Energiepreise Immer mehr Haushalte haben Heizkosten über „kritischer Belastungsgrenze“

Quelle: imago images

Die Energiepreise sind zuletzt stark gestiegen. Besonders trifft das Menschen mit niedrigen Einkommen. Sozialverbände fordern nun, Preissteigerungen mit höherem Wohngeld abzufedern.

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Seit dem Spätsommer kennen die Energiepreise fast nur eine Richtung: nach oben. So bewegten sich die Stromkosten im Jahresmittel lange zwischen 30 und 40 Euro je Megawattstunde; blühte die Wirtschaft, stiegen sie im Schnitt ein wenig über diese Spanne. Schrumpfte sie, wie 2020 während der Corona-Pandemie, sanken sie auch wieder. In diesem Jahr allerdings verdreifachten sich die Preise im Schnitt auf knapp 100 Euro – und der Winter hat gerade erst richtig begonnen.

Ähnlich sieht es bei den anderen Energieträgern aus. Für Gas waren im vergangenen Jahr kaum fünf Euro pro Megawattstunde zu bezahlen – schon Ende September waren es mehr als 80 Euro. Öl, Benzin und Diesel sind zuletzt wieder etwas günstiger geworden, beim Liter Super E10 beispielsweise allerdings ausgehend von einem Acht-Jahres-Hoch.

Zu spüren bekommen das alle Menschen – ganz besonders jedoch diejenigen mit niedrigerem Einkommen, da sie einen größeren Teil dessen für Strom, Gas und Heizung aufwenden müssen. Steigende Mieten in Großstädten und vielen Ballungsräumen belasten sie zusätzlich. Um diesem sozialen Problem entgegenzuwirken, hat die noch amtierende Bundesregierung im vergangenen Jahr das Wohngeld reformiert und um eine CO2-Komponente ergänzt, um steigende Energiepreise abzufedern. Auf den ersten Blick eine erfolgreiche Maßnahme – und als solche versuchte das zuständige Bundesinnenministerium sie auch zu vermarkten: Ende 2020 bezogen knapp 620.000 Haushalte Wohngeld – fast 23 Prozent mehr als im Jahr davor.

Aber ist es gut, wenn mehr Menschen auf eine staatliche Sozialleistung angewiesen sind? Die zunehmende Zahl der Wohngeldberechtigten zeige, dass die Leistung genutzt werde und wirke, sagt Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. Sie zeigten aber auch: „Die steigenden Mieten und Heizkosten führen für immer mehr Haushalte zu Wohnkosten jenseits der kritischen Belastungsgrenze.“ Auch Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, nennt die Wohngeldreformen eine „wohnungspolitische Krücke, um zu verhindern, dass Menschen mit kleinen Einkommen ihre Miete nicht mehr zahlen können“.

Zumal die künftige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP den Klimaschutz forcieren will. Das bedeutet natürlich auch, dass sie sich zum „steigenden CO2-Preis als wichtiges Instrument“ bekennt, so steht es im Koalitionsvertrag. Seit Jahresanfang kostet jede Tonne Treibhausgas 25 Euro, jedes Jahr soll der Preis für fossile Brennstoffe um weitere zehn Euro die Tonne steigen – damit Unternehmen und Menschen auf klimaneutrale Alternativen umsteigen.



Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa hält die CO2-Komponente im Wohngeld daher für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Es folgt jedoch ein Aber: Die „Wirkung sollte jährlich überprüft, die Ausgestaltung nötigenfalls angepasst werden“. Zudem solle die Modernisierungsumlage bei Mieterinnen und Mietern nur in der Höhe erhoben werden, in der die Gebäudeenergiekosten tatsächlich sinken. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, fordert ebenfalls „eine dynamische Heizkosten- und Energiekostenkomponente sowie eine Klimakomponente im Rahmen energetischer Sanierungen“.

Darüber wird nun die neue Ampel-Koalition beraten müssen. Die noch amtierende Bundesregierung hat die Wohngeld-CO2-Komponente für die Jahre 2021 bis 2024 jedenfalls in immer gleicher Höhe, mit jeweils 60 Millionen Euro berücksichtigt – der vorgesehene Betrag ändert sich also bei weiter steigenden Energiepreisen zunächst nicht. Insgesamt sollen die Ausgaben des Bundes für das Wohngeld nach geplanten 735 Millionen Euro in diesem und im kommenden Jahr 2023 auf 690 Millionen Euro sinken und 2024 dann 710 Millionen Euro betragen. 2020 hatten Bund und Länder zusammen und zu gleichen Teilen etwa 1,3 Milliarden Euro für das Wohngeld ausgegeben.

Um die Situation auf dem Wohnungsmarkt gerade für einkommensschwache Haushalte zu entspannen, brauche es allerdings mehr als die Krücke Wohngeld, sagt VdK-Präsidentin Bentele: „Die neue Bundesregierung muss Mietsteigerungen effektiv eindämmen und die dauerhafte Sozialbindung von Wohnraum sicherstellen“, fordert sie.



Auch SoVD-Präsident Bauer betont, dem sozialen Wohnungsbau komme eine Schlüsselrolle zu. Nur fielen seit Jahren mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus, als neue Sozialwohnungen gebaut würden. „Die Sozialbindung sollte von 15 auf 30 Jahre angehoben, Fehlbelegungen müssen vermieden werden“, sagt Bauer – beispielsweise über eine Fehlbelegungsabgabe. Er erwarte von der neuen Regierung, sich dem Thema anzunehmen.

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Im Koalitionsvertrag haben Sozialdemokraten, Grüne und Liberale den Bau von 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen im Jahr angekündigt. Für den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums soll eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen „eine neue Dynamik erzeugen“. Bald-Kanzler Olaf Scholz und sein Bauminister oder seine Bauministerin werden sich an dieser Zahl messen lassen müssen.

Mehr zum Thema: Die Ampelkoalition forciert den Klimaschutz und verspricht ein Klimageld gegen steigende Energiepreise. Exklusive Berechnungen zeigen aber: Es wird erst deutlich teurer, bevor die Entlastung kommt.

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