Flüchtlinge in Passau "Wir haben unsere Grenzen noch nicht ausgelotet"

Kaum jemand erlebte den Flüchtlingsansturm im vergangenen Herbst so unmittelbar wie Passaus Oberbürgermeister Jürgen Dupper. Stündlich kamen neuen Flüchtlinge dort an. Das Chaos blieb dennoch aus - Dank guter Krisenmanager im Rathaus.

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Flüchtlinge am Bahnhof Passau am 3. November 2015

Von draußen fliegt Dudelsackmusik durch das geöffnete Fenster ins Amtszimmer des Passauer Oberbürgermeisters. Auf der Donau tutet ein Schiff. Die Touristen tragen kurze Hosen und Sonnencreme. Die Welt des Jürgen Dupper (SPD) ist in diesen Tagen eine postkartentaugliche Sommeridylle. Der Rathauschef sieht entsprechend entspannt aus. Gemütlich wippt er in seinem Stuhl, die Hände vor dem großen Bauch und sagt Sätze wie: „Als Angela Merkel gesagt hat: wir schaffen das. Da dachte ich: Das ist eine mutige Ansage.“ Oder: „Wir haben unsere Grenzen noch nicht ausgelotet.“

von Simon Book, Max Haerder, Rebecca Eisert, Maximilian Nowroth, Jürgen Salz, Christian Schlesiger, Cordula Tutt, Kathrin Witsch

Dabei sah es im vergangenen Herbst so aus, als wäre die Grenze jede Stunde überschritten. Unaufhörlich kamen die Menschen in der kleinen niederbayerischen Stadt an. Per Zug, per Bus, zu Fuß. Aus Ungarn, Österreich, Tschechien. In manchen Nächten waren es 8000, die binnen Stunden in die Stadt drängten – bei etwas mehr als 50.000 Einwohnern insgesamt. Eine Mammutaufgabe. Dupper wippt, lächelt: „Es war am Anfang etwas unkoordinierter. Die Polizei war immer gut. Auch das Ehrenamt und das Kommunale funktionierte“, sagt er und schiebt hinterher: „Wir haben in Passau ein verlässliches Netz an Hilfsorganisationen, Freiwilligen und den staatlichen Stellen. Eben weil wir so oft mit großen Lagen zu tun haben.“

Die großen Lagen, das ist in Passau das regelmäßig wiederkehrende Hochwasser an Donau, Inn und Ilz, das die Altstadt überschwemmt. Auch in diesem Sommer gab es Bilder von überfluteten Altstadtgassen. Für solche Fälle haben sie im Rathaus eigens ein Team. 50 Leute, eine eingespielte Mannschaft, die auch den Flüchtlingsansturm gemanagt hat: Binnen Wochen gründete die Stadt so ein spezielles Jugendamt für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, organisierte eine zentrale Anlaufstelle für die 2000 ehrenamtlichen Helfer, schoben Überstunden am Bahnhof. „Wir hatten oft auch dramatische Tage und Wochen. Aber wir haben sie so bewältigt, dass wir allen Erfordernissen der Humanität Rechnung getragen, aber auch Recht und Ordnung aufrechterhalten haben in der Stadt“, sagt Dupper. Aber was hätte er auch tun sollen? „Ich kann mich doch nicht auf den Rathausplatz stellen und sagen: um Himmels Willen, helft mir, ich schaff‘s nicht mehr.“

Flüchtlinge am Bahnhof Passau Quelle: AP

Auf den Rathausplatz stellen kann er sich vielleicht nicht. Aber ins Büro eines Bundesministers. Tatsächlich hat Dupper nämlich einfach geschickt die mediale Aufmerksamkeit des vergangenen Septembers genutzt: Ein örtlicher Bundestagsabgeordneter besorgte ihm noch im November 2015 Termine in Berlin. Dupper traf Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Familienministern Manuela Schwesig (SPD). Danach, sagt er, sei auch die Hilfe aus Berlin schnell gekommen: die Bundespolizei, das Geld, die Verteilung der Flüchtlinge auf die anderen Länder. All das sei dann besser gelaufen.

Und doch hat er noch ein Problem: Die Kosten. Zwar hatten Bund und Freistaat von Anfang an zugesagt, alle Zusatzkosten zu übernehmen. Die Überstunden, die Verwaltungskosten und den Personalaufwand aber ersetzt ihm keiner. Drei Millionen Euro, sagt der Bürgermeister, fehlten in seiner Kasse. „Wir hatten unsere Strukturen so aufgestellt, dass wir die Situation aus dem letzten Sommer noch etwas länger hätten durchhalten können. Kein ganzes Jahr mehr. Aber wir haben schon erwartet, dass es wieder mehr wird in diesem Sommer“, sagt Dupper.

Er sollte sich irren: Momentan kommen noch maximal 50 Flüchtlinge am Tag, gerade einmal 70 unbegleitete Minderjährige und 300 erwachsene Flüchtlinge werden derzeit in Passau versorgt. „Wir sehnen uns nicht danach, dass es wieder mehr werden“, sagt Dupper. „Aber wenn was kommt, sind wir vorbereitet.“

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