militarisierung der inneren Sicherheit“ zu einem Popanz geworden. Angesichts der realen Bedrohungslage wäre es völlig verantwortungslos, einem aus der Zeit gefallenen antimilitärischen Reflex die Fähigkeit des Staates zu opfern, die Sicherheit der Bürger im Ernstfall so gut wie möglich zu verteidigen.

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