Hasskommentare Ende der Schonfrist für Facebook und Co.

Eigentlich hatten soziale Netzwerke versprochen, Hasskommentare schnell zu löschen. Neue Zahlen zeigen aber: Rechtswidrige Inhalte sind tagelang im Netz. Nun drohen Facebook & Co. empfindliche Konsequenzen.

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Bei Facebook sind schon der Nationalsozialismus verherrlicht und durch Hass-Postings Straftaten wie Volksverhetzung begangen worden. Quelle: dpa

Berlin Im Netz herrscht ein rauer Ton. Hetze und Hasskommentare sind oft sogar strafbar - bleiben aber trotz Beschwerden in sozialen Netzwerken online, wie neue Zahlen des Internetverbands eco zeigen.

Die Zahl der Meldungen über Hass- oder Hetzinhalte ist demnach 2016 im Vergleich zum Vorjahr um rund 80 Prozent gestiegen. Die Löschzeiten sind ernüchternd. Beanstandete Inhalte, die in Deutschland gepostet wurden, waren erst nach durchschnittlich 8,26 Tagen (inklusive Wochenende und Feiertagen) ab Meldung nicht mehr verfügbar, bei im Ausland online gestellten Kommentaren waren es durchschnittlich 20,24 Tage.

Die Experten begründen dies mit der rechtlichen Bewertung der Inhalte, die „nicht immer trivial“ sei. Komplexe Fälle bedürfen zudem einer gründlichen und damit auch einer zeitlich aufwendigeren rechtlichen Prüfung. Ein Schlaglicht auf die Problematik wirft der Fall des syrischen Flüchtlings Anas M., der gegen Facebook per Gericht zwingen wollte, einen rechtswidrigen Beitrag zu löschen.

Der Konzern muss in seinem Netz aber nicht aktiv nach rechtswidrigen Inhalten gegen einen Flüchtling suchen und diese löschen, urteilte das Landgericht Würzburg am heutigen Dienstag. Der syrische Flüchtling unterlag mit seinem Antrag auf eine Einstweilige Verfügung gegen den Internetriesen und muss weiterhin selbst verleumderische Beiträge gegen ihn suchen und melden.

Facebook habe sich die Verleumdungen von Dritten nicht zu Eigen gemacht und könne deshalb nicht zu einer Unterlassung gezwungen werden, begründete der Vorsitzende Richter der Ersten Zivilkammer sein Urteil. Zu dem Rechtsstreit gegen den US-Konzern war es gekommen, weil der Flüchtling auf verleumderischen Fotomontagen fälschlicherweise als Terrorist und Attentäter dargestellt wurde. Der rechtswidrige Beitrag wurde hundertfach geteilt. Der Flüchtling forderte deshalb von Facebook nicht nur den Originalbeitrag, sondern auch alle Duplikate zu löschen. Weil der Konzern das nicht gänzlich tat, klagte der Flüchtling.

Dessen Anwalt, der Würzburger IT-Jurist Chan-jo Jun, sieht nun vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, weil Appelle an die Freiwilligkeit nicht ausreichten, zum Beispiel mit hohen Geldstrafen. Es müsse Unternehmen wie Facebook finanziell wehtun, geltendes Recht zu verletzen.

Ähnlich argumentiert der stellvertretende Hamburger Datenschutzbeauftragte Ulrich Kühn. „Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass das Setzen auf Selbstverpflichtungsmechanismen nicht ausreicht, um dem Ausufern von Hasskommentaren gegenzusteuern“, sagte Kühn dem Handelsblatt. „Plattformbetreiber wie Facebook stehen in ökonomischen Interessenskonflikten, die zu wenig transparenten und kaum durchsetzbaren Verfahren führen.“ Die Hamburger Datenschutzbehörde ist bundesweit für Facebook zuständig.

