In Frankreich gehört dieser Anblick seit Monaten – und noch auf absehbare Zeit – zum Alltag: Soldaten mit Sturmgewehren patrouillieren durch die Städte, abwechselnd mit Polizisten. Diese sichtbare Präsenz des Militärs ist vor allem als Zeichen angesichts der allgegenwärtigen Terrorbedrohung gedacht: Wenn es nötig ist, wird die französische Armee auch im Innern die Republik und ihre Bürger verteidigen.
Die deutsche Bundeswehr tut das bisher nicht. Deutsche Soldaten verteidigen immer mal wieder Deiche gegen Flutwellen oder kämpfen mit ihren Räumpanzern eingeschneite Dörfer frei, doch gegen Terroristen ist ihr Einsatz bisher nicht vorgesehen. In der Union ist man anderer Ansicht. Im vor einigen Wochen vorgestellten neuen „Weißbuch“ der Bundewehr wird deutlich, dass der Kampf gegen den Terror auch innerhalb Deutschlands künftig zu den Aufgaben der deutschen Soldaten dazukommen wird.
Das Bundesverfassungsgericht hatte schon vor etwa vier Jahren in einem Urteil festgestellt, dass die Bundeswehr in besonders schweren Bedrohungslagen auch bewaffnet im Innern eingreifen darf. Diese bisher eher theoretische Erwägung soll nun angesichts der Terrorereignisse zu einer praktischen Möglichkeit werden. Die Bundesverteidigungsministerin und die Innenpolitiker der Union sind sich einig. Der Chef der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon (CDU), kündigt noch für dieses Jahr eine gemeinsame Stabsübung von Polizei und Bundeswehr an.
In kaum einem demokratischen Land gibt es so große rechtliche Schranken und politische Vorbehalte gegen den bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Innern. Die Notstandsgesetze von 1967, die diesen Einsatz im äußersten Fall ermöglichen, waren bekanntlich einer der Hauptauslöser für die Studentenunruhen von 1968. Und in der SPD ist dieser Vorbehalt noch immer stark. Fraktionschef Oppermann lehnt die Bundeswehr im Innern „strikt“ ab. Er nennt das eine „Militarisierung der inneren Sicherheit“. Sachliche Begründung? Fehlanzeige.
Nicht mehr Soldaten, sondern mehr Polizisten?
Argumente gegen den Einsatz der Bundeswehr kommen nun von der Gewerkschaft der Polizei: „Die Hilfe, die wir benötigen, kann die Bundeswehr überhaupt nicht bieten“, sagte der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Wir brauchen Ermittler, wir brauchen Polizisten, die rechtsstaatlich ausgebildet sind und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel dann die notwendigen Maßnahmen treffen.“
Das sei eine komplizierte Aufgabe, die einer hohen Qualifikation bedürfe. Dies könne die Bundeswehr nicht leisten. Wer glaube, man sorge für innere Sicherheit, wenn man „Menschen in Uniform, behelmt und mit langen Waffen“ in die Innenstädte stellt, der irre sich. „Das erhöht eher das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung.“
Welche Aufgaben können Soldaten im Inneren übernehmen?
Da kann man durchaus auch anderer Meinung sein. Zumindest in einer akuten Bedrohungslage könnte die Anwesenheit bewaffneter Soldaten durchaus nicht nur für gefühlte, sondern auch für tatsächlich größere Sicherheit sorgen.
Zunächst: Niemand will, dass die Bundeswehr der Polizei die Ermittlungsarbeit abnimmt. Es geht auch weniger darum, dass im Falle eines Anschlages künftig Bundeswehrsoldaten Terroristen direkt bekämpfen oder Geiseln befreien. Natürlich verfügt die Bundeswehr mit ihrem „Kommando Spezialkräfte“ durchaus über Einheiten, die für solche brenzligen Einsätze ausgebildet sind. KSK-Soldaten haben unter anderem in Afghanistan an verschiedenen Antiterroraktionen teilgenommen. Doch für solche Einsätze innerhalb Deutschlands gibt es die „Spezialeinsatzkommandos“ (SEK) der Polizei auf Landes- und Bundesebene. Die Lücken, die die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre bei der Polizei gerissen haben, betreffen weniger diese Spezialisten.
Aber: Im Falle eines Terroranschlags werden für Fahndungs- und Sicherungsaufgaben möglicherweise Tausende Sicherheitskräfte benötigt, um Straßen zu sperren und gefährdete Einrichtungen zu bewachen. Im Falle einer „terroristischen Großlage“, wenn etwa mehrere große Anschläge gleichzeitig stattfinden, wäre die Polizei mit ihrer zusammengesparten Personaldecke bei großräumigen Sicherungsmaßnahmen schnell hoffnungslos überfordert. "Hätte es in München eine Terrorlage mit drei Tätern an drei Orten gleichzeitig gegeben, vielleicht mit Geiselnahmen, dann wäre die Polizei sehr schnell an ihre Grenzen gestoßen", sagte Bouillon der "Rheinischen Post".
In einem solchen Fall könnte die Bundeswehr zum Beispiel den Wachschutz gefährdeter Einrichtungen - dafür ist jeder Bundeswehrsoldat ausgebildet - oder die Sperrung von Straßen – das beherrschen die Feldjäger der Bundeswehr - übernehmen und dadurch die Polizei entlasten. Natürlich ist die Sanitätstruppe der Bundeswehr auch in der Lage, im schlimmsten Fall ein mobiles Lazarett einzusetzen.
Um solche bewaffneten Hilfsmaßnahmen geht es. Niemand will, dass die Bundeswehr der Polizei das Heft aus der Hand nimmt. Die Führung der Einsätze, das stellt Bouillon klar, werde natürlich bei der Polizei liegen.
Für die SPD gehört die strikte Ablehnung jeglichen bewaffneten Einsatzes der Bundeswehr im Innern zum Traditionsbestand. Die heutige Bundeswehr ist jedoch völlig frei von irgendwelchen Gelüsten, eine politische Rolle zu spielen. Daher ist die Panikmache vor der „Militarisierung der inneren Sicherheit“ zu einem Popanz geworden. Angesichts der realen Bedrohungslage wäre es völlig verantwortungslos, einem aus der Zeit gefallenen antimilitärischen Reflex die Fähigkeit des Staates zu opfern, die Sicherheit der Bürger im Ernstfall so gut wie möglich zu verteidigen.