Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat in der Debatte um hohe Energiepreise weitere Entlastungen gefordert. Es sei gut, dass der Bund nun das Wohngeld reformieren wolle, sagte die SPD-Politikerin nach einer kurzfristig angesetzten Schalte von Kanzler Olaf Scholz mit den 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Freitag. „Gerade die Bürgerinnen und Bürger mit kleinem Einkommen brauchen dauerhafte Unterstützung bei den Energiepreisen“, sagte sie und forderte, das sogenannte Energiegeld auch an Rentnerinnen und Rentner zu zahlen.
Bei der Telefonschalte hatte Scholz die 16 Landeschefs über die Rettung des Gasversorger Uniper und angedachte weitere Entlastungsschritte wegen der hohen Gaspreise informiert. Dies sei nötig, weil man den Gasversorgern ab September oder Oktober erlauben wird, die höheren Einkaufspreise für Alternativen zu russischem Gas an Kunden weiterzugeben.
„Bund und Länder stehen in der gemeinsamen Verantwortung, eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung sicherzustellen“, sagte auch Schwesig. Mecklenburg-Vorpommern arbeite mit Hochdruck daran, Öl über Rostock und LNG-Gas über Lubmin nach Deutschland einzuführen.
Wird Gas noch knapper und teurer?
Kurze Verträge abschließen, um bald einen billigeren zu bekommen – das galt unter Verbrauchern lange als gute Strategie. Bei Erdgas wurde so etwas zuletzt aber böse bestraft, denn die Teuerung nahm rasant zu: Binnen eines Jahres schnellten die Preise für Haushalte im Schnitt um 159 Prozent nach oben, wie das Vergleichsportal Verivox mitteilt. Kostete Gas für eine Nutzenergie von 20.000 Kilowattstunden im Juli 2021 noch 1236 Euro, waren es im Juli 2022 schon 3199 Euro.
Auch im internationalen Rohstoffgroßhandel sind die Zuwächse enorm. Nach Angaben des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts lag der mit einem globalen Index ermittelte Gaspreis im Juni um fast 130 Prozent über dem Vorjahreswert. Nicht-russisches Gas, das Länder und Konzerne sich kurzfristig noch beschaffen können, ist oft nur gegen deutliche Aufschläge zu haben. Viele Großeinkäufer müssen die erhöhten Preise dann an die Versorger und diese dann an die Endkunden weitergeben.
Das Ende des Anstiegs ist wohl noch nicht erreicht. Für August und September kündigten laut Verivox 52 örtliche Gas-Grundversorger Preiserhöhungen um durchschnittlich 50 Prozent an. „Sollten die Gaslieferungen weiter gedrosselt werden oder sogar ganz wegfallen, ist sogar eine Verdreifachung realistisch“, hieß es. Strom würde dann ebenso noch einmal teurer. Sicher ist also, dass eine weitere Gasverknappung die Energiepreise zusätzlich antreiben dürfte. Das genaue Ausmaß hängt von den tatsächlichen Liefereinschränkungen ab.
Nein. Auch Verbraucher, die länger laufende Verträge haben, müssen sich auf Extra-Kosten einrichten. Der Preisanstieg wird derzeit noch etwas abgebremst, weil Gasimporteure wie Uniper die Mehrbelastungen nicht an ihre Bestandskunden weiterreichen dürfen. Nach einer Gesetzesänderung soll sich das jedoch ändern. Bisher ist unklar, ob es hierzu ein Umlagesystem gibt oder die tiefrot wirtschaftenden Importeure Preiserhöhungen auf ihre Abnehmer – Stadtwerke und die Industrie – überwälzen dürfen. Es wird aber wohl so oder so teurer.
Präzise abschätzen lässt sich das heute nicht. Fest steht allerdings: Sollte nur wenig Leitungskapazität von Nord Stream 1 genutzt werden, würde sich die Gasknappheit auch mit Blick auf die kalte Jahreszeit verschärfen. Schon vor Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine waren die Speicherstände niedriger als in den Vorjahren. Den letzten aktuellen Gesamtwert für Deutschland gab die Datenbank des Netzwerks Gas Infrastructure Europe zum Montag (18. Juli) mit 65 Prozent an. Im größten deutschen Speicher in Rehden waren es nur knapp 34 Prozent. Der dortige Betreiber gab sich relativ zuversichtlich: Man habe bisher „keine Auswirkungen des Nord-Stream-Stillstandes“ feststellen können und nehme auch an, „dass weiterhin eingespeichert wird“.
Sie rechnete unlängst durch, wie sich der Speicherstand im Herbst und Winter bei einer 40-Prozent-Lieferung entwickeln würde. Ergebnis: Nur wenn der Gasverbrauch durch Sparmaßnahmen um ein Fünftel sinkt und ab Januar neue Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) an der Nordsee gut genutzt werden, sei das zu packen. Geht die Liefermenge über Nord Stream 1 stärker zurück, müsste freilich noch mehr eingespart werden.
Vorerst bleibt die Abhängigkeit bestehen. Der Anteil der russischen Gaslieferungen – lange mehr als die Hälfte des deutschen Verbrauchs – sank bis Ende Juni auf 26 Prozent, wie es in dem am Mittwoch vorgelegten „Dritten Fortschrittsbericht Energiesicherheit“ heißt. Das liege aber auch an den gedrosselten Lieferungen von Gazprom. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet damit, dass bis Ende des Jahres der Anteil russischer Gaslieferung am Gasverbrauch auf etwa 30 Prozent gesenkt werden kann. Doch solange die Rohstoffgroßmacht dominantes Ursprungsland bleibt, sind die Verbraucher verwundbar. Auch in der gashungrigen Chemie- und Pharmaindustrie und in vielen anderen Branchen sind die Sorgen groß.
Weitere wichtige Quellen sind für die Bundesrepublik Norwegen mit gut 20 Prozent und die Niederlande mit etwa 11 Prozent. Tempo kommt jetzt auch ins Thema LNG. Das unter hohem Druck tiefgekühlte, per Schiff transportierte verflüssigte Erdgas bezieht Deutschland bisher vor allem aus den USA. Erste Import-Terminals sollen nun möglichst schon rund um den Jahreswechsel in Wilhelmshaven und Brunsbüttel starten, weitere Anlandestellen folgen. Ob Verträge mit Großexporteur Katar zustande kommen, war zuletzt noch ungewiss. Die Förderung eigenen deutschen Gases kann bestenfalls 5 Prozent des heimischen Verbrauchs decken. Es gibt aber Pläne, in der Nordsee ein neues Feld anzuzapfen.
Ramona Pop vom Bundesverband der Verbraucherzentralen berichtet, dass „zunehmend Menschen mit Sorgen, Existenznöten und Verzweiflung“ zur Beratung kämen. „Schockartige Preissteigerungen“ müssten verhindert werden, echte Entlastungen seien nötig, sagte sie in Richtung Bund. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten nun „Energie sparen, sparen, sparen und – falls finanziell möglich – vorsichtshalber Rücklagen für Nachzahlungen bilden“. Zudem könne etwa der Kauf von Spar-Duschköpfen helfen. Neben Privatleuten sieht Pop die Industrie, den Handel und die öffentliche Hand in der Pflicht, weniger Energie zu verbrauchen.
Es sei richtig, dass der Bund das Unternehmen Uniper stabilisiere. „Damit wird Stabilität auch für viele kleinere Energieversorger vor Ort wie zum Beispiele Stadtwerke geschaffen.“
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