Drittes Entlastungspaket der Ampel Gigantische Zweifel

Omid Nouripour (Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Saskia Esken (SPD) präsentieren das dritte Entlastungspaket Quelle: imago images

95 Milliarden Euro will die Ampel also in drei Paketen mobilisieren, um das Land zusammenzuhalten. So weit, so Olaf Scholz. Doch das viele Geld kann nicht überdecken, dass es der Ampel an einem Konzept fehlt. Ein Kommentar.

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Die Wirtschaftswissenschaft kennt den Effekt der versunkenen Kosten. Kurz gesagt beschreibt er den Umstand, wenn ausgegebenes Geld verloren ist und für künftige Entscheidungen auch keine Rolle mehr spielt. Noch kürzer gesagt: Was weg ist, ist weg.

Die Bundesregierung musste in den vergangenen Monaten das Prinzip der versunkenen Entlastungen kennenlernen. Mehr als 30 Milliarden Euro hatte sie seit Februar in zwei Paketen unters Volk gebracht, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Ukraine-Krieges abzufedern. Über manches wurde kontrovers diskutiert (Tankrabatt und 9-Euro-Ticket), an anderer Stelle wurden Versäumnisse beklagt (Studierende, Rentnerinnen und Rentner). Der Befund der Meinungsforscher aber war eindeutig: Entlastet fühlten sich die Wenigsten. Nicht gerade Wenige hinterließ die Ampel einfach nur verwirrt oder verärgert. 

Selten zuvor dürfte also so viel Geld so weitgehend wirkungslos geblieben sein. Politisch und faktisch. Mal Hand auf die Brieftasche: Wer in diesem Land hat den Kinderbonus oder das eingesparte Benzingeld brav auf die Seite gelegt für die kommende Gas- oder Stromabrechnung? Eben. 

Auch in Berlin selbst, innerhalb der Koalition, erzeugte die bisherige Entlastungspolitik keinerlei Entlastung. Ganz im Gegenteil: Zuletzt konnte man dabei zusehen, wie mit der Unzufriedenheit zugleich die Erwartungshaltung wuchs. Dass das bisher Beschlossene nicht genug war – dieser Gedanke war nirgendwo so verbreitet wie im Regierungsviertel. Die Ampel mutierte zu einer Maschine, die sich selbst am meisten unter Druck setzte.

Am gestrigen Sonntag entwich er dann – und die Regierung überholte sich mal eben selbst: Die Energiepauschale für Arbeitnehmer in Höhe von 300 Euro ist noch nicht mal ausgezahlt (das passiert erst jetzt, im September), da legte die Ampel schon mit neuen Beschlüssen nach: dem Entlastungspaket Nummer drei.
Und das hat es in sich, finanziell wie prinzipiell. Zusammen summieren sie sich nun fast genau auf die Zahl, die die Regierung bereits Ende Februar für die Ausrüstung der Bundeswehr mobilisierte: sagenhafte 95 Milliarden Euro – das dürfte sicher kein Zufall sein. Seht her, lautet die Botschaft, der Zusammenhalt ist uns genauso wichtig wie die militärische Zeitenwende. Wer noch gezweifelt haben sollte, dass die Regierung von einem Sozialdemokraten geführt wird, der den starken Staat eigentlich immer für die Lösung hält – hier kam der Beweis.

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Jenseits der schieren Zahl jedoch bleibt ein seltsames Gefühl. Gigantomanie und Gießkanne, echte Solidarität und falsche Symbolik, feste Versprechen und zweifelhafte Absichten gehen in dieser Koalition Hand in Hand.



Olaf Scholz hatte bei der Klausurtagung auf Schloss Meseberg Mitte vergangener Woche noch die Architektur bemüht, als er erklärte, warum es bis zur Einigung noch ein bisschen dauern würde. Sinngemäß erklärte er, erst wenn alle Teile des Gebäudes ein tragfähiges Ganzes ergeben, würde es enthüllt. Nun, um bei diesem Bild zu bleiben: Der 13 Seiten umfassende Grundriss fällt derart kleinteilig aus, dass man sich fragt, ob die Bauherren selbst Vertrauen in ihre Konstruktion haben.

Ein paar der Beschlüsse waren in der Tat überfällig – jedenfalls dann, wenn soziale Marktwirtschaft bedeutet, den besonders Bedürftigen zuerst zu helfen. In diese Kategorie fallen die höhere Grundsicherung und die Wohngeldreformen. Der Abbau der kalten Progression ist zwar richtig und wichtig – hat in einem Ad-hoc-Energieentlastungsprogramm in Wahrheit aber nichts zu suchen. 

