Deutschland hingegen verbietet es Privatpersonen und Bürgerinitiativen sogar, Cannabisproben in Labors auf Verunreinigungen prüfen zu lassen. In Nachbarländern wie Österreich, Holland und der Schweiz ist Drug-Checking erlaubt. Die Eidgenossen fahren sogar mit mobilen Labors auf Partys. Ihr Motto: Der Staat minimiert Gesundheitsgefahren – und schützt junge Konsumenten.
Pragmatische Lösungen sind dringend erforderlich. Stattdessen überbewerten Politiker die Risiken. Der Psychologe und wissenschaftliche Direktor des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF), Michael Schaub, sagt: „Cannabis ist keine Einstiegsdroge. Das soziale Umfeld und die genetische Disposition erklären viel mehr, warum ein Mensch zu härteren Drogen greift.“
Eine sachliche Kosten-Nutzen-Analyse wäre umso wichtiger. Das Risiko, eine Psychose zu entwickeln, steige zwar bei exzessivem Konsum von Cannabis „leicht an“, so Schaub. Eine Freigabe könnte Maßlosigkeit fördern. Doch „volkswirtschaftlich schlimmer“ sei es, wenn der Staat wie heute den wenigen Menschen, die zu viel Cannabis konsumieren, nicht helfe. Leute würden ihre Lehre nicht abschließen oder durchs Abi fallen. „Dann kommen diese jungen Menschen irgendwann als 35-jährige menschliche Wracks in die Klinik und versuchen, neu anzufangen – ohne Abschluss und Perspektive“, sagt Schaub. Unterm Strich sei Prohibition teurer.
5. Kiffer sind keine Kriminellen mehr
Den eigenen Bruder verlor Andreas Müller 2013. Mit 15 hatte dieser in den Siebzigerjahren angefangen zu kiffen. Er dealte, flog von der Schule, es folgten Haftbefehle und Knast. Nach vielen Jahren Alkohol-, Medikamenten- und Cannabiskonsum begann er mit Heroin. „Statt zu helfen, hat der Staat meinen Bruder kriminalisiert und ins Abseits gedrängt“, sagt Müller. „Mein Bruder hatte keine Chance.“
Müller ist Richter in Bernau bei Berlin. Er urteilt über Jugendliche und will verhindern, dass junge Erwachsene das gleiche Schicksal ereilt. „Kiffer sind keine Kriminellen“, sagt Müller. „Wer andere Menschen zusammenschlägt oder in fremde Wohnungen einbricht, der ist kriminell.“ Aber einen Joint zu rauchen tue anderen nicht weh. „Ich schäme mich dafür, dass ich Leute für ein paar Gramm Cannabis verurteilen muss.“
Portugal schlug deshalb einen anderen, menschenfreundlicheren Weg ein. Auch dort ist der Konsum von Cannabis offiziell verboten, aber der Staat hält sich mit Strafe zurück. Wer mit bis zu 25 Gramm Gras erwischt wird, muss sich stattdessen vor einem Sozialarbeiter verantworten. Das gilt übrigens auch bei härteren Drogen.
Was beim Cannabiskonsum droht
Wer (fast) täglich kifft, verliert den Führerschein – egal, ob er je bekifft Auto fuhr. Ihm fehle die grundsätzliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (BVerwG 3C 1.08).
Wer Alkohol und Cannabis im Blut hat, verliert den Führerschein – selbst der Beifahrer, der bewusst aufs Fahren verzichtete. Grund: Beide Wirkstoffe potenzieren sich, Betroffene stellten besondere Gefahr im Straßenverkehr dar (VGH Mannheim 10 S 133/06).
Der Nachweis von THC im Blut allein reicht für Führerscheinentzug nicht aus. THC-Konzentrationen im Blut von unter 1,0 ng/ml werden nicht geahndet (BVerfG 2005).
Ein einzelner Joint rechtfertigt den Entzug des Führerscheins, wenn der Betroffene unter erheblichem Cannabiseinfluss Auto fährt (VG Gelsenkirchen 9 L 592/12).
Deutschland hingegen schwingt unkoordiniert die Keule des Strafrechts. 1994 forderte das Bundesverfassungsgericht die Länder in seinem Cannabisbeschluss auf, einheitliche Freigrenzen einzuführen, bei denen von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen würde. Doch nach wie vor definiert jedes Land eigene Toleranzgrenzen. Als wenn einem Berliner mehr THC zustünde als einem Menschen aus Mecklenburg.
Das landläufige Gefühl der Menschen, ein paar Gramm Eigenkonsum seien ja nicht mehr schlimm, kann sich bitter rächen. Müller berichtet von einer allein erziehenden Musiklehrerin, die mit drei Gramm Cannabis erwischt wurde und einen Strafbefehl von ein paar Hundert Euro akzeptierte. Ein halbes Jahr später verlor sie ihren Job. „Der Staat zerstört so ganze Leben“, sagt Müller.