Gleichberechtigung Ökonomische Freiheit hat noch immer ein Geschlecht

Im Hotel Bayerischer Hof am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz trafen sich die Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft zum CEO-Lunch. Quelle: dpa

Wie männlich die Wirtschaft geprägt ist, zeigt nicht nur der CEO-Lunch bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Grundsätzlich herrscht im Erwerbsleben noch längst keine Gleichberechtigung. Drei Stellschrauben können das ändern. Ein Gastbeitrag.

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Maren Jasper-Winter ist Mitglied im FDP-Bundesvorstand sowie frauen- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Zuvor war sie als Unternehmensjuristin in der Energiewirtschaft tätig.

Das Bild wirkt wie aus einer anderen Zeit: Ein Tisch mit etwa drei Dutzend Männern, graue bis schüttere Haare, selbstbewusster Blick, divers sind hier nur die Anzüge, mal blau, mal schwarz. Dieser Schnappschuss stammt nicht aus dem vergangenen Jahrhundert, sondern vom vergangenen Wochenende. Er zeigt den sogenannten CEO-Lunch bei der Münchner Sicherheitskonferenz, keine einzige Frau ist zu sehen. Die deutsche Managerelite ist offensichtlich noch nicht im Jahr 2022 angekommen.

Doch nicht nur in den Führungsetagen hapert es erheblich mit der Gleichberechtigung, sondern im Wirtschaftsleben insgesamt herrscht für Frauen noch immer keine Chancengleichheit. Das will und muss die neue Ampelkoalition ändern.

„Gleichstellung der Geschlechter ist Grundlage einer gleichberechtigten Gesellschaft“, heißt es im Koalitionsvertrag – in der Realität sieht die Welt noch anders aus.

Ein Viertel der Frauen in Deutschland ist nicht erwerbstätig; die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit, unter Männern sind es hingegen nur neun Prozent. Frauen verdienen selbst bei gleicher Arbeit und Position immer noch weniger als Männer. Sie übernehmen den überwiegenden Teil der Care-Arbeit und werden in dem Moment, in dem sie Kinder haben, anders als männliche Kollegen stärker von Einschnitten im Hinblick auf Verdienst, Karrieremöglichkeiten und Altersversorgung betroffen – ökonomische Freiheit hat in Deutschland noch immer ein Geschlecht.

Aus einer liberalen Perspektive heraus darf Politik keine Vorgaben für den oder die Einzelne machen, der Staat den Lebensstil seiner Bürgerinnen und Bürger nicht bewerten. Er muss sich in „Lebensstiltoleranz“ üben – was jedoch nicht bedeutet, dass er den traditionellen Rollenbildern von Müttern und Vätern, den Vorstellungen in den Köpfen der Gesellschaft, die in Deutschland immer noch für ungleiche Chancen sorgen, nichts entgegensetzen kann. Dabei gibt es zentrale Stellschrauben, bei denen der Staat Anreize setzen und Regulierungen vorgeben kann, um mehr Gleichberechtigung und Selbstbestimmung zu fördern. Dazu zählen folgende drei Punkte, die die Ampelkoalition angehen muss:

Beseitigung von Fehlanreizen: Die Lohnsteuerklassen III und V werden zukünftig in Steuerklasse IV überführt. Noch mehr als eine Abschaffung des Ehegattensplittings, das ja oft als Kronzeuge für ein gleichberechtigtes Steuerrecht herangezogen wird, entstehen Frauen durch die Einordnung in Steuerklasse 5, die zu 93 Prozent von Frauen genutzt wird, Nachteile im Erwerbsleben. Die steuerliche Gesamtbelastung des Haushaltseinkommens ändert sich durch die Änderung zwar nicht, doch das Bewusstsein innerhalb von Partnerschaften und die finanzielle Freiheit insbesondere von Frauen dürfte sich deutlich verbessern.



Bessere Kinderbetreuung: Einer der größten sichtbaren Hürden für eine Steigerung der Erwerbsarbeit von Frauen ist der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen. Ein Aufbrechen traditioneller Rollenbilder kann der Staat schlicht nicht ohne eine entsprechende Betreuungsinfrastruktur erreichen. Denn gleichberechtigtes Miteinander kann an den praktischen Fragen der Organisation des Alltagslebens einer Familie scheitern, die dann oft unbewusst der Frau übertragen wird oder sie sich selbst überträgt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Ampel Kitaplätze und Ganztagsbetreuung an Schulen ausbauen wird und flexible Betreuung im eigenen Haushalt durch ein Zulagen- und Gutscheinsystem und steuerfreie Arbeitgeberzuschüsse unterstützen wird.

Väter in die Verantwortung nehmen: Eine unsichtbare Hürde für ein Vorankommen von Frauen im Beruf ist die traditionelle Aufteilung der Familienarbeit. Väter müssen hier die Möglichkeit bekommen, sich stärker zu beteiligen. Keine Gesetzesänderung war in den letzten 15 Jahre so prägend, wie die Einführung der sogenannten „Vätermonate“ im Rahmen des Elterngeldes im Jahr 2007. Sie hat die Diskussion um eine gleichberechtigte Aufteilung der Arbeit gefördert, wenngleich es noch ein weiter Weg ist. Deshalb ist es richtig, dass die Ampel diesen Weg weitergeht: Die zwei Mindest-Partnermonate werden um einen weiteren Monat erweitert. So verlängert sich die Mindestbeteiligung – klassischerweise des Vaters – von einer „verlängerten Sommerpause“ in ein Quartal. Dies fördert ein Umdenken auf allen Seiten. Auch bei den Arbeitgebern, von denen sich Väter weitgehend im Vatersein noch nicht unterstützt fühlen.

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Doch selbst wenn die letzten sichtbaren und unsichtbaren Hürden abgebaut sind, erschweren oft noch die Vorstellungen in den Köpfen den Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Neben allen politischen Maßnahmen ist es deshalb entscheidend, die Vorteile einer gleichberechtigten Gesellschaft für alle Geschlechter in den Vordergrund zu stellen, Vorbilder zu schaffen und durch eigenes Handeln voranzugehen.

Hier ist auch die deutsche Wirtschaft in der Pflicht. Sie sollte Frauen in Führungspositionen jedoch nicht allein aus Sorge vor dem nächsten Fototermin fördern, sondern aus einem ganz eigenen Interesse heraus: Diverse Teams sind die erfolgreicheren.

Mehr zum Thema: Bei Deutz mussten CEO und Aufsichtsratschef ihre Posten räumen, weil sie sich uneinig über die Umsetzung der Frauenquote waren. Wiebke Ankersen von der Allbright Stiftung erklärt, was andere Unternehmen aus diesem Debakel lernen können.

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