Zugute halten muss man der Ministerpräsidentin, dass am Ende ihrer ersten, verkürzten Amtszeit alles nicht so schlimm kam, wie man das am Anfang vermutet hatte. Hannelore Kraft, die anfangs bei öffentlichen Auftritten noch unsicher wirkte, gefällt sich nun sichtlich in der Rolle der Landespräsidentin. Sogar die Minderheitsregierung, in der sie bei jeder Abstimmung immer wieder um Stimmen von FDP oder Linken buhlen musste, gereichte ihr in der Wählergunst zum Vorteil. Sie konnte ihren eigenen präsidialen Stil ausbilden – jenes pragmatische Agieren nach Lage der Dinge, das man auch von Angela Merkel kennt. Und sind die nüchterne Bundeskanzlerin mit ihrem trockenen Humor und die plakativ fröhliche Kraft mit ihrem Ruhrgebiets-Charme doch auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Frauentypen, so ähneln sie sich doch in ihrer Ideologieferne.
In der SPD traut man Hannelore Kraft am Ende vieles zu. Schon auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember hatte Hannelore Kraft bei der Wahl zur Parteivizin mit 97,2 Prozent ein beinahe sozialistisches Ergebnis abgeräumt. Sigmar Gabriel hatte damals gerufen, „wir wollen zeigen, wen und was wir haben“. In der SPD gäbe es schließlich nicht nur drei männliche potenzielle Kanzlerkandidaten, sondern auch „viele tolle Frauen“. Allen voran „die Hannelore“.
Kraft könnte es mit "Mutti" aufnehmen
So buhlte Gabriel vor seiner Wiederwahl um die Stimmen des mitgliederstärksten Blockes aus Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig stand er unter dem Druck der Frauen, die murrten, die Partei der Gleichberechtigung und Quotenkämpferinnen könne ja wohl nicht ernsthaft mit einem rein männlichen Trio in den Wahlkampf ziehen. Auch Hannelore Kraft könne es mit Mutti aufnehmen. Das glauben inzwischen auch manche Herren in der Sozialdemokratie. Hannelore Kraft selbst hat allerdings mehrfach versichert, dass sie unbedingt in Nordrhein-Westfalen bleiben wolle - als Ministerpräsidentin.
Ob eine Koalition mit den Grünen zur nötigen Mehrheit im Parlament reicht, ist allerdings mehr als fraglich. Sollten FDP und die Piraten - wonach es aussieht - in den Landtag einziehen, wird Kraft in ein Dreierbündnis mit den Grünen und der FDP von Christian Lindner - oder in eine Große Koalition mit der Röttgen-CDU getrieben. Zwei Männer, die vor zwei Jahren in Bestform waren.
Es war die Zeit, in der der erste hauptamtliche Steuersenkungsminister der Republik (Guido Westerwelle) im tüchtigsten aller Euro-Länder Dekadenz-Alarm schlug und ein promovierter Minister für Armeemarketing (Karl-Theodor zu Guttenberg), begleitet vom Kulissendonner medialer Bereitschaftstruppen, zur Frühoffensive auf das Kanzlerinnen-Erbe blies.
Norbert Röttgen und Christian Lindner müssen sich damals gewunden haben vor politischer Fremdschämerei, beleidigter Intelligenz und verletzter Eitelkeit. Wenn Angela Merkel, die moderat Moderierende mit dem gelegentlichen Mangel an Gestaltungswillen, dereinst nicht mehr Deutschland-Chefin sein werde… – wer, wenn nicht sie, die jungen Männer mit dem Sinn fürs Große und Grundsätzliche, die klügsten, ehrgeizigsten und rhetorisch versiertesten Megatalente ihrer Parteien (eine Mischung aus Fremd- und Selbsteinschätzung), seien dann berufen, das Beste zu verkörpern, was Union und FDP zu bieten haben?