„Die Regierung bleibt bei der wichtigsten Herausforderung eine Lösung schuldig“
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, lobte in der „Augsburger Allgemeinen“ einzelne Elemente, übte aber vor allem Kritik. „Die Bundesregierung bleibt bei der wichtigsten Herausforderung, der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, eine Lösung schuldig“, so der DIW-Chef. Die geplante Strompreispreisbremse sei „völlig unausgegoren“, werde erst in Monaten umgesetzt werden können und folge dem Prinzip Hoffnung. Quelle: imago images
Das Paket sei „enttäuschend“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger . Es sei zwar richtig, dass die Bundesregierung soziale Härten auffange. Der Regierung fehle jedoch offensichtlich der Mut für eine neue Energiepolitik. „Die Ausweitung des Sozialstaates kann keine Antwort auf eine Kosten-Steigerung der Energiepreise auf dem Weltmarkt sein.“ Quelle: imago images
Ifo-Präsident Clemens Fuest sprach in der „Bild“ von „Licht und Schatten“ in dem Paket. Quelle: imago images
Die Unterstützung privater Haushalte sei gesamtwirtschaftlich sicherlich richtig, sagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der „Rheinischen Post“. „Die Ausführungen zu den unternehmensbezogenen Maßnahmen bleiben hingegen weitgehend unkonkret - und sind daher nicht der angekündigte „wuchtige“ Wurf.“ Quelle: dpa
Enttäuscht zeigte sich auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass mögliche Entlastungen für Handwerksbetriebe erst zeitverzögert angegangen werden, sagte er. „Denn Zeit haben wir nicht: Uns erreichen inzwischen mehr und mehr existenzielle Notrufe von Betrieben, die unmittelbar Hilfe brauchen.“ Hier hätte es deutlich stärkere, direkte und schnellere Unterstützung gebraucht. Quelle: dpa
Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bezeichnete das Paket als „insgesamt beeindruckend“. „Die guten Absichten jetzt schnell in konkrete und überzeugende Gesetzgebung zu überführen, bleibt nun die zentrale Aufgabe.“ Nur dann werde es gelingen, Menschen Sicherheit zu geben. Quelle: imago images
Verdi-Chef Frank Werneke kritisierte das Fehlen weiterer direkter Zahlungen für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. „Hochverdiener werden durch die Steuerpläne stattdessen mit bis zu 1000 Euro entlastet.“ Quelle: imago images

Bei den Rentnern und Studierenden wird die Sache schon diffuser und komplizierter. Hier werden die Entlastungspauschalen auch vielen zugutekommen, die auf staatliche Hilfe nicht angewiesen sind. Studenten aus wohlhabendem Hause wäre es beispielsweise zuzumuten gewesen, dass ihre Eltern für die Mehrkosten aufkommen. Und einigen (nicht allen!) Ruheständlern geht es ebenfalls gut genug, dass der Staat ihnen nicht mit 300 Euro helfen müsste.

Besonders brisant dürfte noch der umfangreiche Katalog an Maßnahmen werden, der letztlich darauf abzielt, die Energiemärkte staatlich einzuhegen. Man wird das Gefühl nicht los, dass es dem Markt hier zum Verhängnis wird, ein funktionierender zu sein. In dem Moment, wo er die eklatante Angst vor dem Strom- und Gasmangel in exorbitante Preise übersetzt, will die Politik genau dieses Preissignal kappen. In einem Wort: Unordnungspolitik.

Was die Ampel da plant, ist schlicht und ergreifend milliardenschwere Umverteilung von stromproduzierenden Unternehmen zu Verbrauchern – auch wenn der sperrige Vergleich zur bekannten EEG-Umlage den Eindruck erwecken soll, hier würde etwas Alltägliches vorbereitet. Nein, wird es nicht. Die Kappung von „Zufallsgewinnen“ befriedigt vielleicht einen drängenden Impuls nach Gerechtigkeit, aber die möglichen unbeabsichtigten Folgen einer solchen Operation sind noch unabsehbar. 

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Diese Prognose sei also gewagt: Mit den Konsequenzen ihrer Nachtschicht wird diese Regierung später noch konfrontiert – und sehr wahrscheinlich nicht nur im Guten.

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