Kühn fordert vom Gesetzgeber, den Druck auf die sozialen Netzwerke zu erhöhen. „Hier ist eine politische Debatte erforderlich, die im Ergebnis klare und einheitliche Anforderungen für die Betreiber formuliert“, sagte er und fügte hinzu. „Auch Datenschutz würde ohne solche klaren rechtlichen Vorgaben nicht in der bekannten Weise funktionieren.“


Politik prüft Maßnahmen gegen soziale Netzwerke

Im Bundesjustizministerium wird derzeit über eine neue Regelung nachgedacht, mit der die Betreiber möglicherweise gesetzlich zum schnelleren Löschen gezwungen werden sollen. Die Überlegungen „werden wir in dieser Woche zu einem Ergebnis bringen und einen Vorschlag machen“, sagte Justizstaatssekretär Gerd Billen am Dienstag. Dann will das Ministerium auch eigene Zahlen zur Löschpraxis der Plattformbetreiber vorlegen.

Eine Einigung mit dem Koalitionspartner über eine härtere Gangart per Gesetz könnte durchaus möglich sein, zumal die Fraktionschefs der Koalition, Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD), von Justizminister Heiko Maas (ebenfalls SPD) ausdrücklich eine Regelung gefordert hatten. Maas wollte den Unternehmen aber noch eine Schonfrist geben. Bis März sollten Facebook, Twitter & Co. ihre Löschpraxis deutlich verbessern, sonst drohten gesetzgeberische Maßnahmen bis hin zu Bußgeldern. „Dieses Damoklesschwert schwebt über den Betreibern der sozialen Netzwerke“, hatte Maas im Oktober dem Handelsblatt gesagt.

Dass die Politik jetzt die Geduld verliert, ist nicht verwunderlich, zumal die Debatte über den Umgang mit Hasskommentaren schon lange geführt wird. Maas hatte in einem ersten Schritt im September 2015 eine Task Force zum Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet eingerichtet. Mit dabei: Internetanbieter (Google mit der Videoplattform Youtube sowie Facebook und Twitter), zivilgesellschaftliche Organisationen und Einrichtungen der Medienkontrolle, darunter auch der Internetverband Eco. Vereinbart wurden damals konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Hassinhalten im Internet. Die Unternehmen haben demnach zugesagt, die ihnen gemeldeten und nach deutschem Recht strafbaren Beiträge innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

Dass dies in der Praxis aber selten funktioniert, hatte schon eine im Herbst vergangenen Jahres vorgestellte Untersuchung von „jugendschutz.net“ im Auftrag des Bundesjustizministeriums ergeben. Als positiv wertete Maas seinerzeit zwar, dass strafbare Inhalte häufiger und schneller gelöscht würden als noch im Frühjahr. Allerdings meist nur dann, wenn „jugendschutz.net“ die strafbaren Inhalte nicht als User, sondern selbst direkt per E-Mail meldete. „Die Zusicherung, die Mehrzahl der gemeldeten rechtswidrigen Hassbotschaften innerhalb von 24 Stunden zu entfernen, wird noch von keinem Unternehmen eingelöst“, lautete damals das ernüchternde Fazit des Ministers.

Welche Maßnahmen die sozialen Netzwerke treffen könnten, deutet SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann schon an. Im „Spiegel“ forderte er Ende vergangenen Jahres, dass „marktbeherrschende Plattformen“ wie Facebook gesetzlich verpflichtet werden, auf deutschem Boden eine an 365 Tagen rund um die Uhr erreichbare Rechtsschutzstelle einrichten müssen. Dort könnten sich Opfer von Hass, Häme und gefälschten Nachrichten melden.

„Wenn Facebook nach entsprechender Prüfung die betroffene Meldung nicht unverzüglich binnen 24 Stunden löscht, muss Facebook mit empfindlichen Bußgeldern bis zu 500.000 Euro rechnen“, sagte Oppermann dem Magazin. Auf Wunsch von Betroffenen müssten Facebook & Co. zudem eine „Richtigstellung mit der gleichen Reichweite“ im Netz verbreiten. Oppermann bestätigte seinerzeit, dass er mit Kauder nach der Weihnachtspause aktiv werden wolle.

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