Paritätischer Wohlfahrtsverband zur Dienstpflicht „Ein Zwangsdienst bringt nichts“

Allgemeine Wehrpflicht: „Ein Zwangsdienst bringt nichts“ Quelle: imago images

Die Wiedereinführung der Wehrpflicht käme auch sozialen und ökologischen Einrichtungen zugute, so Befürworter. Stimmt nicht, sagt Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband – und macht einen Gegenvorschlag.

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WirtschaftsWoche: In Deutschland ist eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht, beziehungsweise einer allgemeinen Dienstpflicht entbrannt. Könnte das Personalprobleme bei Ihren Mitgliedsorganisationen lösen?
Ulrich Schneider: Nein, unsere Personalprobleme löst das nicht. Die betreffen die professionellen Erzieherinnen und Erzieher und vor allem Pflegekräfte. Wir müssen Menschen finden, die eine Ausbildung in diesem Bereich machen. Unsere Personalprobleme werden wir nur lösen, wenn diese Berufe attraktiver werden.

Seit 2011 gibt es keine Zivildienstleistenden mehr, sondern nur noch den Bundesfreiwilligendienst. Welche Bedeutung hat der für Ihre Einrichtungen?
Als die Wehrpflicht 2011 abgeschafft wurde, hatten wir noch 70000 Zivildienstleistende. Nur wenige davon waren in der Pflege eingesetzt, viel mehr in der Erziehung. Heute haben wir rund 39000 Bundesfreiwillige. Wir würden uns wünschen, dass es mehr wären. Aber nicht, weil wir damit die Personallücken bei den Hauptamtlichen schließen wollen. Sondern, weil das junge Menschen sind, die meist einen besonderen Esprit in unsere Einrichtungen bringen. Die haben meist auch genau die Zeit, die die examinierten hauptamtlichen Pflegekräfte nicht haben, zum Beispiel um mit einem alten Menschen einen Spaziergang im Park zu machen oder ihm vorzulesen. So etwas macht Qualität in einer Wohlfahrtseinrichtung aus. Dafür sind die Bundesfreiwilligen ungeheuer wichtig.

Also wäre Ihnen ein Dienstpflicht doch willkommen?
Nein, ein Zwangsdienst bringt nichts. Man muss das wollen. Für soziale Aufgaben muss man eine Ader haben. Bei einer allgemeinen Dienstpflicht ginge es um 700000 junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen mit allen möglichen Neigungen und Hintergründen. Angesichts dieser riesigen Zahl und auch angesichts der Verfassungslage halte ich die aktuelle Diskussion eher für eine Gespensterdiskussion.

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Sprechen Sie aus schlechten Erfahrungen mit früheren Zivildienstleistenden?
Solche Erfahrungen gab es nur gelegentlich. Die Zivis waren eine besondere Gruppe von Menschen, die sich früher meist intensiv mit sozialen Fragen der Gesellschaft auseinandergesetzt haben. Die haben schließlich meist ganz bewusst den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert. In frühen Zeiten mussten sie ja sogar eine Gewissensprüfung ablegen. Viele Zivis sind nach ihrem Dienst auch im Sozialbereich geblieben. Besser als eine Dienstpflicht wäre es, den Bundesfreiwilligendienst einfach attraktiver zu gestalten.

Was wäre dafür nötig? Mehr Geld?
Am Geld hängt schon vieles. Im Moment bekommt ein Freiwilliger 250 Euro Taschengeld. Und das bekommt er nicht vom Bund, sondern von der Einrichtung, bei der er eingesetzt ist. Das geht eigentlich nur, wenn die eigene Familie dahintersteht, die sich das leisten kann. Wenn das nicht der Fall ist, kommen die Freiwilligen mit dem bisschen Geld gar nicht über die Runden.  Deswegen sagen wir: Es muss wie früher beim Ersatzdienst bundesweit dasselbe Geld geben, getragen vom Bund. Zusätzlich attraktiver könnte man den Freiwilligendienst vielleicht auch mit Credit Points machen für ein anschließendes Studium. Als ich früher Zivildienst leistete, bekam ich 0,2 Punkte auf den Numerus Clausus gutgeschrieben. Außerdem sollte man Teilzeitlösungen anbieten. Junge Menschen nach der Schule brauchen meist Zeit für den Führerschein und um sich über berufliche Möglichkeiten oder das Studium zu informieren.

In welchen Bereichen wären mehr Bufdis besonders willkommen?
In der Erziehung und der Pflege. Die Erfahrung zu machen mit Menschen umzugehen, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind, ist für die Entwicklung junger Menschen sehr wichtig. Entsprechende Einrichtungen kennenzulernen befördert auch die Einsicht in die Notwendigkeit des Sozialstaats.

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