Pro Asyl Menschenrechtsorganisation fordert Neueröffnung von Asylverfahren

Der neue Lagebericht des Auswärtigen Amts zu Afghanistan liegt vor. Menschenrechtler sehen zu wichtigen asylrechtlichen Aspekten eine Neubewertung.

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Pro Asyl: Bund muss Asylverfahren von Afghanen neu aufrollen Quelle: dpa

Berlin Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat die Bundesregierung angesichts neuer Erkenntnisse zur Lage in Afghanistan zu politischen Konsequenzen aufgefordert. Das Innenministerium müsse das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) anweisen, die Verfahren aller abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan neu aufzurollen, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Das Bamf habe auf Basis einer falschen Lagebeurteilung Zehntausende zu Unrecht abgelehnt - in der Regel mit der Begründung, Verfolgte hätten an einem anderen Ort in Afghanistan Schutz finden können.

Das Auswärtige Amt hatte zuvor seinen lange erwarteten Lagebericht zu „asyl- und abschieberelevanten Ereignissen“ in Afghanistan vorgelegt. In der Einschätzung, die auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es: „Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage.“ Derzeit gilt ein teilweiser Abschiebestopp für Afghanen. Ausgenommen sind Gefährder, Straftäter und Menschen, die bei der Identitätsfeststellung nicht mitwirken.

Burkhardt kritisierte, in den vergangenen beiden Jahren sei die Ablehnung afghanischer Asylbewerber rapide gestiegen. Die ins Feld geführte sogenannte Ausweichmöglichkeit im Heimatland sei aber eine „Fata Morgana“ und dem Willen zu einer „konsequenten Abschiebung“ geschuldet. Weil so viele Asylbewerber zu Unrecht abgelehnt worden seien, seien auch Gerichte überlastet. Eine Neubewertung könnte massive Auswirkungen auf die Anerkennungsquote haben.

Burkhardt verlangte, die Innenminister müssten sich bei ihrer Konferenz von Mittwoch bis Freitag (4.- 6. Juni) in Quedlinburg mit Afghanistan befassen. Für eine Vielzahl der nach Deutschland geflohenen Afghanen gebe es nun auch regierungsamtlich festgestellt keine Ausweichmöglichkeit.

In seinem neuen Lagebericht schreibt das Auswärtige Amt, die „Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen“ in Afghanistan hingen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort.

Für eine Unterstützung durch die Familie komme es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiere. „Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen“, heißt es in dem Bericht, über den am Freitag bereits mehrere Medien berichtet hatten.

Auch in größeren Städten erfolge in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Dies schlage sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder. Die Absorptionsfähigkeit – also Aufnahmefähigkeit – der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, sei durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits „stark in Anspruch genommen“, heißt es.

Pro Asyl forderte außerdem einen kompletten Abschiebestopp nach Afghanistan. „Wir müssen davon ausgehen, dass sowohl die ablehnenden Asylbescheide als auch die Abschiebungsentscheidungen aufgrund dieser Neubewertung der Lage haltlos sind“, sagte Burkhardt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), in dessen Zuständigkeit das Bamf fällt, hatte den Bericht zu Afghanistan in der vergangenen Woche angemahnt. Abschiebungen nach Afghanistan sind wegen der schlechten Sicherheitslage in vielen Gebieten umstritten. Die radikalislamischen Taliban kontrollieren nach Militärangaben mehr als ein Siebtel des Lande

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