Mittelstand über Bewerber „Die schulischen Kenntnisse haben sich verschlechtert“

Mathematikunterricht einer 8. Klasse an einer Integrierten Gesamtschule in Hannover Quelle: dpa

Während Abiturienten in Petitionen über vermeintlich zu schwierige Mathematik-Aufgaben klagen, beobachten Unternehmen wie Fischer (Dübel), Miele oder Trigema einen deutlichen Rückgang des Bildungsniveaus bei Bewerbern.

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„Die Kenntnisse im Fach Mathematik haben sich in den vergangenen Jahren insgesamt verschlechtert“, sagt Klaus Fischer. Mit diesem Urteil über junge Berufsanfänger steht der Inhaber des Weltmarktführers für Dübel aus dem württembergischen Waldachtal nicht allein. „Entsprechende Rückmeldungen erhalten wir auch von Berufsschulen und Dualen Hochschulen. Teilweise müssen wir vor allem in den technischen Ausbildungsberufen Nachhilfe geben. Wir prüfen derzeit, dies generell für alle Auszubildenden anzubieten.“ Die Unternehmen müssten also, so Fischer, „in der Ausbildung nachholen, was an den Schulen versäumt wurde.“

Auch aus fünf anderen von der WirtschaftsWoche befragten mittelständischen Unternehmen lautet die Antwort auf die Frage, wie sich mathematische Kenntnisse und Kompetenzen junger Bewerber verändert haben, durchgängig: schlechter geworden. „Wir beobachten innerhalb der letzten Jahre, dass grundlegende mathematische Fähigkeiten nicht mehr auf Abruf verfügbar sind. Das sehen wir in unseren Online-Auswahltests“, sagt Philipp Burger, Ausbildungsleiter beim Sensoren-Hersteller Sick im badischen Waldkirch. Dabei geht es meist nicht einmal um höhere Mathematik. „Bei den Grundrechenarten - ohne Taschenrechner - und dem allgemeinen Gefühl für Zahlen nehmen wir seit Jahren wahr, dass die Fähigkeiten nachlassen“, sagt Thomas Meyer, Leiter Ausbildung beim Haushaltsgeräte-Hersteller Miele in Gütersloh.  

Diese Aussagen werfen, so unrepräsentativ sie selbstverständlich sind, ein anderes Licht auf die Debatte um das diesjährige Mathematik-Abitur. Vor allem bayrische Abiturienten bezeichneten es nach den Prüfungen als zu schwer und starteten im Internet eine Petition, die mehr als 70.000 Menschen unterzeichnet haben. Wie der bayrische Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) mitteilte, werden die Mathe-Abitur-Noten in diesem Jahr in Bayern voraussichtlich leicht unter dem Niveau der Vorjahre liegen. „Nach dem aktuellen Stand scheint das Mathe-Abitur etwas schlechter auszufallen als in den letzten drei, vier, fünf Jahren“, sagte er, ohne konkrete Zahlen zu nennen.

Einigkeit besteht bei den befragten Unternehmen auch darin, dass mathematische beziehungsweise Zahlenkompetenz nach wie vor besonders wichtig ist. Bei Sick etwa spielen mathematische Leistungen bei der Auswahl von Bewerbern heute sogar eine wichtigere Rolle als in der Vergangenheit. „Wir bilden mehr und mehr im Informatikbereich aus, was analytisches Denken der Azubis und Studierenden erfordert“, sagt Burger. Um die mangelnde schulische Bildung auszugleichen, hat Burger bei Sick einen eigenen Betriebsunterricht eingeführt und schickt dual Studierende zu Mathevorkursen vor dem eigentlichen Studium.

