IW-Studie zu bedrohten Regionen Was die Politik für gleichwertige Lebensverhältnisse tun könnte

Willkommen im Nirgendwo: Wo es an Menschen und am Geld mangelt. Quelle: imago images

Wirtschaftsforscher machen praktische wie schmerzhafte Vorschläge für abgehängte Regionen in Deutschland. Die Bundesregierung bleibt so konkrete Maßnahmen zum Erreichen gleichwertiger Lebensverhältnisse noch schuldig.

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Deutschlands Regionen entwickeln sich auseinander – dagegen lässt sich allerdings einiges unternehmen. Das ist die Botschaft der Forscher vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die heute ihre Studie zur „Zukunft der Regionen in Deutschland“ in Berlin vorstellen. Sie fangen da an, wo eigentlich die Bundesregierung schon handeln müsste. Schließlich legte die von ihr eingesetzte Experten-Kommission zu „gleichwertigen Lebensverhältnissen“ jüngst Ergebnisse vor. Doch die Kommission und die Koalition blieben noch eher vage. Bundesheimatminister Horst Seehofer (CSU) hat bisher wenig Konkretes auf Lager und noch nicht erklärt, was das genau sein solle, diese „gleichwertigen Lebensverhältnisse“. Die sind nicht mal im Grundgesetz als Ziel formuliert, geschweige denn definiert.

Damit Menschen in wirtschaftsschwachen Regionen aber Unterstützung bekommen, damit der Zusammenhalt zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West zwischen Alt und Jung nicht zerbröselt, machen die Ökonomen und Regionalforscher in ihrer fast 300 Seiten umfassenden Studie nun allerlei Vorschläge. Die setzen an drei Punkten an: bei der Wirtschaftsleistung, der Demografie und der Infrastruktur. Wenn da nichts geschieht, so die Ökonomen und Regionalforscher, wird es schlimmer und das Gefühl des Abgehängtseins verschärft sich. Sie machen die Vorschläge aber auch mit dem Wissen um knappe Etats und beleuchten Förderprogramme, die in der Vergangenheit zwar Geld, nicht immer aber den Aufschwung gebracht haben.

Am schlechtesten ist es aus Sicht des IW um eher ländliche Gegenden in Ostdeutschland bestellt, die unter Abwanderung und Überalterung leiden. Qualifizierte Zuwanderer kämen zudem kaum in die Region um Bitterfeld oder in die Lausitz, nach Ost- und Südthüringen oder an die Mecklenburgische Seenplatte. Zudem lasse die Infrastruktur, vor allem das Internet, dort meist zu wünschen übrig.

Andere Problemzonen sind frühere Industriegebiete wie das Ruhrgebiet, Bremerhaven oder das Saarland, die immer wieder von Finanznot und drückenden alten Schulden eingeschränkt würden. Da entstehe kaum neue Wirtschaftskraft. Die ostdeutsche Altmark und das westdeutsche Saarland scheinen in allen drei Kernpunkten die Schlusslichter zu sein: Bei wirtschaftlicher Entwicklung, Demografie und Infrastruktur schneiden die Gegenden schlecht ab.

Insgesamt 19 Regionen müssten von der Politik vor Ort oder auch vom Bund akut Unterstützung bekommen, folgern die Autoren. Elf davon liegen im Osten, vier in NRW entlang der Ruhr, außerdem Bremerhaven, das Saarland, Schleswig-Holstein Ost und die Westpfalz. „Die betroffenen Länder sollten Schuldenerlasse für die Kommunen in Betracht ziehen, damit diese wieder handlungsfähig werden“, schlägt IW-Chef Michael Hüther vor. „Eine kluge Regionalpolitik sollte den Kommunen die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen“, meint Jens Südekum, Mitautor und Ökonom an der Uni Düsseldorf.

Bund und Länder sollten gezielt Hochschulen oder Bildungseinrichtungen ansiedeln, das schaffe Wirtschaftskraft und ziehe jüngere Leute mit guter Bildung an. Das Schienennetz und Breitbandinternet müssten rasch ausgebaut werden. Zudem müssten neue Wege erprobt werden, indem Bürgerengagement als Ersatz für staatliche Angebote leichter werde. Wo Ärzte knapp würden, müsse die Telemedizin beherzt ausgebaut werden. „Die Regionalpolitik muss jetzt dringend gegensteuern, sonst werden die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen und es kann zu gefährlichen Abwärtsspiralen kommen“, warnt Hüther. Weil nicht für alles und jeden Ort genug Geld da sei, müssten auch zentrale Orte gewählt werden, die stellvertretend für eine Region profitieren sollten, heißt es. Mit solchen Plänen war zuletzt Brandenburgs Regierung gescheitert, die Infrastruktur auf einzelne Mittelstädte konzentrieren wollte.

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