Klimaneutralität Was im europäischen „Green Deal“ steht

Ursula von der Leyen stellt heute ihre Pläne für ein klimaneutrales Europa bis 2050 vor. Damit soll die Erderwärmung auf 1,5 Grad eingeschränkt werden.

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Die Kommissionschefin will die EU bis 2050 klimaneutral machen. Quelle: dpa

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen präsentiert am Mittwoch ihren Plan für ein „klimaneutrales“ Europa bis 2050, den sogenannten Green Deal. Sie plant ein umfassendes Gesetzgebungsprogramm, um Energieversorgung, Industrieproduktion, Verkehr und Landwirtschaft binnen 30 Jahren klimafreundlich umzubauen.

Gedacht ist die Ankündigung als Signal an die laufende UN-Klimakonferenz in Madrid und an den EU-Gipfel am Donnerstag, der das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ebenfalls auf der Agenda hat.

EU-Ratschef Charles Michel forderte alle Mitgliedsstaaten auf, es mitzutragen. „Das wäre ein wichtiges Signal von uns im Europäischen Rat, dass die EU eine globale Führungsrolle bei diesem ungeheuer wichtigen Thema übernehmen will“, schrieb Michel in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs. Allerdings stellen sich Polen, Ungarn und Tschechien bisher noch quer.

Klimaneutralität bedeutet, dass ab 2050 keine neuen Treibhausgase aus Europa in die Atmosphäre gelangen, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen. Dafür muss der größte Teil der Klimagase, die zum Beispiel bei Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas und in der Landwirtschaft entstehen, vermieden und der Rest gespeichert werden. Zum „Green Deal“ gehört ein Zwischenziel für 2030: Bis dahin sollen die Emissionen um 50 bis 55 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Bisher hat sich die EU ein Minus von 40 Prozent vorgenommen.

Grüne und Umweltschützer kritisieren vor allem, dass dieses neue Etappenziel erst im Herbst nächsten Jahres festgezurrt werden soll und dass der „Green Deal“ zunächst nur die Ankündigung einer Vielzahl von Gesetzen und Programmen in den Jahren 2020 und 2021 ist.

„Es ist richtig, Klimaschutz und Nachhaltigkeit in Form eines Green Deal nach vorne zu stellen“, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch). „Es darf aber nicht bei wohlklingenden Überschriften bleiben.“ Baerbock forderte insbesondere einen Kurswechsel in der Agrarpolitik. „Wenn der Green Deal ernst gemeint ist, muss die Gemeinsame Agrarpolitik umfassend reformiert werden“, sagte sie dem RND.

Dem Bundesverband der Deutschen Industrie gehen von der Leyens Pläne hingegen zu weit. Die ständige Verschärfung der Klimaziele führe zu einer Verunsicherung der Konsumenten und Unternehmen, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf der Deutschen Presse-Agentur. Das sei „Gift für langlebige Investitionen“. Man bewege sich immer mehr in „Grenzbereiche der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Machbarkeit.“

Der „Green Deal“ soll am Vormittag von der EU-Kommission gebilligt werden. Am Nachmittag (ab 14 Uhr) stellt von der Leyen den Plan in einer Sondersitzung des Europaparlaments vor. 

Das sind die konkreten Pläne:

Was der Green Deal ist: Kern des „Green Deal“ sind zwei Ziele: In einem Klimagesetz, das bis März 2020 vorliegen soll, soll die „Klimaneutralität 2050“ verankert werden. Das bedeutet, dass alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden, sei es in Wäldern oder unter der Erde.

Nötig ist dafür ein kompletter Umbau von Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft. Auf dem Weg dorthin, das ist der zweite zentrale Punkt, soll ein ehrgeiziges Etappenziel stehen: Die EU soll bis 2030 ihre Klimagase um 50 bis 55 Prozent unter den Wert von 1990 bringen. Bisher geplant ist ein Minus von 40 Prozent.

Was im Green Deal steckt: An den neuen Zielen soll die gesamte Gesetzgebung ausgerichtet und dann mit einer Mischung aus Anreizen, Hilfen und Vorgaben umgesetzt werden. In vorab bekannt gewordenen Entwürfen des „Green Deal“ werden für 2020 und 2021 seitenweise Gesetzentwürfe und Programme angekündigt.

Eine kleine Auswahl: eine Industriestrategie; Importhürden für klimaschädlich produzierte Waren; eine Strategie für sauberen Verkehr und neue Emissionsgrenzwerte für Autos; der Handel mit Verschmutzungsrechten auch im Schiffsverkehr; die Verteuerung von Verschmutzungsrechten für Airlines; schnellerer Ausbau von Energieeffizienz und Ökoenergie.

Geplant sind auch neue Standards für saubere Luft und sauberes Wasser; eine auf Umwelt und Klima ausgerichtete Agrarreform; die drastische Reduzierung von Pestiziden und Düngern; ein Plan zur Aufforstung und zum Erhalt von Wäldern. Hinter einigen Überschriften verbergen sich neue Hilfen für Bürger, Unternehmen und Staaten bei der Umstellung, die aus einem milliardenschweren Fonds finanziert werden sollen. Insgesamt will von der Leyen grüne Investitionen für eine Billion Euro anstoßen.

Was der Green Deal bewirken soll: Ziel ist es, die Überhitzung der Erde abzuwenden und damit katastrophale Folgen wie das Abschmelzen der Eiskappen, vermehrte Stürme, Dürren oder Überschwemmungen so weit wie möglich zu vermeiden. Das ist schon 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart.

Dort heißt es, die globale Erwärmung solle bei unter zwei Grad, möglichst sogar bei 1,5 Grad gestoppt werden, gemessen an vorindustrieller Zeit. Nach neuen Warnungen der Wissenschaft ist eigentlich nur noch vom 1,5-Grad-Ziel die Rede. Auch die Vereinten Nationen fordern „Klimaneutralität“ bis 2050. Die EU will Vorreiter sein und ihre technischen Lösungen dann auch in alle Welt verkaufen.

Wie es jetzt weitergeht: Schon am Mittwochnachmittag debattiert das Europaparlament. Eine Mehrheit hat kürzlich erst den Klimanotstand ausgerufen - sie dürfte von der Leyen zur Seite stehen. Spannend wird es beim EU-Gipfel am Donnerstag. Polen, Ungarn und Tschechien wollen konkrete Zusagen für Milliardenhilfen, bevor sie das Ziel der Klimaneutralität 2050 akzeptieren. Das ist jedoch knifflig, weil der EU-Finanzplan für das nächste Jahrzehnt noch nicht steht. Diplomaten schätzten die Chance für eine Einigung auf nur 50 Prozent.

Mehr: Bayer-Vorstandschef Werner Baumann stellt im Handelsblatt seine Nachhaltigkeits-Offensive vor. Der Konzern will bereits bis 2030 klimaneutral arbeiten.

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