Das abnehmende Bildungsniveau betrifft allerdings offenbar nicht nur die Mathematik. „Im Fach Deutsch stellen wir ebenfalls eine Verschlechterung fest“, sagt Unternehmer Klaus Fischer. „Vor allem beim Formulieren von Texten, beim Verständnis für komplexe Sätze und bei der klaren Ausdrucksweise gibt es teilweise deutlichen Nachholbedarf bei Bewerberinnen und Bewerbern.“ Es komme immer wieder vor, „dass wir wichtige E-Mails und weitere Texte, die außerhalb unseres Unternehmens versendet werden, intensiver prüfen müssen.“

Miele: Schriftsprache schlechter, IT-Kenntnisse besser

„Die schulischen Kenntnisse haben sich insgesamt verschlechtert“, sagen auch Jessica Bühler und Marc Löckel, die für die Betreuung der kaufmännischen Auszubildenden beim Kleidungshersteller Trigema – Inhaber Wolfgang Grupp – im schwäbischen Burladingen verantwortlich sind. Hans-Jürgen Buchmann, Chef der Europa-Sparte des brasilianischen Chemiekonzerns Braskem im sachsen-anhaltinischen Schkopau, sagt, die schulischen Kenntnisse hätten fächerübergreifend „leicht nachgelassen“. Man bemerke auch „sprachliche Defizite“ bei jungen Bewerbern, „noch“ sei das allerdings kein großes Problem.

Bei Miele stellt Ausbildungsleiter Thomas Meyer fest, dass sich „Rechtschreibung und Zeichensetzung in den zurückliegenden Jahren in der Tat deutlich verschlechtert haben.“ Meyer führt dies vor allem darauf zurück, dass sich junge Menschen zu sehr auf die Korrekturfunktion ihres Textverarbeitungsprogramms verlassen, die aber eben nicht alle Fehler erkenne. Auch Marco Feyh, Inhaber der Steuerkanzlei Con-Tax in Großwallstadt mit rund 100 Mitarbeitern, hat auch bei Berufsanfängern mit Abitur vermehrt Defizite in der Rechtschreibung festgestellt und bietet ihnen daher mittlerweile einen besonderen Kurs an, denn: „Wir können nur Mitarbeiter gebrauchen, die sich schriftlich sicher ausdrücken können.“

Angesichts der kritischen Urteile über das abnehmende Bildungsniveau junger Bewerber ist es nicht überraschend, dass die befragten Unternehmen auch die Qualität des deutschen Bildungssystems insgesamt eher kritisch sehen und Verbesserungen fordern. „Das deutsche Bildungssystem erfüllt nicht vollumfänglich die Anforderungen, um junge Menschen auf den Einstieg in den Beruf und die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten“, sagt Klaus Fischer. Die Politik müsse daher „schnell viel mehr in Bildung investieren“. Digitalisierung, Industrie 4.0 oder Künstliche Intelligenz seien Megathemen. Dazu hätten die Schulen aber kaum Angebote. Außerdem müsse „die Brücke zwischen Schul- und Berufsausbildung dringend geschlagen werden. Stattdessen gibt es, je nach Schulform nur unzureichende Angebote für Praktika.“

Nicht gut zu sprechen sind mehrere Arbeitgeber auf den Bildungsföderalismus. Auf die Frage, was er sich von der Bildungspolitik wünsche, sagt Braskem-Europa-Chef Buchmann: „zuerst ein einheitliches Schulsystem in Deutschland.“ Für Kanzleichef Feyh sind die unterschiedlichen Schulsysteme der Bundesländer schlicht „ein Unding.“

Gibt es also nichts Gutes zu vermelden über die Entwicklung von Deutschlands Schulen und Schulabgängern? Doch. Bei Sick freue man sich, so Ausbildungsleiter Burger, dass in immer mehr Schulen Informatik ein eigenständiges Fach sei. Auch Miele-Ausbildungsleiter Meyer sagt: „Positiv sind die deutlich verbesserten IT-Kenntnisse und auch die Sicherheit, vor einer Gruppe zu sprechen.“ Das sprachliche Ausdrucksvermögen der Bewerberinnen und Bewerber sei „auf einem unverändert guten Niveau.“

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