Krise der Ampelkoalition Ist da jemand?

Olaf Scholz: Wofür steht der Kanzler? Quelle: REUTERS

Die Krise der Koalition ist auch eine Krise des Kanzlers. In diesen Tagen entscheidet sich, ob das erste Kabinett Scholz seinen Fortschrittsanspruch einlösen kann. Ein Kommentar.

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Wo ist der Kanzler? Nun, räumlich lässt sich die Frage einfach beantworten: Am Mittwoch redete er in Köln beim Deutschen Städtetag und in Frankfurt bei der 25-Jahresfeier der Europäischen Zentralbank, am Donnerstag traf er den ChatGPT-Entwickler Sam Altman, um über künstliche Intelligenz zu debattieren, gestern dann reiste Olaf Scholz in die estnische Hauptstadt Tallinn, um an Treffen der baltischen Regierungschefinnen und -chefs teilzunehmen.

Aber wo ist nur der Kanzler? Tja, politisch wird eine Antwort schon schwieriger. Beim Heizungsgesetz, das das Zeug hat, das Betriebssystem und den Betriebsfrieden dieser Koalition irreparabel zu beschädigen, wüsste man jedenfalls gerne, wo genau Scholz steht. Er will dieses Gesetz, soweit bekannt und selbstverständlich. Handelt es sich doch um ein Kernprojekt des Koalitionsvertrages, noch dazu um eines, dessen Eckpunkte erst im April während eines 30-stündigen Koalitionsgipfels festgezurrt wurden.

Scholz hat darüber hinaus bereits seinen Wunsch zu Protokoll gegeben, dass im Bundestag zügig darüber beraten und entschieden wird. Klare Sache also, könnte man meinen. Aber nichts ist klar. Seit mittlerweile einigen Wochen zelebrieren Grüne und Liberale hingebungsvoll ihr Ringen im Heizungskeller. Wie viel Wärmewende die Ampel wagen will, kann und sollte – der Streit um diese Frage hat sich zu einer Regierungskrise erster Güte ausgewachsen.



In diesen Tagen könnte sich entscheiden, welches Vermächtnis das erste Kabinett Scholz einmal hinterlassen wird. Und ob nach vier Jahren schon wieder Schluss ist.

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Eine Eskalation dieser Größenordnung ist immer auch ein Problem des Kanzlers. Es derart weit kommen zu lassen, bedeutet das Fehlen vorausschauender Führung. Wenn die Sehnsucht nach parteipolitischer Profilierung auf Dauer größer ist als das Interesse an koalitionärer Geschlossenheit, kann eine Regierung einpacken

Man könnte einwenden: Klimapolitische Konflikte sind dieser Ampel nicht neu. Aber das Gebäudeenergiegesetz lässt sich nur schwerlich mit dem Atomausstieg vergleichen. Es eröffnet deshalb auch keine zweite Gelegenheit, das Schwert der Richtlinienkompetenz zu schwingen, dafür ist es zu weitreichend, zu komplex, zu vielschichtig in Bezug auf Instrumente, Wege, Ziele, Förderungen; nichts, was sich mit einem Ja oder Nein aus dem Kanzleramt mal eben so befrieden ließe. 

Und doch: Welche Art vom Klimakanzler Olaf Scholz sein will, muss er an diesem Vorhaben beweisen. Wie viel ordnungsrechtliche Schärfe will der Kanzler den Deutschen und ihrem Eigentum zumuten? Welches Ausmaß an Pragmatismus und finanzieller Abfederung hält er für unbedingt geboten? Wann und wie wird er den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären versuchen, dass Klimaneutralität auch an Haus und Grund nicht vorbeigehen kann, wenn sie ernst gemeint ist? Dass, kurzum, sein „grünes Wirtschaftswunder“ weitere entschlossene Wenden erfordert?

Die Ampel war, betrunken vom eigenen Pathos, einmal mit dem Anspruch und dem Versprechen angetreten, mehr sein zu wollen als nur ein lagerübergreifendes Zweckbündnis. Mehr als die Summe dreier Wählerschichten. Dieser rot-grün-gelbe, nennen wir ihn: dritte Weg sollte eine neue bürgerlich-progressive Politik der Mitte begründen, eben eine Fortschrittskoalition für die fortschrittwillige Gesellschaft.

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Im Juni tagt der Koalitionsausschuss erneut, die Fachleute schon kommende Woche. Vielleicht weiß man danach, ob von diesem Anspruch noch etwas eingelöst werden soll. Und was der Kanzler damit zu tun hat.

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