Keine Krawalle bei Demos erwartet Zum 1. Mai dürfte es in Hamburg ruhig bleiben – das sind die Gründe

Die G20-Ausschreitungen wirken nach: Die linke Szene in Hamburg will keinen Anlass liefern, ihr Zentrum Rote Flora aufzulösen. Auch harte Haftstrafen schrecken ab.

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Eskalationen zum 1. Mai im Hamburger Schanzenviertel (Archivbild 2016) werden 2018 nicht erwartet. Quelle: dpa

Hamburg Es ist noch kein Jahr her: Stundenlang konnten Krawalltouristen im Hamburger Schanzenviertel während des G20-Gipfels im Juli 2017 fast ungestört Läden plündern und Feuer legen. Spuren sind noch immer zu sehen: Derzeit reißen Bagger eine damals ausgebrannte Filiale der Hamburger Sparkasse endgültig ab.

Am Dienstag steht der Maifeiertag an, Krawalle sind da fast schon Tradition. Schon in den letzten Jahren war der Tag der Arbeit in Hamburg gewalttätiger als in der einstigen Krawall-Hochburg Berlin-Kreuzberg. Diesmal jedoch signalisiert die Polizei Entwarnung. „Wir erwarten einen ruhigen Verlauf“, sagte ein Polizeisprecher dem Handelsblatt. Die Polizei sei zwar vorbereitet, aber „gelassen professionell“. „Krawalltouristen werden wir nicht ansatzweise dulden“, sagte der Sprecher.

Hinter der Erwartung steckt mehr als Hoffnung. Neben drei DGB-Kundgebungen mit bis zu 3500 Teilnehmern ist lediglich eine weitere Demonstration angemeldet. Der „Rote Aufbau Hamburg“ ruft unter dem Motto „Kapitalismus – noch immer scheiße“ zu einem Aufmarsch am Hauptbahnhof auf. Die Route führt allerdings nicht durch das Schanzenviertel.

Die Zurückhaltung der linken Szene erklärt sich aus den G20-Krawallen. Deren Intensität hat die Hamburger Autonomen vor allem im umstrittenen Zentrum Rote Flora offenbar überrascht. Direkt nach dem Gipfel sah es zeitweise so aus, als zwinge der öffentliche Druck den damaligen Bürgermeister und heutigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dazu, das Haus räumen zu lassen.

Dazu ist es aus drei Gründen nicht gekommen.

Erstens spielte die Rote Flora zwar eine Rolle bei der Mobilisierung von Gegendemonstranten beim G20-Gipfel, eine direkte Beteiligung an Gewalttaten war jedoch nicht nachweisbar. Als die Situation eskalierte, versuchten die Aktivisten offenbar sogar, mäßigend einzuwirken, hatten jedoch zu wenig Einfluss auf unpolitische Krawallmacher und aus dem Ausland angereiste Linksextreme.

Zweitens ist laut Umfragen und wahrnehmbarer Stimmung auf der Straße die Mehrheit der Hamburger gegen eine Räumung. Die Rote Flora gilt als Ausweis hanseatischer Liberalität. Zudem finden regelmäßig Konzerte und andere Veranstaltungen in dem Gebäude statt, die mit ihrem unkommerziellen Charme auch Menschen jenseits des linksextremen Spektrums erreichen.

Drittens hat die Szene mehrfach ihre große Mobilisierungskraft in Hamburg gezeigt. Räumungen von linken Projekten wie Bauwagenplätzen haben in den vergangenen Jahren Polizei und Politik an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht. 2013 eskalierte eine Demonstration, bei der es unter anderem um den Fortbestand der Roten Flora ging. Daraufhin rief die Polizei sogenannte „Gefahrengebiete“ ein mit zahlreichen Personenkontrollen.

Letztlich dürfte der damalige Aktionismus jedoch eher die Szene gestärkt haben. Nach einer Räumung der Flora hätte die Szene wenig zu verlieren und könnte die Stadt über Monate in Atem halten. Das würde die Polizei, die seit G20 viele Überstunden vor sich herschiebt, an die Grenzen bringen und hohe Kosten verursachen.

Beide Seiten – Senat und Szene – wollen einen Anlass für eine Räumung der Flora vermeiden. Der neue Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte kürzlich bei einer Veranstaltung, die Stadt habe sich mit der Roten Flora bis zum G20-Gipfel „schon fast versöhnt“ gehabt.

„Die G20-Krawalle haben diesen Rückfall gebracht, und das müssen wir jetzt überwinden“, fügte der Politiker hinzu. Sein Ziel ist offenbar ein möglich bruchloser Übergang ins neue Amt. Unnötigen Ärger um die linke Szene kann er nicht gebrauchen. Schließlich möchte die SPD bis zur Bürgerschaftswahl in zwei Jahren den G20-Gipfel möglichst aus den Köpfen der Wähler heraushaben.

Die Aufarbeitung der G20-Krawalle verläuft derweil ohne große Überraschungen in einem Sonderausschuss des Stadtparlaments, der Bürgerschaft. Dazu kommen mehrere Prozesse, in denen teils außerordentlich hohe Strafen etwa für Flaschenwürfe verhängt wurden. 19 Entscheidungen sind bereits rechtskräftig, darunter eine Verurteilung zu drei Jahren und drei Monaten Haft. Auch das dürfte potenzielle Krawalltouristen abschrecken.

Ebenso wenig wie Tschentscher hat nun die Szene um die Flora Interesse an neuen Krawallen, die den Forderungen der schwachen CDU-Opposition nach einer Räumung neue Nahrung geben würde. Eine eigene Demonstration hat die Flora daher nicht angemeldet.

Und dass die Szene im Eigeninteresse darauf hinwirken kann, dass der Maifeiertag ruhig bleibt, hat sie bereits 2017 bewiesen: Damals blieben die Demonstrationen außergewöhnlich ruhig – obwohl sie sich bereits gegen das G20-Treffen in Hamburg richteten.

Dahinter stand wohl auch das Kalkül, nicht durch Ausschreitungen hohe Auflagen für Protestveranstaltungen zum Gipfeltreffen wenige Monate später zu provozieren. Diesmal also dürfte die Szene ruhig bleiben, um eines ihrer wichtigsten eigenverwalteten Zentren in Deutschland nicht zu gefährden. Auf der anderen Seite erhält die Hamburger Polizei eine Chance zu beweisen, dass auch sie nicht auf Krawall aus ist.

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