Ist das die erhoffte Wende bei den Preisen? Im November hat sich die Inflationsrate nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes um vier Zehntelpunkte auf nunmehr 10,0 Prozent abgeschwächt. Die meisten Analysten hatte mit einer gegenüber dem Vormonat unveränderten Teuerungsrate von 10,4 Prozent gerechnet. Daher sind mancherorts Seufzer der Erleichterung zu vernehmen, getragen von der Hoffnung, das Schlimmste bei der Inflation liege hinter uns.
Doch Vorsicht! Die leichte Entspannung bei den Kosten für die Lebenshaltung beruht allein auf dem abebbenden Anstieg der Energiepreise. Gegenüber dem Vorjahr kletterten sie „nur“ noch um 38,4 Prozent, nachdem die Rate im Oktober noch bei 43 Prozent gelegen hatte. Bei den Nahrungsmitteln hingegen beschleunigte sich der Preisauftrieb von 20,3 auf 21 Prozent, bei den Wohnungsmieten von 1,8 auf 1,9 Prozent.
Ob die Inflation mit dem Novemberwert ihren Höhepunkt erreicht hat oder in den Wintermonaten noch um ein paar Zehntel zulegt, hängt von der Stärke mehrerer Faktoren ab. So haben die meisten Energieversorger für Anfang nächsten Jahre kräftige Preiserhöhungen für Strom und Gas angekündigt. Diese werden allerdings nicht voll auf die Portemonnaies der Kunden durchschlagen, da die Bundesregierung mit der Strom- und Gaspreisbremse einen großen Teil der Last auf künftige Steuerzahler verlagert.
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Zu viel Geld im Umlauf
Auch wenn ab dem Frühjahr mit einem Rückgang der Inflationsrate schon deshalb zu rechnen ist, weil sich der Überfall Russlands auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiepreishausse dann jährt und für den Vorjahresvergleich beim Preisindex keine Rolle mehr spielt, ist der Kampf gegen die Inflation noch lange nicht gewonnen.
All jene Notenbanker in der EZB, die den aktuellen Zinserhöhungszyklus lieber heute als morgen beenden möchten, sollten sich die Daten zur Entwicklung der Geldmenge anschauen. Deren Wachstumsrate hat sich zuletzt zwar entschleunigt. Doch befindet sich – quasi als Altlast aus der Geldflut, die die EZB in der Pandemie losgetreten hat – noch immer viel zu viel Geld im Umlauf. Gemessen an der zur preisstabilen Finanzierung der Gütermenge benötigten Geldmenge, zirkuliert etwa 20 Prozent zu viel Geld in der Währungsunion. Das Inflationspotenzial für die nächsten Monate und Jahre ist daher hoch. Zumal die preistreibenden Impulse von der Kostenseite durch die Deglobalisierung, die Dekarbonisierung und die Demografie eher zu-, statt abnehmen.
Für Seufzer der Erleichterung an der Inflationsfront ist es daher viel zu früh. Die EZB muss die geldpolitischen Zügel weiter anziehen. Lässt sie diese zu früh wieder locker, verliert sie nicht nur den Kampf gegen die Inflation, sondern auch den Rest ihrer ohnehin dramatisch geschrumpften Glaubwürdigkeit.
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